Frank Nussbücker: Union Berlin kommt gegen Bochum fast noch zurück

VfL Bochum besiegt Union Berlin

Bildquelle: Harleypaul on Tour [], via Wikimedia Commons (Bild bearbeitet)

Es durchzuckte mich furchtsamen Menschen aufs Heftigste, als ich neulich in einer fiesen Bundesliga-Analyse las, wir seien der „Geheimfavorit für Relegationsplatz 16“. Deckte sich diese elendige Einschätzung doch auffallend mit meinen Eindrücken der letzten Wochen. Als wir 2009 als erster Drittliga-Meister in die 2. Bundesliga aufstiegen, landete der FC Energie Cottbus auf eben dieser Platzierung, welche für die Lausitzer nach den beiden Relegationsspielen das Ende ihrer Erstliga-Zugehörigkeit bedeutete.

Zehn Jahre später oblag es uns, nach zwei allzeit unvergessenen Relegationsspielen gegen den VfB Stuttgart in die Beletage des deutschen Fußballs aufzusteigen. Zuvor hatte für uns die Vokabel Relegation quasi zwangsläufig Ab- oder Nichtaufstieg bedeutet. So wunderbar jene Mainacht des Jahres 2019 und die Wochen danach auch waren – unter den gegenwärtigen Vorzeichen möchte ich gar nicht an die Möglichkeit denken, dass unsere 1. Herren am 34. Spieltag noch nicht Feierabend für diese Saison hat ...

Null Bock auf Schleudersitz-Spiele

So froh ich bin, dass wir gegen die gerade mächtig formstarken Mainzer nicht mehr ranmüssen, so sehr widerstrebt mir ein Kräftemessen auf dem Schleudersitz mit den grad ebenfalls mit heftigem Aufwind gesegneten Fortunen aus Düsseldorf. Dies zu verhindern, galt es nun, gegen den VfL Bochum zu bestehen, was die Sache nicht einfacher machte. Mit Grausen erinnerte ich mich an das Rasengeschehen beim Hinspiel an der Castroper.

Schwach begonnen, dann stark nachgelassen – diese elendige Phrase fasst meine Eindrücke jenes graukalten Dezembertags allumfassend zusammen. Die Mannen aus dem Pott waren klar der Boss im Ring, unsere Mannschaft stehend k.o. – genau das durfte nun nicht passieren und stattdessen das gegnerische Tornetz mehrfach erzittern. Letzteres bittebitte nicht erst bei einem wie auch immer zustande gekommenen Ehrentreffer …

Die perfekte Spiel-Vorbereitung eines Abergläubischen

Ewig brauchte ich für die Wahl jenes Shirts, mit welchem ich die Glücksgöttin am ehesten für uns „rumkriegen“ würde. Schließlich entschied ich mich für die von meinem Zwilling Sam Paff bestickte Trikotage der Union-Rebellen, darüber kam jene mit den zwei Händen, welche das Herz halten. Für die Füße wählte ich ein uraltes Paar weiß-roter Turnschuhe, die ich schon ewig nicht mehr zum Spiel trug – und als den idealen Anfahrtsweg entschied ich mich für jenen über Schönhauser, Ostkreuz, Union-Tanke und dann, endlich mal wieder, den Waldweg.

Mochte gar nicht dran denken, dass dieser womöglich bald weg ist, was ein für meine Ohren und Seele elendiges Wortspiel ist – sei‘s drum, heute mussten Tore her! Vielleicht brachte das Fahnenmeer den Kick, der den Pfropfen aus dem durch uns zu leerenden Fass haute?! In der Bahn viele altgediente Shirts, sehr oft sah ich „Gib niemals auf und glaub an Dich…“, die Hände mit dem Herz oder das nun schon fast ganz alte rotweiß Gestreifte mit schwarzer Schrift „Eisern Union“ aufm Rücken.

Alles ist bereitet – ab dafür!

Im Block war es noch recht leer. Die Steinis aus Ludwigsfelde machten sich so breit wie möglich für Jo, den Langen, General Alfons und etliche weitere Kohorte Mittellinie-Frauen und Männer, die noch auf dem Parkplatz weilten, um unserer Mannschaft den Empfang zu geben, der sich für dieses verdammt wichtige Spiel beflügeln sollte. Zu meiner Linken statt Torsten Eisenbeiser Schulfreund Andi und seine Liebe Bettina – es war das erste Mal, dass wir direkt Schulter an Schulter standen!

Über eine Stunde vor Anpfiff erschallte laut das „Und wir lieben unsern Club und wir sind stolz auf ihn“, gefolgt vom „Eisern!“ „Union!“ zwischen Waldseite und Gegengerade. Alles war bereitet! Laute Pfiffe, als die Bochumer Ersatzspieler den Rasen betraten -gefolgt von Applaus und „Luthe-Luthe-Luthe-Luthe“ für unseren ehemaligen Keeper. Er bekam, genau wie Keven Schlotterbeck selbstverständlich sein „Fußballgott“ um die Ohren. Endlich, endlich Achim Mentzel, Sporti, Hymne und los!

Union bemüht …

„Dem Morgengrauen entgegen“ als Spieleröffnung von den Rängen, während Bochums Mannschaft wohl ein Zeichen des Friedens setzte. Obgleich sie wohl die Platzwahl gewannen, ließen sie unsere Mannschaft richtigrum spielen. Dann waren sie fast in unserem Strafraum, während mir noch einmal die Besetzung unserer Ersatzbank in den Sinn kam. Lauter große Namen, unter ihnen auffällig viele Offensive. Sollen es Hollerbach und irgendwie Volland vorne richten? Ok, ich hab keine Ahnung, mich plagte nur ein ungutes Gefühl …

Freistoß Union, eine wild geschwenkte Fahne nimmt mir die Sicht – offenbar verpasste ich nichts. „1. FC Union Berlin – und alle!“ Ein Bochumer grätscht uns den Ball ab, doch Freddy ist auf dem Posten. Bochum gewinnt mir zu viele Zweikämpfe im Mittelfeld – dann mehrere Fouls der Blauen, der Schiri winkt sie alle durch. Mein Blick geht zu Andi, der ist Fußballer. „Alles Fiftiy-Fifty“, sagt mein Schulfreund. Ecke Union links, sie bleibt folgenlos. Bald das Ganze von rechts – ebenso.

Und schon schlägts ein

Auch der alsbald folgende Freistoß geht ins Leere – dann greift Bochum mal an: Schnell wie präzise über rechts, schon zappelt unser Tornetz – nee, oder?! Union wollte, Bochum machte es einfach mal. Unsere stürmen vor, Bochum geht dazwischen, klärt unsere Mini-Versuche zu Einwurf oder Abstoß. Zwei Unioner behindern sich gegenseitig beim versuchten Kopfball, soll das symptomatisch für dieses Spiel sein? Unsere weiter bemüht, während der Gegner auf unseren nächsten Fehler zu lauern scheint.

 

 

„Unioner laufen!“, höre ich eine Stimme zwischen zwei Gesängen. Wir singen laut und viel, während unsere tatsächlich mal das gegnerische Tor attackieren. Zumindest fast, der Keeper pflückt das Ding unbedrängt. Haben wir da gerade gefoult? Falls ja, gibt der Schiri wohl Vorteil. Wir kriegen den Ball nicht weg, und der Gegner ist giftig. Derart, dass unser Tornetz das zweite Mal zappelt. „Kämpfe Union, kämpfe!“ ringt mit „Aufwachen, aufwachen!“ um die akustische Hoheit.

Verunsicherung und Wut, eine ungute Mischung

Schließlich einigen wir uns auf das heute schon mehrfach erklungene „Auf gehts Union, kämpfen und siegen!“ Unser Schuss geht übers Tor, aber immerhin war da mal wieder ein offensives Lebenszeichen! Weiter geht’s: Freistoß-Kopfball … der Torwart hat ihn sicher. Erneut der Wechselgesang mit unserem Schlachtruf als Text, dann eine Ecke für Bochum. Pfiffe, „Union!“, Pfiffe – und Bochum am Drücker.

Wieder kriegen wir den Ball nicht weg. Als einer der Unseren den Fuß an der Pille hat, wirkt das für mich halbherzig. Das kann man vom Gegner leider nicht sagen – und drin ist das Ding, verdammte Axt! Andi gewahrt meinen hilflosen Blick. „Verunsichert ohne Ende!“, lässt er mich wissen. Der Grauhaarige mit Schnauzer ein paar Meter rechts von ihm zeigt sich weit weniger verständnisvoll: „Reiß dir zusammen!“ … „Wir sind Unioner – und ihr nicht!“ lauten zwei seiner Unmutsbekundungen. Zwischendrin zermalmen seine Kiefer einen Kaugummi.

Selbst mein Kuli streikt

Ich selbst bin ratlos ohne Ende, wird das hier zweistellig enden? Wie kriegt man unsere Spieler wieder aufn Damm, gibt es verdammt nochmal einen Plan B – gabs einen namens A? „Kämpfe Union, kämpfe!“, höre ich, dazu ein wütendes „Verpisst euch!“ Richtung Rasen. Wieder greift der Gegner an, Freddy nimmt den Ball auf der Grundlinie an sich, anderenfalls hätte es eine Ecke oder Schlimmeres gegen uns gegeben. Auch der grimme Grauhaarige singt jetzt mit, Eisern!

Mir fällt plötzlich das Uralt-EM-Spiel BRD-Jugoslawien ein, bei dem die Westdeutschen zur Pause hoffnungslos unterlegen mit 0:2 hinten lagen, bevor Dieter Müller ins Spiel kam und das Ding heftig drehte. Es sah geradewegs so aus, als hätten beide Mannschaften zur Pause die Trikots getauscht. Ich gebe zu: Meine Hoffnung, dass das heute und hier ähnlich ablaufen würde, war eine rein rhetorische. Ich fühlte mich wie gelähmt, und dass nun auch noch mein Kuli seinen Dienst verweigerte und ich erstmalig keinen Ersatzstift dabeihatte, wunderte mich kein bisschen.

Zweimal Union, dann wieder Bochum

Drei Neue auf unserer Seite, mit Vertessen, Aaronson und endlich auch mal wieder Bedia drei Stürmer, warum erst jetzt? In meinem Unterbewusstsein verkündete Stadionsprecher Christian dazu: „Und neu auf der Trainerbank – Marie-Louise Eta!“, dabei hatte ich kaum was getrunken?! Herzlich willkommen, „Eisern Union!“, weiter geht’s! Und wie?! Plötzlich tat sich da vorne was, allein schon durch die Präsenz des langen, wichtigen Chris Bedia!

Und als hätten die da unter wie dereinst Westdeutsche und Jugoslawen die Trikots getauscht, entwickelte Union jetzt auch aufm Rasen echte Gefahr. Kaum hatten wir noch halbwegs zaghaft das 1:3 bejubelt, flogen auch schon die Biere und wüsten Umarmungen beim 2:3 wenige Minuten später. Vertessen und Bedia die Täter – und Union war tatsächlich zurück, Sie drängten weiter und weiter, bis ein weiteres Kacktor dieses Eiserne Zwischenhoch abzuwürgen drohte.

Die Hoffnung stirbt zuletzt … Union nie!

Aber wir kamen erneut zurück, diesmal durch Hollerbachs Treffer zum erneuten Anschluss in Minute 74! Es wäre verdammt schön gewesen, wäre dem der so wichtige 4. Treffer gefolgt, vielleicht sogar noch mehr? Mehr als ein Streicheln für unsere Seele, aber es sollte nicht sein. Auch bei uns hätte es nochmal scheppern können. Weiß jemand, warum die Mannschaft bei ihrer Runde um ein Haar an der Waldseite vorbei Richtung Presse und Kabinen entfleucht wäre? Es kam dann doch noch anders: Gereckte Fäuste und „Eisern Union!“, statt „ein Durchläufer, Herr Orlowski.“

Was mit bleibt ist erst mal eine fette, elende Leere, ordentlich Ratlosigkeit sowie meine Hoffnung, dass unsere Offensive, ja irgendwie unsere Mannschaft noch lebt und da doch noch was geht – sehr gern unter der tätigen Mitwirkung der heute dann doch noch zum Zuge kommenden Stürmer, der in meinem Unterbewusstsein aufgerufenen Fußball-Lehrerin, dem wie auch immer für ein gesamtes Spiel wiederbelebten Teamgeist einer Union-Mannschaft, die mit dem legendären Durchhaltewillen aus dem Intro unserer Hymne alles reinhaut für den Verein – und mit uns, die wir ohne Union nicht sein können. Eisern heißt dit.


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