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Bildquelle: Frank "Nussi" Nussbücker [], via Wikimedia Commons (Bild bearbeitet)
Ein Saal voller Pogo-tanzender Männer und Frauen. Sie tragen Schals, Jacken und Mützen zweier Fußballvereine. Sobald jemand fällt, stellen ihn helfende Arme wieder auf die Füße. Ein in Ehren ergrauter, weithin bekannter Unioner hatte zuvor auf der Bühne die Losung ausgegeben: „Wir wollen Rock’n Roll!“ Ein ebenfalls gut bekannter Augsburger mit abgewetztem Leder-Hut hatte gesagt: „Herzlich willkommen, das kannst du nicht erfinden.“
Bereits seit Freitag hatten Unioner und Augsburger zusammen gefeiert. Das alles nur, weil ein gewisser „General“ Gerhard Seckler, jener Lederhut-Typ, vor 10 Jahren die Schnauze voll davon hatte, dass in seinem Heimatland Bayern Fußballfans des Gastvereins von der Polizei begrüßt werden. „Das machen wir anders!“, entschied er, „wir begrüßen unsere Gegner selbst!“ Augsburg Calling heißt die von ihm losgetretene Initiative. Sie begann vor jenen 10 Jahren – nicht von ungefähr mit Union!
Beim Hinspiel im August hatte ich gegen Augsburg-Autor und ehemaligem FCA-Geschäftsführer Markus Krapf gelesen. Nun also das „Rückspiel“ vor etwa 150 Anhängern beider Vereine. Markus hatte sich mit Walter Sianos auf der Bühne verstärkt. „Ihr macht den Fußball kaputt!“, beschimpfte ich die Augsburger. Statt uns mit Schmähgesängen oder gar Raketen zu begrüßen, hatten sie uns in Augsburg derart herzlich willkommen geheißen, dass es mir verdammt schwer fiel, sie als Gegner zu sehen.
Trotz alledem wurde hier keine offizielle Fanfreundschaft gegründet. In Augsburg wie hier in Berlin kamen einfach nur Fußballverrückte zusammen, um gemeinsam ihre gemeinsame Macke und das Leben zu feiern. Sicher nicht ganz zufällig. In der Historie beider Vereine hatten Fans dafür gesorgt, dass es ihren Club noch heute gibt. Spät in der Nacht ging‘s nach Hause, ins Hotel, oder wo auch immer unsere müden Häupter ihren Platz fanden …
Auf meinem Weg zum Spiel stimmte ich mich darauf ein, dass es gleich nur noch um eins geht: WIR müssen die Punkte holen! Ich vermied es, Kontakt zum General oder zu anderen FCA-Fans aufzunehmen. Endlich im Stadion, oben im Block. „Watt’n los mit dir, bist ja so pünktlich! Biste krank?“, empfängt mich André mit original Berliner Höflichkeit. Als Bibi Steinhaus den Rasen betritt, jubeln wir ihr zu. Man weiß nie, wozu es noch gut ist! Bibi nimmt‘s mit Humor, kann sich das Lachen mehrfach nicht verkneifen.
Des Stadionsprechers Mikro versagt, wir soufflieren ihm: „Alte Försterei, Alte Försterei …!“ Der Gästeblock ist prall gefüllt. „Zu Union wollen immer ALLE mit!“, hatte mir der General am Vorabend gesteckt. Los geht’s! Union singt, Union spielt, Union schießt aufs Tor! Allerdings ohne was Zählbares. „Wir lieben Union, jawoll!“ Aber was ist das? In der 31. plötzlich eine Riesenchance für den FCA. Im aller letzten Augenblick ist Rafa zur Stelle. Aber Augsburg bleibt dran, immer wieder greifen sie an. Folgt jetzt die Strafe, dass wir … nee, Pause!
Einige letzte Grüße in Block H verwandeln das Stadion für mich mal wieder in eine Kirche, in der wir geschiedenen Gemeindemitgliedern das letzte Geleit geben. Das mag überzogen finden, wer will. Echt ist es allemal! Und für mich hat es was überaus Tröstendes, dass eines Tages womöglich auch mir ein letztes „Eisern Union!“ hinterher schallt. Jener Ruf, den ich selbst so unzählige Male herausschrie und dies noch sehr oft tun werde. Eisern bleiben heißt: Lass dich nicht unterkriegen! Gilt übrigens längst nicht nur im Stadion.
Schnell wieder volle Konzentration aufs Spiel. Unsere Mannschaft will’s wissen, und Neven haut das Ding rein, dass wir schreiend tanzen wie das Netz des gegnerischen Kastens. Wie befreiend ist das, und Union bleibt am Drücker. Schade, fast das 2:0 im nächsten Angriff. Wir singen, der hinter mir schreit seine Flüche und „richtungsweisende Hinweise“ in Richtung Rasen – und Ingvartsen macht das 2:0! Biere fliegen, wüste Umarmungen, schon ewig hab ich nicht mehr derart gebrüllt.
Augsburg greift an, und was macht Bibi da? Gelbe auf Gelbe zeigt sie unseren Spielern. Sind wir etwa gleich wieder zu zehnt, wie im Hinspiel? Und schon kommt die zwangsläufige Riesenchance des Gegners – aber „Türsteher“ Rafa lässt selbst die nicht rein! Was für ein Tag, dem können auch die 5 Minuten Nachspielzeit nichts mehr anhaben! Wir feiern unsere Mannschaft, unseren Verein – und endlich auch mal wieder nen Dreier! Stimme im Eimer begebe ich mich zum Barkas.
Der kutschiert uns weit ins Land, ins Rübezahl am Müggelsee, wo die große, gemeinsame Abschlussparty mit Rockkonzert steigt. Natürlich Rockn’Roll, was sonst? Weichgespülter DJ Ötzi-Kram hat weder in unserem Stadion noch danach was zu suchen. Am Eingang treffen wir zwei frustrierte Augsburger. „Alles ok, aber nach DEM Spiel ist uns nicht nach feiern!“, lassen sie uns wissen. Drinnen am Ende mehrere Hundert Fußball-Bekloppte, die zur Musik von Generation N aus Augsburg und Schurkenstaat aus Berlin abhotten.
Am Tisch komme ich mit Antje und Ronald ins Gespräch. Tochter und Vater lernten sich vor 4 Jahren kennen. Er wohnt in Müggelheim, sie seit ihrem 10. Geburtstag in Augsburg. Vaddern trägt einen Augsburg-Schal, und dennoch: „Heute war er leider für Union!“, gesteht mir seine Tochter. Sie lacht dabei. Jeder Unioner weiß, wie sich eine Niederlage anfühlt, doch jetzt wird gefeiert. „Hauptsache, wir bleiben in einer Liga!“, sage und höre ich oft an diesem Abend. Erstklassig in jedem Fall der Umgang miteinander.
Als Schlusspunkt des Bühnenprogramms die Kietzkeime & Sporti. „Eisernet Lied“ singt, grölt und tanzt der gesamte Saal. Etliche Augsburger können nicht anders, als mit zu wippen. Etliche kennen gar den Text. Ganz klar: Dieses Lied hätten wir nach jedem Spielstand aufs Heftigste intoniert. Und jene 3 Punkte von gerade eben sind womöglich genau diejenigen, die dafür sorgen, dass wir nächste Saison tatsächlich in der gleichen Liga spielen. Fußball verbindet!
Wer: Laurenz Dehl (23)
Wann:12.12.2024