Frank Nussbücker: Glücklicher 1. FC Union Berlin schießt VfB Stuttgart ab

Union-Sieg über VfB Stuttgart

Bildquelle: Harleypaul on Tour [], (Bild bearbeitet)

Auf das Thema VfB Stuttgart & Relegation angesprochen, geriet sogar unser stetig maximal fokussierte Cheftrainer ins träumerische Erinnern: Die letzten 15 Minuten des Spiels, der Moment des Abpfiffs, nach dem sich überall in unserem Stadion die Emotionen aufs brachialste Bahn brachen, die irrsinnige Feier mit Schiffsfahrt auf der Spree: Mannschaft und Staff auf der Viktoria, umringt von unzähligen Booten, umjubelt von Eisernen Menschenmassen …

Auch bei mir läuft immer, wenn ich den Namen unseres aktuellen Gegners höre, unweigerlich noch einmal dieser allzeit unvergessene Film aus dem Mai 2019 ab. Allerdings sehe ich darin auch das zerknirschte Gesicht eines Ex-Nationalmannschafts-Stürmers in damals Stuttgarter Diensten, der nach dem 2:2 in einer schwäbischen Auto-Arena: „Die feiern hier, als hätten sie schon gewonnen, aber es gibt noch ein Rückspiel!“ Armer Mann, völlig ohne Wissen darum, dass wir unsere Mannschaft wie uns nahezu immer feiern.

Unter den Augen Eiserner Legenden

Die Zeiten haben sich insofern geändert, dass wir in der Tabelle nicht erst seit gestern deutlich vor dem VfB rangieren. Auch, dass die zuletzt stets beeindruckend aufspielenden Männer mit dem berühmten roten Brustring auf dem Trikot gerade die rote Laterne halten, beruhigte mich bereits Tage vor dem Anpfiff so gar nicht. Erstens bin ich eh gern mal pessimistisch drauf – und zweitens war da doch irgendwas mit uns und Tabellenletzten …

Geschenkt, und dazu zigfach medial durchgekaut – sah ich es also volle Pulle optimistisch: Endlich wieder Union, und ich dank Einladung meines U-1966-Käptens gar mal wieder in der Schlosserei – eben dort, wo sich auch unsere Ehren-Unioner verlustieren. Ein Gespräch mit dem quicklebendigen Heinz Werner, legendärer Union-Coach aus DDR-Zeiten, bildete den rasanten Anfang. Mit ihm und Uwe Neuhaus, der zumindest öfter bei uns vorbeischaut, saßen also gleich zwei Trainerlegenden auf den Stadionrängen.

Wider den Verband

Der seit vielen Jahren in Schwaben lebende André Sirocks-Fußballgott fiebert ebenfalls nach wie vor mit seinem Verein, bei der er einst erwachsen wurde, als Mensch wie als Spieler. Mit dieser Unterstützung konnte doch eigentlich nichts mehr schiefgehen, oder? Oh doch, hätte es zumindest können, denn die Gäste aus Stuttgart zeigten sich nach gemächlichem Spielbeginn als die gefährlichere Mannschaft. Und dann war er plötzlich da, dieser Konter, der an unserem Torwart vorbei im Netz landete.

Lennert Grill, der heute unseren Kasten hütete, signalisierte Handspiel, doch das interessierte den Schiri nicht. Ärgerlich war das Ganze allemal, ach ja, und dann schaltete sich der VAR ein. Eine weitere Erinnerung an unseren Aufstieg, dieses komische Bild auf der Anzeigetafel. Aus dem Gästeblock Schmährufe wider den Verband – und Tatsache, VAR ist AdAF keine Stuttgarter Freude. Tor aberkannt – und nun erklang das „Sch…DFB!“ von unserer Waldseite, schließlich erwidert vom Gästeblock.

Sherry macht es!

Ich fand unsere Mannschaft nicht wirklich schwach, aber die Stuttgarter waren einfach mindestens einen Tick aggressiver, forscher – ja, sie wollten das Ding! Und kurz vor der Pause hätte es um ein Haar geklingelt in unserem Tor, sicher ohne VAR, aber mit einem überragend reagierenden Lennart Grill! So ging es mit einem für mich glücklichen 0:0 in die Pause. Ein Punkt wäre ok, hatte ich mir vor dem Spiel gesagt, aber was zählt das, spielt unsere Mannschaft mal wieder so eine irre zweite Hälfte?

Die befand sich in ihrer 6. Minute, als Sheraldo Becker – auf der Pressekonferenz am Donnerstag noch als krank gemeldet – mal wieder über links durchbrach. Und heute tat er dabei das, was er so irre gern macht, es aber schon lange, lange Zeit nicht mehr so vollendete, dass ein gegebenes Tor dabei raussprang. Ja verdammt, er ließ das Netz zappeln und uns allesamt jubelnd aufspringen und einander freudig abklatschen. „1:0 reicht ja, war ja och mein Tipp“, vernahm ich hinter mir.

 

 

2:0 mit „technischer Verzögerung“

Seit Beginn wie immer Lied auf Lied, und nun die gute, alte Bella Ciao-Version. Ecke Union, Pfiffe der Gäste, schade, der Schuss geht drüber. Angriff Stuttgart, aber Roussillon erkämpft uns einen Einwurf. Schade, sie nehmen uns den Ball wieder ab, greifen an, holen eine Ecke. „Dem Morgengrauen entgegen, ziehn wir gegen den Wind!“ Und weiter nehmen sie uns unter Beschuss. Freistoß von halbrechts, Grill Pflückt ihn aus der Luft.

Dann bricht Sherry mal wieder links durch, doch diesmal klärt der Torwart zur Ecke. Kurz drauf erneuter Angriff der Unseren. Roussillon auf Becker, der bedient Sturmpartner Behrens, welcher das Netz und uns Pogo tanzen lässt. Das Schiedsrichtergespann indes verweigert dem Treffer seine Anerkennung, hat jedoch wieder die Rechnung ohne den Kölner Keller gemacht. Plong, da zählt der Treffer doch. So sehr ich gestern dann doch über den Treffer zum so wichtigen zwei-Tore-Vorsprung freute, bleibt mir da heute ein blöder Nachgeschmack.

Und wieder schlägt es ein

Wenn‘s dicke kommt, dann richtig. Nur eine Minute später schepperte es erneut im Gästetor. Wieder wäre Kevin Behrens der eigentliche Vollstrecker gewesen, doch der wackere, hier natürlich unglückliche Genki Haraguchi-Fußballgott vollendete schließlich ins eigene Tor. Nun brachen für mich alle Dämme, wie sensationell hatte sich unsere Mannschaft hier ins Spiel gefightet – und nun den sicheren Knockout gesetzt, oder?

Noch nicht, denn Stuttgart wehrte sich weiter, griff unser Tor an, aber immer waren da Eiserne Abwehr-Beine oder unser Tormann zur Stelle. Mehr als einmal endete das wilde Flipperspiel erst beunruhigend spät, aber stets zu unseren Gunsten. Das Damir-Kreilach-Lied erklang, weckte tolle Erinnerungen an all die Unionlieder, die in den letzten Monaten so manches europäische Stadion gerockt hatten. Dann wieder Sherry durch, holt erneut eine Ecke raus, der finale Kopfball streicht knapp vorbei.

„Die haben doch gekämpft!“

Dreifachwechsel bei Union, als Genki geht, bekommt er noch einmal sein „Fußballgott“ um die Ohren, genau wir bei der Verlesung der Aufstellung und genau wie der liebe Herr Gentner, der mittlerweile als Nicht-Aktiver für seinen alten Verein arbeitet. Von den Rängen folgte, dem Spiel entsprechend: „Eine Abwehr aus Granit“ und unser Bundesliga-Song: Auf drei Seiten des Platzes flatternde Hände, die sich schließlich zur druckvollen Begleitung des Gesangs heben und senken, großartig!

In der 89. Unser Mantra – und dann tatsächlich doch noch der Ehrentreffer der Stuttgarter? Nee, wieder nichts, wird aus Gründen nicht gegeben, wir gewinnen tatsächlich vom Ergebnis her klar zu Null gegen einen Tabellenletzten! Abseits unserer Feier pfeifen die Gästefans ihre Mannschaft aus. „Die haben doch gekämpft!“, urteilt der Unioner links hinter mir. Ich bin einfach nur glücklich über unsere nächsten 3 Punkte und darüber, dass wir es mit unserer Mannschaft auch bei einem 0:3 anders halten als unsere heutigen Gäste.

Boonsche Tugenden den Jüngeren mitgeben

Auch unsere älteren und hochaltrigen Ehren-Unioner dürften zumindest dieses Ergebnis sehr genossen haben. Natürlich hätte es auch anders kommen können, dennoch ziehe ich einfach nur meinen Hut vor dieser Mannschaft, die sich derart vehement ins Spiel zurückgekämpft und dann auch das von Urs oft ins Feld geführte Wettkampfglück auf ihrer Seite hatte. Uns Unioner auf den Rängen hatte sie jedenfalls stets an ihrer Seite, was mich wieder an die Pfiffe der Stuttgarter denken lässt.

Als ich später im Coé ein paar Schwaben nach dem Warum frage, ernte ich von einer bis eben sehr freundlichen jungen Frau ein entrüstetes: „Weils‘ Scheiße gspielt ham!“ Dann nimmt meinen Käpten und mich einer zur Seite: „Wartet mal ab, wenn‘s bei euch mal wieder runter geht, ihr auf Platz 15 steht und dann so verliert.“ Unserem Einwand: „Wir wissen, wo wir herkommen und haben schon viel Schlimmeres erlebt“, entgegnet er: „Ich weiß, aber ihr seid nicht mehr alle.“ Klar, und was heißt das? Boonsche Tugenden, Jüngeren erzählen, was Union heißt – und jetzt diese irre Zeit genießen, Eisern heißt dit!


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