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Bildquelle: Helfmann [CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons (Bild bearbeitet)
Dereinst sagte ich zu meinem Schulfreund Berge: „Weeßte, wat ick unbedingt mal erleben will? Das Dortmunder Westfalenstadion!“ Vor 20 Jahren war Berge seiner Liebe in den Pott gefolgt, und durch ihn hatte ich bereits Schalkes Spielstätte kennen gelernt, allerdings zum Berufsboxen. Kurz darauf beorderte mich Berge zu sich: „Wir gehen ins Westfalenstadion, Dortmund gegen Hertha! Ick hab Karten für uns jeholt, jibt Bier und Häppchen!“
Staunend saß ich zwischen ihm und einem Ultra mit Beinbruch gegenüber der größten Stehplatztribüne Europas. Wie steil diese Ränge waren, wie groß diese Betonburg! Als die Gelbe Wand loslegte, saß ich einem Orkan gegenüber. Was für eine Kraft! Folgerichtig fiel das 1:0 für den BVB. Doch sie wurden zunehmend leiser da drüben. Wohl, weil sich die Herthaner aufm Platz wehrten. Die Charlottenburger glichen aus, drehten das Spiel – und wir hörten nun immer deutlicher die blauweißen Berliner aus dem neben uns gelegenen Gästeblock.
Seit jenem Tag begleitete mich der große Wunsch: Einmal dieses Stadion rocken, wenn unsere Mannschaft hier spielt! Zusammen mit Berge, aber nicht sitzend und mit Häppchen, sondern stehen und singen im Gästeblock! Die Auslosung im DFB-Pokal machte es möglich, und dieses Mal war es an mir, als Mitglied einer riesigen Riesenschlange Karten zu besorgen. Im Auto von NEMO-Wirt Jo düsten wir in aller Frühe gen Ruhrpott. Berge einsammeln, ab zum Stadion, um unter dem Motto „Keine Wand ist unbezwingbar“ den scheinbar aussichtslosen Kampf aufzunehmen.
Um die 12.000 Unioner entfachten längst nicht nur bei der Pyro im unteren Block ein infernalisches Feuer. Noch heute überfällt mich augenblicklich eine Ganzkörper-Gänsehaut, sehe und höre ich einen Videoschnipsel unseres Auftritts in Deutschlands größtem Fußballstadion. Die von uns hochgezogene Rote Wand, vom Verein mit Eisern-roten Regenjacken ausgestattet, zeigte sich jener Gelben mehr als nur ebenbürtig, und auch unsere Fußballgötter fighteten wie irre und glichen die Dortmunder Führung aus.
Als da unten das richtige Tornetz zappelte, entfachte das bei uns die wildeste Ekstase. Nach und nach formte sich aus 12.000 Einzelsängern der brachial schallende Chor: „Eisern Union, Eisern Union, Eisern Union…!“ Erst im Elfmeterschießen mussten sich unsere Helden dem damals noch zweitbesten Bundesligisten geschlagen geben. Hinterher im Biergarten gestanden uns etliche Dortmunder: „So einen Support wie von euch haben, wir hier noch nie erlebt!“
Ein irrer Fußballabend, der geht nicht zu toppen, oder? Denkste! Zwei Spielzeiten später der nächste Pokal-Fight unserer Fußballgötter gegen den BVB, wieder auswärts im Pott. Natürlich sind Berge, Jo und ich auch dieses Mal dabei, als 3 der diesmal „nur“ etwa 8.000 Unioner. Die Gelbe Wand ist vorbereitet, beide Naturmächte liefern sich ein hartes Match. Genau wie die Mannschaften auf dem Rasen. Zweimal kommt Union zurück!
Unvergessen, wie wir die Halbzeitpause durchsangen: „FC Union, unsre Liebe, unsre Mannschaft, unser Stolz…!“ Sie drehen die Anlage lauter, beschießen uns mit 0815-Werbung, wir singen weiter, machen diesen Versicherungs-Tempel zu unserem Stadion! Wieder empfand ich es als bestenfalls zweitrangig, dass der Sieger aufm Platz, diesmal „nur“ nach Verlängerung, wieder nicht 1. FC Union Berlin hieß.
Die nächste Chance dazu bekamen wir erst nach unserem Wechsel der Spielklasse nach oben. Am Samstag, dem 31. August 2019 mussten die Dortmunder zum Punktspiel An der Alten Försterei antreten, und unsere Mannschaft wuchs endgültig über sich hinaus. Die Führung für Union, von uns frenetisch gefeiert wie das gesamte Spiel, war durchaus verdient. Dortmund zieht an, gleicht aus, werden sie uns nun zerlegen? Mit gemischten Gefühlen ging ich in die Pause.
Was dann kam, erschien mir damals als pures Fußballwunder. Nicht die Rasenmillionäre, sondern eine Mannschaft Eiserner Fußballgötter dominierte den Kampf. Im dritten Spiel in Bundesliga 1 feierten wir mit 3:1 unseren ersten Sieg! Wer nach Abpfiff noch ungehindert reden konnte, war entweder nicht im Stadion oder hatte dort nicht alles gegeben. Ok, in der Rückrunde haute uns der BVB weg. Noch ärgerlicher, dass das Gros unserer Ultras am Betreten des Stadions gehindert wurde.
Diese Saison bewies unsere Mannschaft, dass sie sogar ohne uns diesen Gegner schlagen kann. Wenn auch „nur“ mit 2:1, vielen Dank dafür allen Beteiligten! Heute also das Rückspiel in Dortmund. Zumindest haben die dortigen Verantwortlichen heute keine Chance, ihrem offensichtlichen Hobby nachzugehen. Kein Gäste-Fan da, den sie mit welcher Begründung auch immer den Zutritt verweigern brauchen. Wir mit dem Herzen dabei, unsere Mannschaft jenseits der 40 Punkte-Marke – also los, auf zum Bonusprogramm im Geister-Spielbetrieb!
Und Union legt los wie die Feuerwehr. 12 Sekunden sind von der Uhr, als der Ball ans Aluminiumgestänge des Dortmunder Tors knallt. Gelber Abspielfehler, strammer Schuss von Ingvartsen, leider landet auch der Nachschuss nicht im Netz. Und unsere Fußballgötter machen weiter Druck. Endo über links, leider zu ungenau. Foul Dortmund, leider nimmt uns des Schiris Pfiff den Vorteil. Egal, weiter!
In der 9. Minute kommt plötzlich Marco Schwälbchen in unserem Strafraum an den Ball, der zum Glück ganz knapp am rechten Pfosten vorbeigeht. Und die Signal-Iduna-Jungs drücken jetzt, immer wieder kommen sie vor unser Tor. Den nächsten Schuss wehrt Andi Luthe nach vorne ab, wieder sehe ich gefährliche Freiräume in unserem Sechzehner. Nächster versuch Gelb, Luthe faustet nach links, Ecke. Endlich Union mal wieder im Angriff, wieder über Endo, leider ohne Erfolg.
Schon ist Minute 25 erreicht, in welcher Marco eindrucksvoll rechtfertigt, dass er zumindest für mich wohl lange, lange Zeit mit Familiennamen Schwälbchen heißt. Bitte nicht böse sein, ihr lieben Mitglieder der Vogelfamilie Hirundinidae. Ich weiß, ihr könnt ja nichts dafür! Eigentlich völlig stümperhaft, wie er da abhebt, und im Videokeller suchten sie offenbar gerade das Kölsch-Gläschen unterm Tisch. Einen lächerlicheren Elfmeter hab ich lange nicht gesehen.
Und Fußballgott legt noch eins drauf – Luthe hält, muss den Ball aber prallen lassen, dass ein Gelber die Murmel dann doch noch einschieben kann. „Eisern Union!“ hätten wir jetzt im Stadion gebrüllt – so schreien mein Nachbar und ich immerhin zu zweit die Wand an. Und unsere Mannschaft ist Eisern! Sofort ein Angriff, Musa durch, leider Abseits. Foul an Endo, der Freistoß leider ohne Erfolg. Dortmund schießt in die Richtung unseres Tors, weit, weit drüber. Mir stockt der Atem, als der Dortmunder Wikinger frei vor unserem Tor auftaucht – Andi Luthe haut ihn weg … den Ball!
Unsere greifen weiter an, doch die Abschlüsse passen genau in die Fangarme des Dortmunder Keepers. Es folgt der Pausenpfiff. Eine erste Halbzeit, in der mir unsere Mannschaft ausgesprochen gut gefiel. Lese ich jetzt die Kommentare im Netz, klopfe ich meinem Nachbarn und mir auf die Schulter, dass wir den Kommentator leise drehten. Also los, weiterkämpfen und vielleicht ja doch noch siegen!
Kaum ist das Spiel wieder angepfiffen, kommt Union über rechts – schade, nicht drin. Immerhin Ecke – doch der Schiri entscheidet auf Offensiv-Foul. In der 50. Minute ein vielversprechender Angriff – schade, ein Missverständnis zweier Unioner. Der nächste gute Schuss wird wieder von der Abseitsfahne des Linienrichters begleitet. In der 64. stimmen wir spontan das Torsten-Mattuuuuuschka-Lied an, als Max Kruse sich den Ball zum Freistoß zurechtlegt.
Rrrrrumms, knallt er ihn an den Pfosten, was für ein Schuss – und was für ein Mist, dass das Netz nicht tanzt! Der nächste Freistoß landet wieder in den Armen des Schlussmanns. Kurz drauf schon wieder kein Vorteil, schade! In der Schlussphase etliche Ecken auf beiden Seiten, schließlich der irgendwann unvermeidliche Konter der Gelben, und sie hauen ihn rein, Mist verdammter! Aber klar, so ist das nun mal. Union unterliegt erhobenen Hauptes!
Ich bin kein Freund des Schiri-Bashing und werde dies auch hier nicht tun. Mies und läppisch finde ich hier einzig die Show von Schwälbchen-Marco. Und gerade, als sich in meinem Schädel eine Anti-Lüdenscheid/Nord-Rede formiert, piept mein Telefon. Eine Nachricht von meinem schwarzgelben Kumpel „Oppa“ Dirk: „Tut mir leid, mein Lieber, das war kein Elfmeter. Aber da geht noch was für euch!“ Da kann ich Oppa einfach nur zustimmen, da geht noch ne Menge, Eisern heißt dit!
Wer: Christopher Busse (35)
Wann:16.11.2024