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Bildquelle: Harleypaul on Tour [], (Bild bearbeitet)
„Ja, wenn der Frühling kommt, dann schenk‘ ich Dir – Haschies aus Amsterdam“, hab ich grad jenen Ska-Song, den mir einst mein Freund Malko auf CD brannte, in Dauerschleife im Kopf. Ich fand ihn nirgendwo im Netz und auch Malko kann sich nicht mehr daran erinnern. Hab ich mir diese locker-steile Version des ollen Tulpen-Schlagers nur eingebildet – genau wie das Spiel unseres Vereins in der Johan-Cruyff-Arena?
Ein Blick auf all die Postings Eiserner Reisekader beruhigte mich schnell: Wir spielen tatsächlich in der Europa League gegen den in der Haschies- und Tulpenstadt ansässigen, weltberühmten Amsterdamsche Football Club Ajax, uff deutsch: Ajax Amsterdam! Das Ganze in einem europäischen Pokalwettbewerb mit der Roma, Schachtjor Donezk, AS Monaco, der alten Dame Juve, FC Sevilla, Sporting Lissabon – und mittendrin die Begegnungen Barca gegen ManU sowie Ajax gegen Union – irre!
Da mir meine Fantasie also ganz offensichtlich keinen Streich gespielt hatte, wagte ich es, im Netz nach der Vor-Spiel-Pressekonferenz unseres Vereins zu suchen. Und siehe da, auch die gab es ganz in echt! Ihre drei Akteure Sheraldo Becker, Christian Arbeit und Urs Fischer ruckelten auf ihren Stühlen herum, allen dreien war die enorme Aufregung deutlich ins Gesicht geschrieben. Matze Kochs Eingangsfrage nach dem zur Verfügung stehenden Personal gab Urs die Chance, sich mit puren Fakten warm zu reden.
Trimmi und Haberer gesperrt, András noch verletzt, ansonsten alle dabei! Alle Spieler, die nicht dem Aufgebot angehören dürfen, würden auf der Tribüne sitzen, um ihre Kollegen aufm Platz und an der Linie zu unterstützen – ein weiterer Ausdruck dessen, dass Union Berlin eben ein Team ist, das verdammt nochmal zusammenhält! Unser Beharren auf den 40 Punkten hinterfragte ein niederländischer Pressevertreter, vor allem aber nahmen sie Sheraldo Becker in die Mangel, jenen Niederländer, der einst 2 Jahre bei Ajax gekickt hatte, ohne dabei in deren 1. Herren eingesetzt zu werden.
Obgleich er jüngst mit einer Rückkehr in sein Heimatland und den Kader seines berühmten Geburtsort-Clubs liebäugelte, lobte er unseren Verein „This Club is very warm … one and together!“, dass sich Christian anschließend spontan bei ihm bedankte. Ob denn seine im Stadion anwesende Familie nicht doch für Ajax sei, bohrte man nach, was Sherry lächelnd verneinte. Urs Fischers prophetischer Satz: „Es wird genug schwierig, aber es gibt Möglichkeiten“, erinnerte mich an Max Schmelings „Ich habe etwas gesehen!“ vor seinem ersten Fight gegen Joe Louis.
Der „Braune Bomber“ galt als haushoher Favorit, genau wie mir der zigfache niederländische Meister & Pokalsieger und sechsmaliger Gewinner eines europäischen Pokalwettbewerbs, Weltpokal & Co nicht mitgezählt! Was den Marktwert angeht, läge Ajax mit aktuell 274,85 Millionen Euro in der Bundesliga auf Rang 5, zwischen Bayer und Eintracht Frankfurt. In jedem Fall weit, weit vor dem 11. Union Berlin mit für uns sensationellen 117,90 Millionen Euro.
Auch wenn es unsere irdischen Fußballgötter nicht mit Edwin van der Sar, den Gebrüdern De Boer, Jaap Stam, Matthijs de Ligt, Edgar Davids, Johan Neeskens, Rafael van der Vaart, Marco van Basten, Zlatan Ibrahimović oder Johan Cruyff in ihren jeweils besten Zeiten zu tun bekamen – auch Ajax‘ aktuelle Mannschaft würde sie vor eine echte Mammut-Aufgabe stellen. Und spätestens kurz vor Anpfiff musste die vollste Konzentration diesem einen Spiel gelten, dem für uns wieder einmal wichtigsten Match aller Gegenwart!
Weiß und Rot leuchtete und glühte der Oberrang, „dem Morgengrauen entgegen!“ Der Anpfiff verschiebt sich, denn die Torhüter können einander nicht sehen im Qualm. Dann geht’s los, und Union erkämpft sich eine Ecke. Sie wird abgewehrt, dann Becker über rechts – leider nicht, aber unsere Mannschaft ist voll da! Noch immer halten unsere Auswärtsfahrer die akustische Hoheit, dann sind nur noch die Ajax-Fans zu hören, allerdings nur recht kurz – Atmosphäre steht!
Ajax führt den Ball, wo es uns nicht wehtut, „Eisern Berlin!“ Dann aber sind sie auf links durch, Gestocher in unserem Strafraum, wir kriegen den Ball nicht weg, nach unendlich sich dehnenden Sekunden endlich Aufatmen: „Auf geht’s Union, kämpfen und siegen!“ Viele Zweikämpfe, die gefühlt meisten gewinnen Unsere. Geht ein Ball Richtung Tor, dann stets aufs gegnerische, nichts dagegen! Ein Konter der Hausherren, diesmal von Leite geklärt. Von den Rängen ein Eiserner Gesang nach dem anderen: Dem Schal-Song folgen „F-C-U-Fußballclub Union Berlin“, „Wir sind Unioner, wir sind die Kranken.“
Alle im Stadion dürften jetzt wissen, gegen wen der berühmte Heim-Club hier zu bestehen hat. Dank des Co-Kommentators Felix Kroos bekomme ich auch als Streamender eine gehörige Portion Union vermittelt, sofern der Stream nicht hakt oder gar ausfällt. … Becker über rechts, Flanke in den Sechzehner, der Torwart fängt die Pille ab. Alle Unioner rackern ohne Ende, verschieben, pressen, lauern, immer wieder Kapitän Rani an vorderster Front! Ajax über links, vergebliche Flanke ins Zentrum, Neuaufbau hintenrum. Bravo, Fußballgötter!
Freistoß Ajax aus gefährlicher Position: Der Ball landet, fernab jedweder Torgefahr, in Frederiks Armen. Union mit einem langen Ball nach vorn – durchaus gefährlich, zumindest im Ansatz. 32. Minute: Freistoß für uns, ebenfalls aus guter Position! Er wird abgewehrt, genau wie der zweite Ball, jetzt bauen zur Abwechslung mal wir hintenrum auf. Dem erneuten Schal-Gesang folgt „1. FC Union Berlin – und alle!“ Die Unioner aufm Rasen greifen an, es brennt im Strafraum, „FC Union international!“
Als der Schiri zum Pausendrink bittet, stehen laut Statistik 0:8 Torschüsse zu Buche. Der Gegner ist länger am Ball, bei gewonnenen Zweikämpfen liegen wir vorn, Felix verrät: „Union ist bislang die bessere Mannschaft!“ Aber eine Halbzeit kommt ja noch … Diese beginnt Ajax mit einem neuen Mann und gehörig Aggressivität! Sie holen ihre erste Ecke, der Nachschuss landet in Rønnows Armen! Schon wieder ein schneller Angriff des Gegners, doch Frederik ist draußen, verhindert Schlimmeres.
„He FC Union!“, ackern unsere Reisekader, und die aufm Platz erkämpfen einen Freistoß aus einer Position, von der Felix Kroos zurecht behauptet, dass es die seine sei. In jedem Fall gegen Austria Salzburg versenkte er die Kugel von dort aus im Netz. Der Schuss kommt scharf Richtung rechte Ecke, doch der Keeper kann klären. Unsere stochern im gegnerischen Strafraum, dann kommen sie über rechts: Flanke in den Strafraum, der Keeper fängt sie ab. Ajax versuchts mal mit einem Fernschuss, bald drauf mit einem Freistoß kurz vorm Sechzehner – Nada, das heißt Nichts!
Wirklich gefährlich dagegen Union: Becker tankt sich links durch, gibt an Behre weiter, der in den Strafraum flankt zu Thorsby! Morten zieht ab, das Netz zappelt, nicht nur ich reiße, heftige Jubelschreie ausstoßend, die Arme hoch. Das Stadion tobt, zumindest die mindestens 2.650 Eisernen! Wunderbare Momente, bis das Kürzel VAR zum sinnbildlichen Coitus Interruptus ruft. Hand solls gewesen sein, der Schiri kiekt Fernsehen – und lässt diesmal unsere Gegner jubeln.
Die Ajax-Fans feiern das Ganze wie ein Tor ihrer Mannschaft. Das sehe ich ausschließlich als ungewolltes Kompliment an unsere verdammt unbequem zu bespielende Mannschaft. „Gegen Union zu spielen, das macht keinen Spaß“, das wissen sie mittlerweile auch in einigen Gegenden Europas, wohl selbst in Manchester, wo unsere 1. Herren noch nie spielte! Die gegnerischen Spieler wirken beflügelt von der kurzzeitigen Lautstärke ihrer Anhänger und werden gefährlich, … kurzzeitig.
Unsere Mannschaft steckte das „Technik-Schnickschnack-Gegentor“ weg, vereitelte vielbeinig, robust wie konsequent die nun doch vorkommenden Amsterdamer Angriffsbemühungen. Urs wechselte die Offensive, die Mannschaft spielte weiterhin wie aus einem Guss. Bis zum Abpfiff blieb Union das gefährlichere Team aufm Rasen, das aktivere auf den Rängen. Bei allem Ärger eine irre starke Leistung derer, die vorab von so manchen „Experten“ als klarer Verlierer tituliert wurden.
„Da ist man an einem Freitagmorgen einfach mal auf der Rückfahrt eines Europa-League-Spiels, daran werde ich mich hoffentlich nie gewöhnen“, lese ich die Zeilen von Freund Christoph. „Selten habe ich so viele bekannte Gesichter im Block gesehen, wie gestern. Bei der Ticketvergabe scheint einiges richtig gelaufen zu sein. Natürlich standen Unioner vor dem Stadion und in den Kneipen vor Ort oder blieben mangels Karten zu Hause. Aber die, die drin waren, haben Union nicht erst im letzten halben Jahr für sich entdeckt.
Mit dem Stadion würde wohl keiner von uns tauschen wollen. Eine Betonburg mit langen steilen Treppen und einem Auswärtsblock im Oberrang. Mir wurde wieder klar, wie schwierig es ist, Seele und Atmosphäre in einer Arena dieser Größe zu erhalten. Es gibt wenige Beispiele, in denen dies gelungen ist. Sehr wenige. Für mich die anspruchsvollste Aufgabe unseres Vereins in den nächsten zehn Jahren. Mir ist dies jedenfalls wichtiger als jede Tabellenplatzierung oder ein Pokalfinale.“
Was das Spiel unserer Mannschaft angeht, ist Christoph nach wie vor ordentlich angetan: „Erst hinterher ging mir auf, dass Ajax praktisch keinen Torschuss abgeliefert hat. Wir können tatsächlich weiterkommen. Und wenn nicht, sind wir halt gegen Ajax Amsterdam ausgeschieden. Ich will mich ja nicht daran gewöhnen, dass DAS hier auch Union ist.“ Stetig ans Limit zu gehen, wie Urs und sein Team das einfordern, ist bislang wohl keinen Tick besser umzusetzen als von dieser unserer Mannschaft.
Zeigen wir alle zusammen nächsten Donnerstag, dass es AdAF noch viel ekliger ist für alle, die keine Unioner sind. Sportlich fair, versteht sich. Egal, was am Ende Anzeigehäuschen und elektronische Tafel vermelden, machen wir diesen Abend in unserem Wohnzimmer zusammen zu einem dann allzeit Unvergessenen. Ein fetter Dank an alle, die gestern als „Pottis Erben“ eine berühmte Amsterdamer Arena in eine Eiserne Außenstelle verwandelten! Eisern heißt dit!
Wer: Jérôme Roussillon (32)
Wann:07.01.2025