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Bildquelle: Sascha Brück [CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons (Bild bearbeitet)
Die Mannschaft des 1. FC Union Berlin holt beim fünffachen deutschen Meister, zweifachen UEFA-Pokalsieger und aktuellem Champions-League-Teilnehmer Borussia Mönchengladbach in einem Punktspiel der 1. Bundesliga ein 1:1! Ich weiß, die Meistertitel der Fohlen liegen einige Jahre zurück und doch: Noch vor einem Jahr hätte wohl jeder von uns einfach nur bedingungslos gejubelt ob dieses Ergebnisses unserer 1. Herren-Mannschaft. Vor anderthalb Jahren wäre allein die Liga-Zugehörigkeit locker der Grund für eine mehrtägige Feier gewesen.
Heute sieht das anders aus. Heute, also gestern, spürte ich nach dem Aufwachen am Morgen nicht sofort dieses ganz besondere Spieltags-Kribbeln im Bauch. Diese Aufregung unter und auf meiner Haut: Heute iss Union! Immerhin hatte mich ein Freund eingeladen, das Spiel bei ihm zu schauen. Immerhin waren ja doch einige unserer Allesfahrer in aller Frühe gen Gladbach aufgebrochen, weil sie dort ihre erlaubte Kartenzahl nicht an Heimfans losgeworden waren. „Halblegal“ im Gäste-Stadion, ohne allzu sichtbare Eiserne Insignien.
Immerhin hatten all die besonderen Bedingungen dieser Tage dafür gesorgt, dass mich unsere Heimniederlage gegen Augsburg längst nicht so frustrierte wie normalerweise. Dass ich vor allem die gemeinsame Anreise mit Konzert auf der Spree, Unioner und Augschburger in einem Boot, als DAS Ereignis jenes 1. Spieltags ansah. Nun also ging es zum Viertplatzierten der letzten Bundesliga-Saison, und wenn wir hier unter die Räder kommen, … da war sie also doch wieder da, zumindest in Ansätzen: Meine Sorge um Union …
Im Handyfilmchen eines Kumpels sehe ich unsere Mannschaft aufs Spielfeld kommen. Von den spärlich gefüllten Rängen kommt etwas Applaus. „Buh!“, ruft eine einzelne Männerstimme, „Absteiger, Absteiger!“ Vielen Dank dafür, ich bin im Spiel! „Es sollen um die 1.000 Unioner im Stadion sein“, erzählt mir mein Gastgeber. Zumindest aus den Lautsprecherboxen höre ich sie nicht – Kunststück, sie dürften weit verstreut und eigentlich nicht hier sein. Gästefans sind ja verboten, genau wie Alkohol …
Inmitten dieses amputierten Fußballs beginnt das Spiel: Lenz fängt einen gefährlich anmutenden Angriff der Hausherren ab, und auch im Angriff zeigt Union Eier. Immer wieder Becker und Awoniyi, der Neuzugang vom spektakulären Inselverein vom River Mersey. Auch wenn der Junge noch nie in Liverpool auflief, hier in Gladbach bringt er ordentlich Pfeffer in unsere Offensive. Nach fast 17 Minuten eine Parade von Luthe. Die anschließende Ecke gebiert die beste Chance der Hausherren, Sie bleibt eine Chance.
Vier Minuten später Bülter auf Becker – leider knapp am Kasten vorbei. Union ist im Spiel, wie auch gegen Augsburg – und schon ist ein Gladbacher durch! Aus dem 1 gegen 1 wird abrupt ein 1 gegen 2, 3, 4 – geklärt! … Ecke Gladbach … fast im Gegenzug lässt Becker das gegnerische Außennetz erzittern. Es bleibt nicht die letzte Chance in dieser 1. Halbzeit, in der ich Laie 2 nahezu gleichstarke Bundesliga-Mannschaft gegeneinander spielen sehe. Sch… auf den Ballbesitz der Borussia, Union zeigt: Wir können euch wehtun!
Wie schade, dass wir in dieser beknackten Zeit leben, denke ich mir, was wäre allein schon diese 1. Halbzeit – unsere Auswärtsfahrer samt Ultra-Begleitung an Megafon, Trommel und Stimmen – für ein irres Fußballfest gewesen. Das Spiel geht weiter, Borussia drückt. Doch mal wieder eine Ecke für uns – schade, der für uns neue Schlotterbeck köpft weit über die Latte. Ginter durch – Luthe pariert. … Freistoß Gladbach, Ecke – gefolgt von dem, was ich seit jeher und seit letztem Samstag noch mehr fürchte:
Zwischen zwei Unionern hindurch kommt ein Stürmer nahezu ungehindert zum Kopfball. Einer der unseren fälscht das Ding noch ab, unhaltbar für unseren Tormann, unhaltbar wie mindestens 2 der 3 Treffer vor einer Woche. Mist verdammter! Kruse und Ingvartsen kommen für unser lauf- und kampfstarkes Sturm-Duo Becker und Awoniyi. Union spielt weiter super, und doch hab´ ich nicht das Gefühl, dass… ich kam nicht dazu, diesen Frustsatz zu vollenden …
Weit vor dem Tor köpft der derzeit weltbeste Schlotterbeck namens Nico über all die im Strafraum Versammelten die Kugel passgenau in die Maschen. Auch wenn ich der einzige von uns vieren in der Wohnstube bin, ich springe schreiend auf, reiße die Arme hoch. „Tooooor für den 1. FC Union Berlin!“, jubelt es tief in mir. Zumindest für diesen einen Augenblick vergesse ich all den Mist dieser Zeit. Gladbach bleibt gefährlich, Union ebenfalls. Bis zum Schlusspfiff, der uns den 1. Punkt dieser Bundesliga-Saison beschert.
Wie verrückt ist dieses Leben eigentlich? Statt überschäumender Feier bestimmt weiter der allgegenwärtige Kleinkrieg die Szene. Einer meckert, dass Dauerkarteninhaber zuerst Heimspielkarten losen dürfen. Viele andere gehen aus Gründen bewusst gar nicht ins Stadion. Masken-Beschwerden, Hass-Gerede aus fast jeder Richtung, populistisches Generve von Lobbytreuen wie Aufständischen – und für mich zumindest ein paar Minuten einfach nur Union. Zugegeben, nicht so heftig wie zwei Tage zuvor bei der Einweihung der 2. Berliner Rollstuhlschaukel im Tierpark. Unioner aller Couleur hatten dafür gesorgt, dass Menschen dieses irre Schaukel-Gefühl erleben können, die bis dahin davon ausgeschlossen waren. Liebenswerter Luxus, bleiben wir Eisern. Eisern Union.
Wer: Christopher Busse (35)
Wann:16.11.2024