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Bildquelle: Sandra Witt [], (Bild bearbeitet)
Seit vielen Monaten hatte es mich mal wieder richtig gepackt: Eine Woche vorm Stadt-Duell gegen Hertha BSC betrat ich tatsächlich unser Wohnzimmer. „Derby ist, wenn der RBB anruft“, hatte es mein Lieblingsfeind ausgedrückt, der Herthaner Knut Beyer. In Vorbereitung des Spiels sollten er und ich unsere Gedanken zum Thema äußern und ein bisschen aus unseren Büchern lesen.
Ich freute mich, den „bösen“ Knut wiederzusehen. Mindestens ebenso glücklich machte es mich, den heiligen Rasen und die ihn umgebenden Ränge wieder einmal direkt vor mir zu haben. Hier das Torsten-Mattuuuuuuschka-Lied zu singen, machte mir riesigen Spaß, doch dann kam die Trauer: Die Ränge verwaist, ich auf der Tribüne – schräg rüber mein Stammplatz auf der Gegengerade, nahe der Mittellinie, Unendlichkeiten entfernt.
Eine Woche später zum Derby würde ich, genau wie Knut, vor irgendeinem Endgerät sitzen. Dabei wäre unser Platz gerade zum Spiel hier im Stadion. Ich da drüben auf der Gegengerade, Knut rechts von der Tribüne im Gästeblock, würden wir uns anbrüllen, wie sich das gehört. Wir werden es nicht tun, haben also von vorn herein schonmal beide verloren. Meine Mannschaft zog dazu in den letzten beiden Geister-Begegnungen mit den Charlottenburgern den Kürzeren.
Das letzte Mal Am Stadion An der Alten Försterei, vor Publikum, gewannen wir durch einen Elfmeter in der 87. Minute. Wir hatten gesungen, gebrüllt und gebangt in diesem Kampfspiel, nach dem ich frustnüchtern war. Hool-Aktionen hier wie dort, aus dem Gästeblock beschossen sie uns mit Raketen. Auf der Rückfahrt in der S-Bahn erlebte mein Freund Ronny, wie ein Pulk Unioner einem Herthaner den Schal zog. „Wir sind Unioner, wir sind gegen Sippenhaft!“, ging Ronny dazwischen. „Und wir vergelten nicht Gleiches mit Gleichem!“
Verdutzt, ob seines beherrscht kraftvollen Auftretens, rückten die Unioner den Schal raus, den Ronny anschließend dem verdutzten Herthaner wiedergab. Mensch bleiben ist machbar, egal welche Farben du trägst, lehrt mich die Geschichte. Ich weiß, oft genug läuft es anders ab. Müßig, sich die bescheuerten Aktionen gegenseitig aufzurechnen. Lächerlich wird das Ganze vollends angesichts des an diesem Ostersonntag stattfindenden Fernseh-Duells um Punkte in der 1. Bundesliga.
Auf der anderen Straßenseite hängt eine Hertha-Fahne im Fenster. Hisse ich also wenigstens auch meine Fahne des Eisernen V.I.R.U.S und Andoras Eckfahne „Der kleine Biss“ auf den Balkon. Und ja, ich gucke mir auch das Spiel an. Nicht im Wald, wie ich wollte. Mein Freund, der dort wohnt, steht unter Beobachtung. Jemand hat jemanden angeschissen. Arschgeigen haben grad gute Zeiten. Gucke ich also bei mir um die Ecke, Eisern Union!
Mit dem Anpfiff böllert es aus dem Wald, minutenlang. Der Fernseh-Fuzzy findet es erst mal gar nicht schlecht, dann gibt er sich immer empörter. Er könne sich bei dem Lärm gar nicht richtig konzentrieren, heult er. Ich erinnere mich an Kollegen von ihm, die sich dereinst über unsere Gesänge aufregten, weil sie sie bei ihren Spieler-Interviews störten. Sollte zum Tennis wechseln, der Fuzzy. Raketen auf Menschen sind mies, nicht das hier!
Unsere Mannschaft hatte derweil die erste Chance. Schade, Abseits, keine Ecke. Nach drei Minuten fällt Hertha-Locke hin, bekommt einen Freistoß geschenkt. Das Folgende zum Glück ungefährlich. Auf der Gegenseite prüft Max Kruse Herthas Keeper, satter Schuss! Und was ist das? Trimmel schlägt den Ball in den Strafraum, Hertha kriegt ihn nicht weg, Robert Andrich bekommt ihn, zieht jenseits der Strafraumgrenze ab – Innenpfosten, drin ist das Ding!
Eiserner Jubel in der Stube – wie steil wäre es, das alles in unser aller Wohnzimmer zu erleben! Ganz sauber, Eisern Union! Kurz drauf verliert Hertha mal wieder den Ball, Ryerson knallt ihn an die Querlatte, Musas Nachschuss geht drüber. Das wäre es doch gewesen, Eisern Union! Nach einer Viertelstunde fordert ein Blauer die Gelbe für Ryerson, der Schiri gehorcht ihm glatt. Mist, Freistoß aus guter Position. Ihm folgen 3 Ecken, Hertha kommt!
Die Blauen laufen jetzt zu Höchstform auf, besonders im Hinfallen. „Cunha ist schnell wieder auf den Beinen“, bemerkt selbst der Fernseh-Fuzzy. Wir applaudieren, als zwei Blaue eine wahre Kür im Synchron-Hinfallen auf den Rasen bringen. Hertha-Locke gefällt sich zudem im Provozieren, er sieht dafür nur die Gelbe, genau wie unser Grischa Prömel, warum das?! Vier Minuten später fällt Locke zur Abwechslung mal in unserem Strafraum hin. Einer hatte ihn berührt, der Schiri gibt Hertha den Elfer.
So also kam auch Charlottenburg zum Torerfolg. Und sie laufen jetzt in echt zur Höchstform auf. Gewinnen die Zweikämpfe, setzen sich in unserer Hälfte fest. Hertha gefährlich über rechts, zum Glück Abseits, der Ball ist unser. Erleichtert vernehme ich den Pausenpfiff. Es sieht ganz so aus, als spielen sie jetzt gnadenlos ihre Fußballerische Klasse aus. Was hat unsere Mannschaft dem entgegenzusetzen? Eisern Union!
Nach Wiederanpfiff gleich mal ein Union-Angriff. Schade, der Ball verspringt. Nun setzen sich unsere in der gegnerischen Hälfte fest. Zwei Freistöße, aber der Torwart hält. Dann doch mal ein Ballverlust im Mittelfeld, Herthaner Konter – weit, weit drüber. Es sollte für lange Zeit der letzte Charlottenburger Schuss in Richtung unseres Tors bleiben. Als den Blauen auf unglückliche Weise der Ball verspringt, durchzieht ein mitleidiges Synchron-Stöhnen die Stube. Das können wir also auch.
In der 71. erklingen Gesänge aus dem Wunderwald. Ich höre unser Bundesliga-Lied, „… mit uns an Deiner Seite wirst Du niemals untergehn!“ Endlich mal wieder ein hauch Fußball-Atmosphäre, leider von ganz, weit weg. Auf dem Platz passiert nicht mehr wirklich viel. Union im Vorwärtsgang, ohne dass wir wirklich gefährlich werden. Von Windhorsts Star-Ensemble kommt nichts mehr. Befinden die sich etwa im Pokalmodus? „Zwei Tore schaffen die Unioner eh nicht mehr, haha.“
Oder können diese Gecken etwa tatsächlich nicht mehr? Egal, Union stellt die bessere Mannschaft aufm Platz und erarbeitet sich Punkt Nummer 39. „Gegen die Kleinen der Liga tun wir uns eben immer schwer“, witzele ich vor mich hin. Schade, hier wäre mehr drin gewesen. Und gegen die andere zänkische Heulsusen-Truppe, die aus Leverkusen, müssen wir noch spielen. Egal, jetzt bin ich vor allem stolz auf unser Team. Stolz, stolz und nochmal stolz, Eisern Union.
Wer: Christopher Busse (35)
Wann:16.11.2024