Frank Nussbücker: Wie früher gegen Sandhausen – Unioner feiern überall!

Frank Nussbücker Kolumne zum Spiel Union Berlin gegen Köln

Bildquelle: Frank Nussbücker [], via Wikimedia Commons (Bild bearbeitet)

„Rufst du mich morgen nach dem Spiel bitte an?“ So lauteten Mamas Abschiedsworte, als ich sie am Samstag im Krankenhaus besuchte. Sie ist 84 und hat sich die rechte Schulter gebrochen. Besonders nach der OP machen ihr die Schmerzen mächtig zu schaffen. Union verfolgt sie, sage ich mal hauptsächlich wegen mir. Sie hatte „unsere“ gesagt, als sie mich fragte, ob der 1. FC Union Berlin am Sonntag spielt.

Bevor ich mit Späti-Hannes nach Köpenick fuhr, orderten wir in „seinem“ Laden paar Bier. Gab ja nur alkoholfrei im Stadion, ein lieber Gruß der 1. Liga? Die ist nun schon seit Wochen endlich für uns da. Nicht nur auf dem Papier, sondern ganz, ganz in echt. Heute nun der Kampf gegen einen, der vor paar Jahren noch ein Großer für uns war. Heute galten wir als Favorit gegen den 1. FC Köln. Mir war nicht wohl dabei, aber Spieltag ist Spieltag.

Eiserne Sponsoren - Eisernes Knie

Am Barkas singe ich mich ein, mache Werbung für die Tombola-Lose der Union-Stiftung. Viele, viele schlagen zu und sind somit auch Sponsor der nächsten Auswärtsfahrt von Eisern trotz(t) Handicap. Eine gute Stunde vor Anpfiff sind alle Lose verkauft. Im Block ist es so voll, dass wir wieder weit auseinander stehen müssen. Der Gästeblock ganz in Weiß, die Kölner machen ordentlich Bambule.

Dem schließen sich ihre Kicker auf dem Rasen an. Immer wieder schinden sie erfolgreich Freistöße, unsere schaffen das nur einmal. Plötzlich ist Köln durch. Abseits, oder? Nee, es gilt, und unser Tor sperrangelweit offen – der Schuss geht knapp daneben. Unser Keeper bleibt im Brennpunkt des Geschehens. So gar nichts deutet darauf hin, dass noch vor ein paar Tagen sein Knie fürchterlich malträtiert aussah.

Hasta la vista olé!

Zwischen all den Gesängen stimmt plötzlich links hinter mir einer den Ost-Klassiker an: „Hasta la vista – olé!“, fallen wir Älteren wie zu Oberliga-Zeiten ein, bis zum finalen: „Halleluja, halleluja, halleluja FCU!“ Und schon wieder ein Freistoß für Köln aus viel versprechender Position! Wieder nix, dafür ein Patzer in deren Abwehr. Ein Kölner fällt hin, bleibt einen Tick zu lange liegen. Als er aufspringt, ist unser Angreifer längst auf dem Weg zum Tor. Beherzter Schuss, der Keeper klärt mit den Fingerspitzen zur Ecke.

Für einen klitzekleinen Moment erinnere ich mich an jene Zeiten, da ich bei Eckstoß Union vor allem Angst vor dem sich direkt anschließenden gegnerischen Konter hatte. Die Gegenwart spricht eine andere Sprache: Ecke Trimmel, Kopfball Andersson – Tooor! Auch wenn die Biere heute aufgrund ihrer Verbannung nicht fliegen können, der hemmungslose Jubel fühlt sich mal wieder irre an.

Willkommen und Abschied

Und nach dem dreifachen Eisern Union sind wir noch lange nicht am Ende mit unserem Stimmband-betriebenen Torhymnen-Konzert. Unsere Arme wippen auf und nieder zu: „FC Union, du wirst siegen, glaub an dich, und es wird wahr …!“ Ich sauge diese Momente tief ein, in denen unsere Mannschaft unschlagbar scheint und unser Gesang wie eine Naturgewalt das Stadion vibrieren lässt. Wir sind noch beim ersten Durchgang unseres 1. Bundesliga-Lieds, als die Unioner auf dem Platz fast das 2:0 erzielen.

 

 

Halbzeit, und wir führen mal wieder. Ich verbiete mir jede Tabellenrechnerei, freue mich einfach an diesem Gefühl, dass wir uns womöglich erneut zum Kämpfen UND Siegen versammelt haben. Wir hier im Stadion, viele weitere Unioner in den Fußball-Kneipen und vor Fernsehern und all jene in Block H, wohin wir auch heute wieder mehrere Eiserne verabschieden. Links hinter mir leuchtet der rote Puschel von Torsten Eisenbeisers Weihnachtssingen-Mütze – schon wieder ein Jahr in den letzten Zügen?

Technik, die begeistert

Der Kampf geht weiter – und es ist unsere Mannschaft, die angreift und Akzente setzt! Erinnert sich noch jemand daran, wie uns der Gegner gerade in diesen ersten Minuten nach der Pause regelrecht überrannte? Nix da, Union kontert arschcool – ein Verteidiger kratzt den Ball gerade noch aus der Gefahrenzone. Was ist jetzt los, was macht der Schiri da? Ja, verdammt, das Spielgerät war bereits hinter der Linie. 2:0 für Union, jubelnd rasten wir aus!

Erst einen Tag später wird mir bewusst: Wieder mal jubelten wir dank moderner Digitaltechnik. Während es die Torlinien-Technologie am Handgeleng des Schiedsrichters vibrieren ließ und dieser den Treffer ganz ohne Videobeweis anerkannte, klemmte an unserem altehrwürdigen, handbetriebenen Anzeige-Häuschen die Tafel mit der soeben ungültigen 1 drauf. Sind das Versuche des modernen Fußballs, uns Unioner zu „kaufen“? Ganz alte Schule stimmt die Waldseite schon sehr früh den Union-Walzer an. Ich singe und schunkle mit, hilft ja eh nix.

Unsere Mannschaft spendiert Eiserne Lebenslust

Bei der erweiterten Ausführung des mit Fanschal-Gymnastik aufgepeppten „Schal-lalala“-Wechsel-Gesangs: erst wird der Schal hochgehalten, dann im Wechsel gekreiselt, singe ich jedoch nur mit. Mein Aberglaube ist noch zu stark. Ihm gehorchend, verändere ich die Position meines Unionschals nur, wenn ich damit einen anderen Spiel-Fluss heraufbeschwören will. Und danach steht mir grad so gar nicht der Sinn.

Wir singen durch, während der Gästeblock dem Spielgeschehen demonstrativ 2.000 Rücken zuwendet. Zumindest die Kölner auf den Rängen zeigen Biss, während die auf dem Platz höchstens mal wieder durch intensives Hinfallen einen Freistoß erwirken. Der verpufft dann kläglich oder wird von unserem Torhüter entschärft. Unsere Mannschaft ringt den uns finanziell weit überlegenen Effzeh nieder wie vor paar Jahren die unbequemen Sandhäuser. Unser Kommentar: „Union braucht keinen Karneval, Unioner feiern überall!“ – auch im Krankenhaus. Als ich meiner Mutter das Spielergebnis durchsage, heißt ihre Antwort: „Da hab ich wieder richtig Lust zu leben!“


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