Pokalkracher im Wohnzimmer – Union Berlin lässt St. Pauli ausrutschen

Union Berlin mit Erfolg gegen St. Pauli

Bildquelle: Harleypaul on Tour [], (Bild bearbeitet)

Bereits zu Zeiten, da unser Verein weit weniger Mitglieder zählte, als das Stadion An der Alten Försterei Plätze bot, war nahezu jedes Spiel gegen den FC St. Pauli ratz-fatz ausverkauft. Die Begegnungen mit den Hamburger Kiez-Kickern bedeuteten stets einen der Saison-Höhepunkte. Sie waren der Grund dafür, dass ich mir beizeiten eine Dauerkarte zulegte. Zu Zeiten wohlbemerkt, da man in den Kartenhäuschen unseres Wohnzimmers nahezu immer Tickerts kurz vorm Spiel kaufte – außer eben gegen Pauli.

Großartige Erinnerungen verbinden mich mit diesem Gegner, der unseren Verein im Sommer 2004 beim 0:0 endenden „Blutsbrüder“-Spiel unterstützte. In den beiden Folge-Spielzeiten traten wir in Regionalliga Nord und dann über viele Jahre in der 2. Bundesliga gegeneinander an. Was für ein Fußballfest war das am 15. März 2013, als Pauli in unserem Wohnzimmer zweimal unsere Führung egalisierte, bevor Unions damaliges Sturmduo Adam Nemec und Simon Terodde den 4:2-Sieg sicherte!

Ach, was waren das für Zeiten …

Ebenso präsent ist mir der Thriller An der Alten Försterei vom 17. Oktober 2015: Nach der Hamburger Führung drehten wir das Spiel, bevor die Kiez-Kicker dasselbe taten – und Benny Kessel in der 3. Minute der Nachspielzeit zum 3:3-Endstand einnetzte! Am 14. April 2018 führte mich die zweite „Eisern trotz(t) Handicap“-Tour ans Millerntor, wo unser Tross inmitten der anderen Eisernen Auswärtsfahrer hemmungslos das Leben feierte und in Minute 80 unseren von Simon Hedlund erzielten Siegtreffer!

Das alles zählte jetzt keinen Fatz, da wir den Paulianern im Viertelfinale des DFB-Pokals in unserem – leider nur zur Hälfte, aber immerhin – gefüllten Stadion gegenüberstanden. Urs Fischer gedachte zuvor weder der von mir aufgelisteten Fußballfeste, noch unserer Pokal-Heimniederlagen der letzten Jahre inklusive des 2:3 gegen St. Pauli vom 13. August 1994. Erstens trat er damals noch als Aktiver für den FC St. Gallen gegen den Ball – und zweitens weiß er nur zu gut: „Die Vergangenheit wirst du nicht korrigieren können!“

Eindringliche Stille

Auf ging’s also in den wie immer alles entscheidenden Kampf! Direkt nach der Hymne brüllten die Anhänger beider Vereine gegeneinander an: „St. Pauli!“ versus „Eisern Union!“ Dann jedoch wurde es still im Stadion. Christian Arbeits erste Worte mussten noch durch die Geräuschkulisse dringen, dann aber kam die Stille, eingeleitet von den Worten: „… den Wunsch nach Frieden in die Welt zu senden.“ Nicht mit Geschrei, sondern mit einer drückenden Stille voller Energie …

Kurz darauf begann für Tausende im Stadion und Abertausende an Bildschirmen die zweistündige Pause vom mörderischen Weltgeschehen. Wieder prallten „St. Pauli“ und „Eisern Union“ gnadenlos aufeinander. Pauli gewann die Platzwahl, setzte aber ein Zeichen der Deeskalation. Begleitet von „Hier regiert der FCU!“ begann das Spiel. Union greift an, erkämpft den ersten Eckball. Er wird geblockt, doch schon ist Käpten Trimmel wieder am Ball. Er bedient Prömel, leider daneben, „Eisern Union!“

Duell auf Rasen und Rängen

Die nächste Ecke tritt Gießelmann, Pauli köpft den Ball aus der Gefahrenzone – Neuaufbau, der Torwart hat ihn. Das „St. Pauli“ kontern unsere mit „Und wir lieben unsern Club, und wir sind stolz auf ihn, FC Union aus Berlin.“ Pauli kommt vor unser Tor, der Käpten klärt ins Seitenaus. Schuss aufs Tor, Pokaltorwart Rönnow hat ihn! Kurz drauf schon wieder die Hamburger, aber unsere erobern den Ball, schneller Angriff über Sheraldo Becker, sein Pass kommt nicht an.

„Wir sind Unioner, wir sind die Kranken!“, schallts über den Platz, Freistoß Union, der Käpten oder Gießelmann? Ersterer schießt – in die Mauer. Union bleibt am Ball, Genkis Schuss streicht am Kasten vorbei. Nach einigem Hin und Her geht’s wieder in die Richtung unseres Tors. Rönnow kommt raus, sichert den Ball. Der „Eisern – Union“-Wechselgesang lässt das Stadion erbeben. Genki, Becker, wieder Ecke. Nun duellieren sich „Scheiß St. Pauli“ und „St. Pauli“ persönlich.

Erste Chance – wir liegen zurück!

Begleitet von unserer Bella-Ciao-Version eine Flanke – leider hinters gegnerische Tor. Pauli baut auf, Sheraldo greift früh an. Der nächste Torabschluss gehört Taiwo Awoniyi, sofort stimmen die Unioner das ihm gewidmete Lied an. Bereits in Minute 18 heißt es: „Dem Morgengrauen entgegen …!“ Union presst weiter gnadenlos, doch dann nähern sich die Kiez-Kicker mal wieder unserem Sechzehner. Mist, ein Foul, Freistoß Pauli, direkt vor der Strafraumgrenze! Rönnow stellt die Mauer, drei Paulianer stehen im Pfeifkonzert vorm Ball.

 

 

Einer spielt ihn dem gefürchteten Schützen Daniel-Kofi Kyereh zu. Der ghanaische Nationalspieler zieht ab, der Ball schlägt in unserem Tor ein. Obendrein in der Torwart-Ecke, Rönnow schlägt wütend auf den Rasen. 21. Minute, Pauli führt, nach ihrer ersten echten Torchance! „Kämpfen und siegen!“, skandiert das Stadion, und unsere Mannschaft erkämpft zumindest einen Freistoß. Der geht ins Leere, aber schon wieder der Käpten über rechts. Er passt zu Genki, der zögert einen Tick zu lange, alles ist wieder zu.

Am Abgrund werden Helden geboren

Des Käptens nächste Flanke wird von zwei bestens positionierten Unionern verpasst, das hätte es sein müssen! „Wir lieben Union, jawoll!“, heißt der nächste Gesang. Wir kommen nur schwer vors gegnerische Tor. Schade, Becker verpasst den Ball. Kurz drauf holt er eine Ecke, die wird abgewehrt, Neuaufbau. Sangesgewaltig meldet sich der Pauli-Block. Union ackert, greift an, kämpft – aber immer ist ein gegnerischer Fuß oder Kopf dazwischen. Die Fünfer-Abwehrreihe steht, alle Spieler kämpfen aufopferungsvoll.

Pauli plagen große Verletzungssorgen, etliche Akteure haben kaum Erfahrung aus der 2. Bundesliga – allesamt beste Voraussetzungen, dass sie heute, wie bereits gegen den BVB, zu Helden werden. Und es geht weiter, bereits in Minute 39 müssen sie verletzungsbedingt wechseln. Doch Pauli greift an, und Unsere kriegen den Ball nicht aus der Gefahrenzone. Der Western-Song erschallt, Baumgartl versucht es über links, aber alle Mitspieler sind zugestellt. Der nächste Angriff gehört wieder Pauli, der Ball streicht über unser Tor.

Eisern erzwungen!

Die 1. Halbzeit ist fast vorbei, und noch immer liegen wir zurück. Paulis Torwart vollführt einen weiten Abstoß, der Ball landet bei einem Unioner. Prompt gibt’s einen langen Ball zurück Richtung Gästetor. Taiwo übernimmt, lässt seinem Gegenspieler keine Chance. Der Keeper kommt raus, rutscht aus, der Ball springt zum lauernden Sheraldo Becker, welcher ihn umgehend in die Maschen drischt! Jubelnder Aufschrei im Unioniversum, was für ein Treffer direkt vor der Pause. Taiwos bulliger Antritt und Sheraldos Kompromisslosigkeit erzwingen den Ausgleich!

Und was für ein wichtiger Erfolg gegen diesen eklig kämpfenden Gegner. Union mit mehr Ballbesitz (!), 6:0 Ecken, 6:3 Torschüssen – und nun endlich nicht mehr in Rückstand! Zur Halbzeit tut der FC St. Pauli mehr fürs Spiel. Das hatten sie in Halbzeit 1 fieser Weise uns überlassen. Angriff Union, Taiwo gegen 3 Gegenspieler, das wird selbst für ihn zu viel. Baumgartl kommt über links, passt vors Tor, aber der Keeper ist eher am Ball als Awoniyi. Nach einem Fehlpass kommen die Hamburger, Distanzschuss – Rönnow fängt ihn an der Strafraumgrenze. Powerplay der Gäste, drei Anläufe, zwischendrin hintenherum, dann endlich ein Fehlpass.

Gelb statt Freistoß – und kein Elfer

„Wo du auch spielst, ja wir folgen dir…“, meldet sich das Stadion zurück. Becker verliert den Ball und erobert ihn sofort zurück. Ein Missverständnis vorm Pauli-Tor macht die Kugel scharf, leider wird kein Treffer draus. Der nächste Pass auf Sheraldo kommt nicht an, schade. Viele Zweikämpfe im Mittelfeld, Fehlpässe auf beiden Seiten. Becker wird gefoult und bekommt keinen Freistoß, dafür die Gelbe Karte wegen Meckerns. 65. Minute, Voglsammer kommt für Taiwo Awoniyi.

 

 

Unsere kommen schwer durch, Pauli hat weiterhin „mehr vom Spiel“ als in Hälfte 1. Dann endlich doch, Prömel passt auf Voglsammer, der wird vom Gegenspieler attackiert, geht zu Boden und versucht dennoch, zu schießen. War das verdammt nochmal ein Foul?! Der Schiri sagt nein, was – sorry für meine Phrase – zu seiner bislang durchgezogenen Spielleitung passt. Nach kurzer Stille schmähen die Unioner den Namen des gegnerischen Vereins. Union kommt über links, leider zu spitz für einen erfolgreichen Abschluss.

Knackige Gesänge

Kurz darauf prallen Gäste-Keeper und Grischa in der Luft gegeneinander, zum Glück können beide weitermachen. Dann ein langer Ball Richtung Pauli-Tor. Diesmal behauptet der Paulianer die Kugel, ist ihm Voglsammer auf den Fersen. Der Kiez-Kicker rutscht weg, Vogi nimmts dankend an. Er dreht sich auf der Stelle, stürmt mit Ball am Fuß Richtung Tor, zieht ab! Der Ball tunnelt den Keeper, schlägt links ein, die Maschen und alle Unioner dieser Welt tanzen! Verdammt wach war da der von Urs so punktgenau auf den Platz geschickte neue Stürmer!

Noch aber sind eine Viertelstunde plus Nachspielzeit zu gehen. Genki darf raus, Khedira holt sich eine Gelbe, und Pauli greift an. Ex-Unioner Hartel schießt zum Glück links vorbei, das Ganze aus halbwegs gefährlicher Position. Pauli wechselt offensiv, zwei baumlange Kerls kommen ins Spiel. Erst einmal bekommt Sheraldo einen Freistoß, „Dö-dö-dö-dö-dööp-dööp…“, feiert der Eiserne Teil des Publikums. Ich dagegen sehe den Sieg noch lange nicht fix, wie der Schweizer sagt. Auch der Pauli-Anhang meldet sich zurück. Sie 500 sind so laut, wie schon ewig kein Gästeblock.

Der Rasen brennt

Und die Hamburger kommen, die beiden Langen mischen mächtig mit. Ecke – erstmal abgewehrt, den 2. Ball fängt Frederik Rönnow. Doppelwechsel Union, Michel und Ryerson für die unermüdlich ackernden Trimmel und Becker. In Minute 88 unser Mantra, Pauli foult am Mittelkreis, wertvolle Sekunden! Michel wühlt sich links durch, der Torwart hat ihn. Pauli baut auf, Unsere erobern und verlieren den Ball. Pauli greift an, Union haut ihn raus, der Rasen brennt.

Nachspielzeit läuft, Michel schickt einen langen Ball zu Vogi! Der schüttelt seinen Bewacher ab, lässt dem Torwart keine Chance und schießt – nur spuckt ihn der elende Innenpfosten aufs Feld zurück, dass der Torwart ihn sichern kann. Noch 53 Sekunden, Ecke Pauli. Sie sind zu elft vor unserem Tor, kommen zum Schuss – knapp vorbei, aber abgefälscht. Noch 6 Sekunden, Ecke von der anderen Seite. Der Ball kommt herein, Offensivfoul an Rönnow – „Hier regiert der FCU!“ Wir sind im Halbfinale, nach einem irren Kampfspiel auf Rasen und Rängen, Eisern Union!


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