Frank Nussbücker: Union Berlin besiegt Mainz 05 - Befreiungsschlag zur richtigen Zeit

24. Spieltag - Union Berlin gewinnt gegen Mainz 05

Bildquelle: Harleypaul on Tour [], (Bild bearbeitet)

Die Welt brennt, wir werden am Ende der Saison mindestens einen weiteren Aufstiegshelden und amtierenden Vize-Kapitän verabschieden und gehen nach drei Niederlagen in dieses Spiel gegen aufstrebende Mainzer. Besonders das mit den Niederlagen erlebte manch altgedienter Unioner bereits sehr oft, in anderen Ligen, bei einer auf vielen Gebieten anderen Aufstellung unseres Vereins. Kurzum: Unsere gegenwärtige Situation stellt geradezu ein Luxusproblem dar. Selbst in unserer bislang doch recht übersichtlichen Historie in der 1. Bundesliga ist es nicht das erste Mal.

Zwischen dem 14. September und 6. Dezember 2020 verloren wir vier Spiele hintereinander, unsere Gegner hießen Werder Bremen, Bayer Leverkusen, Eintracht Frankfurt und die Radkappen, von denen jetzt noch 3 in „unserer“ Liga spielen. „Damals“ waren wir in 3 der 4 Spiele nicht das schlechtere Team, wohl aber erwiesen sich die Gegner als weitaus abgezockter. Auch in dieser Saison spielen uns selbst stärkste Gegner nur höchst selten gegen die Wand. Und auch vor gut zwei Jahren rissen wir, wie bislang immer in Unions Historie, eines Tages wieder siegestrunken die Arme hoch.

Stolz auf uns

Stolz bin ich darauf, dass sich unser Stadion auch nach unserer Heimniederlage gegen den BVB so anfühlte, als hätten unsere Fußballgötter gewonnen! Auch auswärts zeigten Unioner lautstärkemäßig klare Kante, stachen die Gesänge unserer zahlenmäßig weit unterlegenen Auswärtsfahrer deutlich heraus. Mich persönlich traf unsere kleine Niederlagenserie bislang auf angenehme Weise ernüchternd. Auch ich mit meiner ausgewachsenen Schampusliga-Allergie bekam seltsame Gefühle, als ich unseren Verein da oben auf Platz 4 stehen sah.

Und dennoch gilt für uns das, was Urs vor geraumer Zeit auf einer PK vermeldete: „Hinter uns stehen etliche Teams, die da eigentlich nicht hingehören.“ Natürlich will ich bei jedem Spiel, dass Union gewinnt – und doch ist mir klar, dass das am Ende nicht immer so kommt. Heute nun ging es also mal wieder um alles. Aufm Platz die Basics abrufen, die eigenen Stärken abrufen, bis uns das wankelmütige Wettkampfglück wieder hold ist. „Und wenn nicht – Scheibenkleister!“, wie Iron Henning singt, wenn wir im Stadion An der Alten Försterei mal wieder gewinnen.

Distanz und Friedenstaube

Im Block heute endlich mal wieder fast alle Steinis und überhaupt viele der bekannten Gesichter. Sogar Jürgen das Nordlicht ist dabei. Ehe ich ihn dazu ansprechen kann, vertraut er mir an: „Ich habe in den letzten Wochen und Monaten gelernt, dass man Samstag 15.30 Uhr auch was anderes machen kann. Hätte nie gedacht, dass das mal so kommt. Ich vermisse, dass ein Verein mal sagt: ‚Wir vermissen euch als Menschen!‘ Stattdessen fehlen wir ihnen scheinbar bloß als zahlende Zuschauer. Tut mir leid, aber ich empfinde es so.“

Diese Worte von einem, der seit über 30 Jahren nicht nur zu nahezu sämtlichen Spielen, unter anderem nach Wismar oder Falkensee-Finkenkrug, sondern auch regelmäßig in diverse Trainingslager fuhr, für Union blutete und generell immer für den Verein einstand: „Die in der Corona-Zeit entstandene Distanz wird größer.“ Vor Eisernet Lied spielte Wumme „Give Peace A Chance“. Zusammen mit Jürgen, Alfons Zitterbacke und zwei weiteren Unionern halten wir eine Friedenstaube hoch. Später die Schweigeminute wird eine echte sein.

Toooooor – oder etwa doch nicht?

Dann bricht der Orkan los. Die aus dem Gästeblock kommenden Äußerungen brüllen wir mit „Berlin, Berlin, Eisern Berlin“ nieder, gefolgt von „Auf geht’s Union, kämpfen und siegen!“ Mainz muss hintenherum spielen und foulen, Freistoß für Union. Begleitet von lautstarken Gesängen, entwickelt sich aufm Platz ein munteres Spiel. Angriff Union über rechts, der Keeper hat ihn. Ballgewinn im Mainzer Strafraum, leider wird nicht mehr draus. Unter den Klängen unserer Bella-Ciao-Version dringen unsere erneut in den Mainzer Strafraum ein.

War das ein Foul? Egal, unsere Fußballgötter behaupten den Ball. Genki hat ihn vorm Fuß, zieht beherzt ab, dass er, von einem Mainzer wohl noch abgefälscht, das Netz zappeln lässt. Jubelnder Aufschrei, wie geil ist dieser so bitter nötige wie erlösende Treffer! Doch wir haben die Rechnung ohne die moderne Technik gemacht. Wars möglicherweise Abseits, Hand- oder Foulspiel, Bodennebel? Wie auch immer, Schiri Dankert geht schließlich Fernsehen gucken, direkt unter uns an der Mittellinie …

 

 

„Unioner feiern überall!“

Auch das dauert. „Er hat gegrinst, das Tor zählt!“, orakelt Jürgen. Ein Mainzer Spieler ist drauf und dran, dem Schiri zu erklären, was er da zu sehen hat, doch dann ist es endlich klar: Tor zählt, „Eisern Union!“ Die Mainzer wirken kurz ein wenig von der Rolle, ohne dass wir daraus Kapital schlagen können, dann ziehen sie wieder an. Schon wieder Spielpause, was denn jetzt? Egal, weiter geht’s. Mainzer Angriff, Luthe fängt ihn. Bei unserem Angriff kommt Becker am Ende nicht richtig an den Ball. Nach einer Viertelstunde zieht Sheraldo aus der Distanz ab – denkbar knapp links vorbei!

Mainz kommt über rechts und setzt das erste heftige Foul des Spiels, sieht Gelb. Ach ja, wir spielen heute ohne Awoniyi und Michel im Sturm – wie schön, dass sich Genki für das Tor bereitfand. Bereits in Minute 23: „Dem Morgengrauen entgegen“, links von mir kommentiert mit: „Zu früh!“ Mainzer Ecke – zum Glück erfrischend harmlos, und wir singen: „Union braucht keinen Karneval – Unioner feiern überall!“ Jetzt aber kommen sie gefährlich über rechts! Andi Luthe verlässt seinen Strafraum, haut ihn ins linke Seitenaus! Der nächste Schuss der Mainzer geht weit übers Tor.

Geniale Chancen-Ausnutzung!

32. Minute, Dauerbelagerung unseres Sechzehners: Freistoß Mainz, wir können zur Ecke klären. Ihr folgt direkt der nächste Eckstoß – eigentlich eine Mainzer Spezialität, aber sie bleiben harmlos. Kurz darauf sind sie schon wieder vor unserem Kasten, ein Mainzer kommt aus bester Position frei zum Schuss – zum Glück daneben. Der hätte genau gepasst, bitte Aufpassen! Es folgen weitere Ecken, die eigentlich nicht hätten sein müssen, wie sich das aus sicherer Entfernung so locker sagen lässt. In der 42. holt sich Käpten Trimmel eine Gelbe ab. Mainz baut neu auf, der Schuss geht weit drüber.

„Und wir lieben unsern Club, und wir sind stolz auf ihn!“ Freistoß für uns, er geht ins Leere, dann wieder Mainz – Luthe! Wir stimmen unser Mantra an, aufm Platz zwei Freistöße kurz hintereinander. Erst wir, dann Mainz aus bester Position! Schön drüber geht der Ball, und Herr Dankert pfeift endlich zum Pausentee. „Ick würd mal sagen, hundertprozentige Chancenausnutzung, ums positiv auszudrücken“, diktiert mir mein Nachbar feixend. Warum nicht, oft genug war es andersherum.

Becker lässt es krachen

Hälfte 2 beginnt mit angreifenden Fußballgöttern. Zweiter Ball, Becker von rechts, aber keiner stand frei. Kurz darauf erneut der unermüdliche Niederländer, leider legt er sich den Ball zu weit vor. Wir singen, unsere Fußballgötter beackern den Rasen. 55. Minute, Distanzschuss – mitten hinein ins Tornetz! 2:0 für Union, ganz ohne Videobeweis, Abseits & Co, und wer wars gewesen: Sheraldo Becker, endlich hatte er sich und uns mit diesem herrlichen Treffer belohnt! Und doch wieder eine seltsam lange Pause am Mittelkreis – dann geht’s weiter. Mainz erarbeitet sich Ecken, und wir brauchen noch immer keinen Karneval.

Minute 59, Foul Mainz, war das bereits Frust? Egal, der Kerl hatte schon Gelb, wir sind einer mehr aufm Platz. Geht das gut? Der nächste Mainzer Angriff wird von einem Unioner abgelaufen. Paul Jaeckel holt sich eine Gelbe, und Taiwo kommt ins Spiel. Wir begrüßen ihn mit dem seinem Namen gewidmeten Gesang. Der Nigerianer bedankt sich mit dem 3:0 in Minute 75, was ist denn heute los!? Wie befreiend so ein Torschrei ist, und drei Tore jetzt schon fast eine sichere Führung, oder?

Und auch der Taiwo kanns!

Der Ball kam über links ins Zentrum, wo Awoniyi sich nicht lange bitten ließ. Kurz nach seinem Treffer darf sich Sheraldo sein wohlverdientes „Fußballgott“ abholen. Kurz sah es so aus, als würde unsere Mannschaft jetzt noch eine Schippe drauflegen wollen, aber dann war es an Mainz, das vierte Tor dieses Spiels zu erzielen. Ihnen blieben noch 3 Minuten Nachspielzeit, doch nun übernahm Union wieder das Zepter. „Warum macht er ihn nicht selbst!“, schreit ein Nachbar.

Nun wieder die Mainzer, sie holen einen Freistoß, wir uns zwei weitere Gelbe, dann sind alle Messen gesungen. 6:15 Torschüsse, aber 3:1 Tore, das fühlt sich gerade jetzt so verdammt gut an. Fast 6 Kilometer liefen unsere Fußballgötter mehr als ihre Gegner, diese Mühe hatte sich heute allemal gelohnt. Über zwei Stunden lang hatte wohl fast jeder im Stadion ausnahmsweise mal an nichts anderes gedacht als an dieses verdammte Spiel unserer Mannschaft. Vielen Dank dafür, Eisern Union!


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