Frank Nussbücker: Unioner sein heißt menschlich bleiben

Unioner bleiben stets menschlich

Bildquelle: Harleypaul on Tour [], (Bild bearbeitet)

Es ist grad so wunderbar irre, Unioner zu sein – aber war es das nicht schon immer? Denke ich nur an die legendären Siege der Saison 1976/77 gegen die damals übermächtigen Unroten auf der Zickenwiese. Mein Jugendidol Potti Matthies im Tor, vor ihm Vorstopper Rolli Weber, ganz vorn Kapitän Sigusch – die gesamte Unionmannschaft hängte sich rein und besiegte ‚die da‘ mit Eisernem Kampfgeist. Mit heißem Herzen saß ich vorm Fernseher und konnte es kaum glauben, was „Sport-Aktuell“ da vermeldete.

Das Wunder von der Elbe, der Klassenerhalt in letzter Sekunde in Karl-Marx-Stadt, schließlich gar Europapo – immer wieder gab es ganz besondere Höhepunkte um unseren geliebten Verein. Als ich im März 2009 nach zwanzigjähriger Stadionabstinenz zum ersten Mal wieder leibhaftig Union kiekte, war es dieser eine Stadiongesang, der mich sofort mitten ins Herz traf: „FC Union, unsre Liebe, unsre Mannschaft, unser Stolz, unser Verein: Union Berlin!

Von janz engen Kisten

„Ist das nicht ein bisschen zu persönlich?“, fragte mich mein Freund Jensi, den ich zu einem unserer Auswärts-Heimspiele in den Jahn-Tierpark mitgenommen hatte, was damals fast nie ein Problem darstellte. „Das ist genau richtig so!“, konnte ich Jensi darauf nur erwidern, „dit is‘ Union!“ Persönlich, manchmal knallhart, uff jeden Fall jedoch menschlich, so empfand und empfinde ich meinen Verein bis heute. Zusammenhalten, zueinanderstehen, auch wenn’s mal barbarisch schiefgeht!

Da kann durchaus auch mal eine gehörige Prise schwarzer Humor und Selbstironie dabei sein, wie bei der mit „Das wird ne janz enge Kiste!“ besungenen 0:7 Klatsche beim 1. FC Köln in der Saison 2002/03. Besagter Gesang kam ebenfalls zum Einsatz, als wir am 3. Juli 2011 daheim AdAF mit 0:4 gegen die SpVgg Greuther Fürth untergingen. Unsere Mannschaft versuchte vieles und gab alles, doch der Gegner wusste es stets besser.

Achtung ohne Häme

Hier spürte ich auf unserer Seite keinen Fatz Häme gegenüber unserer Mannschaft. Auf ihrer Runde, welche die Fußballer unserer 1. Herren nach einem solchen Ergebnis garantiert nicht gerne drehten, empfingen sie unseren Dank dafür, dass sie es auch gegen einen klar besseren Gegner immer wieder versucht hatten. Im Unionprogramm zum nächsten Heimspiel berichtete ein Ehepaar aus Fürth, wie sie in der Gaststätte, in der sie nach dem Spiel einkehren wollten, zunächst mit den Worten empfangen wurden: „Sie werden hier nicht bedient.“

Kurz drauf schenkte ihnen der Kellner ein Lächeln, geleitete sie zu einem freien Tisch, wo er ihnen als erstes einen Siegerschnaps auf Kosten des Hauses vorsetzte. „So sehen Sieger aus!“, brachten ihnen die in Unions Farben gekleideten Kneipengäste das gebührende Ständchen. Keine Häme gegenüber der eigenen Mannschaft und Anerkennung des Gegners, wenn der nun mal klar besser war – das sind Momente, die mich besonders stolz auf uns machen!

 

 

Wir alle hießen plötzlich Köhler

Ein Union-Spieler, über den viele von uns – mich eingeschlossen – gerne meckerten, war Benny Köhler. Ich erinnere mich noch an mein gelegentliches kurzes Aufstöhnen, stand er wie fast immer in der Startformation. Alles Gemecker war auf einen Schlag hinfällig, als wir von seiner Krebsdiagnose erfuhren. Beim nächsten Heimspiel saß Benny in des Präsis Loge auf der Tribüne – und alle unsere Spieler hießen bei der Verlesung von Mannschaftsaufstellung und Bank „Köhler-Fußballgott!

Nie vergesse ich unseren ohrenbetäubenden Jubel, als Benny nach OP, Reha und Aufbautraining tatsächlich zurück auf den Platz kam – erinnere ich mich richtig, in einem Spiel gegen Eintracht Braunschweig, das wir am Ende auch dank Benny mit 2:1 gewannen. Wir bejubelten jeden seiner Ballkontakte, und ich schrieb, dass ich mich drauf freue, eines Tages mal wieder über ihn zu meckern. Benny blieb bis heute Sieger gegen das A…….h Krebs und viele, viele Unioner kennen noch immer seinen Namen.

„Wir werden ewig leben!“

Als es uns nach 30 Jahren Erstliga-Abstinenz glückte, in die von Unionern seit den Siebzigern herbeigesungene Bundesliga zu wechseln, nutzten wir diese Gelegenheit, dies zusammen mit 455 Eisernen zu tun, welche diesen Tag nicht mehr leibhaftig miterlebten. Väter, Mütter, Anverwandte, Eiserne Fußballgötter vergangener Tage, Union-Originale von den Rängen, verdiente Mitstreiter – sie alle erlebten auf diese Art unseren Bundesliga-Einstand mit.

Aufm Platz erlebten wir eines jener Spiele, in denen der individuell wie überhaupt mächtig überlegene Gegner unserer Mannschaft keine Chance ließ. Wir verloren 0:4 und bejubelten nach 15 Minuten schweigendem Protest dennoch jeden gewonnen Zweikampf, jede irgendwie halbwegs gelungene Aktion unserer Spieler. Wir feierten uns selbst und die Mannschaft, letztere allein schon dafür, dass sie uns bis hierhergebracht hatte, in die Beletage des deutschen Fußballs, danke Unioner!

 

 

Europapo – und dann sowas!

In dieser hielten wir uns, allen anfänglichen Unkenrufen zum Trotz, mehr als nur beachtlich. Als Max Kruse nach Vorarbeit von Sheraldo Becker in quasi letzter Sekunde unserer zweiten Oberhaus-Saison zum 2:1 gegen ein stinkreiches Farmteam einköpfte, wurde ein weiteres hart erarbeitetes Wunder wahr. Mitunter selbstironisch herbeigesungen und 20 Spielzeiten zuvor das letzte Mal erlebt: „Europapokal, Europapo!“, Union war dabei!

Eines der entscheidenden Gruppenspiele fand unter Dauerregen im Berliner Olympiastadion statt. Der Gegner war aufm Rasen etwas besser als wir, aber es stand 1:1 und unsere Mannschaft befand sich auf bestem Weg! Genau da unterlief unserem Torwart ein haarsträubender Fehler! Schon stand es 1:2 gegen uns, waren wir alle tief geschockt – um wenige Schrecksekunden den Namen unseres Tormanns zu brüllen: „Luthe, Luthe, Luthe, Luthe!

Eisernes Ehrentor

Als ich Andi Luthe für mein Buch „Eisern nach oben“ fragte, ob er unsere Reaktion mitbekam, fiel er mir geradezu ins Wort: „Das bekomme ich immer mit! … Das ist ‘ne große Ehre und bei weitem nicht selbstverständlich. Schaust du dich in der Bundesliga oder allgemein im Profisport um, dann siehst du: Sehr, sehr selten haben Fans so ein Gespür für die Situation oder den Sportler, der in der Regel alles gibt und dem als Mensch auch mal ein Fehler unterläuft!“

Du bist nicht der weltbeste auf deiner Position, du machst auch mal was falsch? Dann bist du ja wie wir – herzlich willkommen, du bist ein Unioner! Das gilt Stand bislang für jeden Spieler, der für uns ackert! Unvergessen auch das Ehren-Tor von Jérôme Roussillon vor wenigen Wochen: Kurz vor Abpfiff hatte er eine Hundertprozentige verstolpert! Wie Andi ärgerte sich auch Jérôme am meisten darüber. Also legte ihm ein Mitspieler nach Abpfiff den Ball noch einmal hin, und er haute ihn unter unserem Jubel hinein! Wir stehen zusammen, nur dann sind wir Union, Eisern heißt dit!


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