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Bildquelle: Frank Nussbücker [], via Wikimedia Commons (Bild bearbeitet)
Seit Monaten freute ich mich auf Unions erstes Auswärtsspiel in der neuen Spielklasse – und dann das: „Die machen wieder Augsburg-Calling!“, ließ mich Filip Schnuppe am Telefon wissen, „du sollst da ‘ne Lesung machen. Ticket fürs Stadion besorg ick dir, ne Penne ooch, und um die An- und Abreise brauchste dir ooch nich kümmern. Hast nen Platz im Schnuppe-Neuner, Vadder fährt! Carmen und Dario aus Südafrika sind ooch bei“, erwähnte er noch schnell im Nebensatz.
Ich war von den Socken! Mit dem Initiator der Alten Försterei 2 hab ich via Internet schon so viel geschnackt, dass ich oft glaubte, neben ihm am Spielfeldrand der 9.623 Kilometer von Köpenick entfernten AF2 zu sitzen. Jetzt endlich sollte ich den Kerl persönlich in die Arme nehmen! Und obendrein auch noch den „General“ kennen lernen! FCA-Fan Gerhard „General“ Seckler ist ein ehrwürdiger Punk-Barde, der vor 10 Jahren die Fan-Initiative Augsburg-Calling ins Leben rief!
Stell dir mal vor: Gegnerische Fans werden nicht am Bahnhof von Uniformierten unter Quarantäne-Bedingungen zum Stadion und zurück getrieben, sondern von der „gegnerischen“ Stadt herzlich begrüßt und rund um das Spiel mit jeder Menge Kultur „beworfen“! Erst mal lud der Oberbürgermeister Fans beider Lager uff‘n Bier ins Rathaus. Nicht etwa am Hintereingang oder in der Gesinde-Küche, sondern im Goldenen Saal, laut Wikipedia eines der bedeutendsten Kulturdenkmäler der Spätrenaissance in Deutschland.
Bis spät in die Nacht feierten Unioner und Augsburg-Fans zusammen! Bier & Bratwurst, Gesänge und Gespräche statt Ausgrenzung und Randale. Am nächsten Morgen bekamen wir eine Stadtführung spendiert, auf der ich mich zwischen Brechthaus, Unterstadt und all den vielen Brücken gnadenlos in Augsburg verliebe. Den Festumzug namens Plärrer erleben wir direkt vorm Spiel inmitten wunderschön in Dirndl gewandeter Frauen und fescher Herren in Kniebund-Lederhosen. In der Tram zum Stadion baden wir gemeinsam mit den Augsburg-Fans im eigenen Schweiß. Wir alle sind Menschen, keine Feinde!
Am Abend vorm Spiel stand im Altstadt-Café mein Lese-Duell gegen FCA-Autor & Fan Markus Krapf an. Der war von 2002 bis 2007, als es dem FC Augsburg so dreckig ging wie uns vor „Bluten für Union“, Geschäftsführer seines Vereins! Fans rocken ihren FC, woher kennen wir das bloß? Kaum war ich da, spielte Markus auf brutale Weise seinen Heimvorteil als Augsburger Gastronom der Fußballkneipe 11er aus – und besorgte mir auf direktem Weg ein Bier. Nicht zum letzten Mal!
Dass ich die Lesung im Vollrausch erlebe, liegt jedoch nicht am Alkohol. Die Unioner im Saal nahmen ausnahmslos jeden von mir angelesenen Eisernen Stadiongesang zum Anlass, diesen lautstark und in voller Länge im mächtigen Chor zu intonieren. Als auch die Augsburger einen Gesang anstimmen, fallen wir sofort ehrlichen Herzens ein: „In Europa kennt uns keine Sau!“ Kurzum: Selbst beim Duell am Lesepult feierten wir alle gemeinsam. Diese oberfiesen Augsburger: Nie zuvor hab ich am Vorabend eines Unionspiels einen Gegner derart gemocht.
Die Augsburger Sportstätte hat die steilsten Ränge der Liga, selbst im Ober-Rang bist du nicht weit vom Platz. Jetzt wurden wir endlich Gegner! Dem ersten hörbaren FCA-Gesang von drüben verpassten wir unseren Text: „Wir sind Unioner, wir sind die Kranken!“ Stadion-Ehrenrunde der Kids. Denen haben sie FCA-Fahnen in die Hand gedrückt, wir applaudieren besonders dem Kleenen mit Unionschal ums Handgelenk, der uns stolz mit erhobener Faust zurückgrüßt.
„Ick bin so froh, dass ick hier bin!“, lässt mich Dario mit Tränen in den Augen wissen. „Auf geht’s Union, kämpfen und siegen!“ brüllen wir zwischen zwei Rummelbumms-Hymnen aus der Konserve. Zur Begrüßung hatten sie allerdings auch unsere Hymne gespielt! 999 Firmen wünschen uns ein gutes Spiel, präsentieren Spielball & Hastenich-Jesehen – „Und wir lieben unsern Club und wir sind stolz auf ihn, FC Union aus Berlin!“
Aufm Platz finden die Mannschaften nach und nach ins Spiel, auf der Anzeigetafel wird weiter fröhlich präsentiert, wir singen durch! In der 43. Endlich unser Mantra. Bis weit in die Pause hinein schallt es „FC Union, unsre Liebe, unsre Mannschaft, unser Stolz …“ Die Stadionanlage bleibt leise – sind die Augsburger etwa auch noch im Stadion freundlich?
2. Halbzeit, jetzt brennt es auch aufm Rasen. Angriff Union, Angriff Augsburg, „Hatter!“, brüllt Dario, als Rafa seine Parade zeigt. Union scheint alles im Griff zu haben, da fällt das 1:0! Plötzlich höre ich auch mal die Stadionhälfte links von mir. „Eisern Union!“ & „kämpfen und Siegen!“, lauten unsere Antworten. Auch Urs bleibt nicht stumm, bringt mit Manni, Andersson und Polti quasi eine komplett neue Angriffsformation …
… die sofort zeigt, wie die Eiserne Harke harkt! Riesenchance, wir sehen schon das Tornetz tanzen! „He FC Union stürme hinaus“, auf Rasen und Rängen. Pfosten – Ecke – nebens Tor! „Werden wir das bitter bereuen?“, höre ich einen Unioner fragen – weiter geht’s – und: „JAAAAAAAAAAAA!“ Zwischen Filip und Dario brülle ich mir die vorletzte Stimmkraft aus dem Brustkasten. Minutenlang feiern wir inmitten von 2.500 Eisernen Unions ersten Treffer in der neuen Spielklasse!
Mitten in der Eisernen Bella-Ciao-Coverversion Unions 1. Roter Karton – weiter! Filip sieht auf sein Handy. „Was sagt‘s Internet?“, schreie ich, „schießen wir‘n Tor?“ Filip nickt: „Gleich gibt’s nen Elfer.“ Sekunden später hätte es genau den für uns geben müssen, oder? Augsburg greift an, alle Unioner kämpfen – und holen den verdammten Punkt! Wieder unser Mantra – bis weit übern Schlusspfiff hinaus. Als die Mannschaft gehen will, stimmen wir den neuen Gesang an. Trimbo beordert die Jungs in unsere Ecke zurück, auf dass wir alle gemeinsam singen: „FC Union … mit uns an deiner Seite wirst du niemals untergehn!“ Die Stadionanlage schweigt – danke Augsburg!
Abends am altehrwürdigen Rosenau-Stadion die große Fanparty mit 3 Bands aus Gosen bei Berlin und Augsburg. Hunderte Fans beider Vereine, die wild durcheinander feiern, tanzen – und ja, ich gebe zu: auch Bier trinken! Mitten im Publikum Ritter Keule, der bis zum Abwinken Fotowünsche erfüllt. „Ah, der Nussinger!“, begrüßt mich der General, der am Ende des Abends mit seiner Band auftreten wird. Ich fühle mich wie auf nem Open-Air-Konzert meiner Jugendzeit – damals mit „Freygang“ oder „Feeling B“, heute mit „Voxi und die Zechpreller“, „Abbruch“ und „Generation N“.
Damals wie jetzt in Augsburg feiere ich hemmungslos das Leben. Dieser Frieden stiftende General und alle, die zum Gelingen von Augsburg Calling beitrugen, einschließlich unserer beiden Vereine, haben hier etwas gerockt, was seinesgleichen sucht. Ein dreitägiges Kultur-Festival ohne Hass und mit irre viel Liebe. Die Liebe zu deinem Verein, ob du nun Gast- oder Heimfan bist – die Liebe zu dem Fußball, wie wir ihn lieben! Schade, dass ich irgendwann zum Nachtzug muss. Mein Trost: Kommt der FCA nach Berlin, wird bedingungslos zurück-gecallt!
Wer: Martin Krüger (45)
Wann:26.11.2024