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Bildquelle: Harleypaul on Tour [], (Bild bearbeitet)
Oh, Real Madrid steht vor der Tür. Passt leider grad nicht so, ich bin aufm Sprung nach Bochum, aber kommt halt herein. So in etwa fühlte ich mich vor unserem unwiderruflich letzten Schampusliga-Punktspiel gegen die 1,03 Milliarden-Truppe aus Zentralspanien. Wie so oft im Leben, das Timing ist längst nicht immer das Idealste. Wie hätte ich mich letzte oder vorletzte, wahrscheinlich nahezu in jeder verdammten Saison über eine derartige Ansetzung gefreut. Ausgerechnet in dieser gehört meine nahezu ungeteilte Aufmerksamkeit mit aller Gewalt dem Klassenerhalt.
Warum muss ich gerade jetzt an unser Tribünenhaus-Eröffnungsspiel gegen Celtic Glasgow am 12. Juli 2013 denken, welches unsere Mannschaft mal eben so nebenbei mit 3:0 gewann? Oh wow, ein Schampusliga-Club gastiert bei uns!, lautete da mein vorherrschender Gedanke – und was passierte eine Woche nach besagtem Freundschaftsspiel? Wir verloren an gleicher Stelle 1:2 in der 2. Bundesliga – gegen einen gewissen VfL Bochum, zu dem wir in ein paar Tagen reisen müssen.
Damit Schluss jetzt, entscheidend ist immer das nächste Spiel, und in dem stand uns gestern – auf dem Papier wie in echt – das Star-Ensemble des reichsten Clubs auf diesem Planeten gegenüber. Die Intergalaktischen, das weiße Ballett, welches im Hinspiel in Bestbesetzung erst in nahezu allerletzter Sekunde der verdammten vierminütigen Nachspielzeit den Siegtreffer gegen unsere Mannschaft erzielte! „Damals“ war die Welt noch fast in Ordnung, heute ist sie es vielleicht bald wieder, zumindest was das Unioniversum angeht.
Dem „hervorragenden“ Catering im Oly sei Dank, schmierte ich mir vor Abfahrt eine Stulle. Noch heute wird mir übel, denke ich an den auf einer Gasflamme halbgar „gegrillten“ Bratwurst-Ersatz, für den immerhin ein Schwein sein Leben gelassen hatte. In der U-Bahn hatte ich mich mit Carsten verabredet. Mit ein paar Bierchen und bestem Whisky – danke Carsten! – stimmten wir uns ein. Wie würde unsere Mannschaft das Spiel angehen – und wie die heute noch einmal rot erleuchtete und ausverkaufte Schüssel klingen?
Zunächst einmal hieß es „Hurra, Union ist wieder da!“ und „Europapokal, Europapo“. Pfiffe bei der Hymne des Ausrichters, während dessen Emblem überm Mittelkreis geschwenkt wurde, dann gleich wieder: „Europapokal, Europopo!“ Vier Vorsänger heizen unter uns die Stimmung auf, während unsere Mannschaft im besten Sinne „eklik“ loslegt. Keine Minute ist von der Uhr, da passt Rani in den Strafraum, auf einen der Unseren – fast drin ist das Ding, Eisern Union!
Gellende Pfiffe, ist der Gegner am Ball, der von ein paar wenigen Weißhemden auf den Rängen begleitet wird. Trommeln, Gesänge und eine Union-Mannschaft voller Adrenalin, „Schalalalalalala-Eisern Union!“ Rhythmisches Klatschen, dann brandet der Gesang erneut auf. Wir schreiben die 9. Minute, als „so wie einst Real Madried“ die erste halbwegs gefährliche Szene kreiert. In der Fünfzehnten tauchen wir fast vorm gegnerischen Tor auf, „1. FC Union Berlin – und alle!“ Ja, auch dieses Stadion lässt eine bombastische Stimmung zu!
Dann aber die Zentralspanier – Querlatte! „Dat darfste nich oft machen!“, diktiert mir mein Nachbar Harley-Paul ins Notizbuch. Und noch etwas fiel ihm auf: „Die haben nicht damit gerechnet, dass wir so aggressiv sind!“ 19. Minute, Torchance für uns, „Eisern Union!“ Dann aber zeigen die Zentralspanier, dass ihre Mannen durchaus gut mit dem Spielgerät umzugehen wissen. Sie kombinieren uns schwindelig, belagern unseren Sechzehner, beschießen unser Tor, bekommen einen Freistoß aus guter Position, vorbei.
„Die können dat schon“, bemerkt Harley-Paul zwischen zwei Zügen an seiner Pfeife, aufm Rasen erkenne ich die Stirnbändchen-verzierte Frisur eines kleinen Kroaten. Unsere haben grad nix zu bestellen, wir singen trotzdem. Foul Madrid, Spiel läuft weiter, Rudelbildung. Käpten Rani sieht Gelb, genau wie ein Madrider Jungstar, „Eisern Berlin!“, kommt es von den Rängen der Gegengerade. Real schießt neben unser Tor, greift weiter an, samt Eckball, bevor Unsere fast mal durchkommen.
Schon wieder holen sie eine Ecke raus, aber was ist das? Der Schiri zeigt auf den Punkt und beharrt: „Ich will diesen Elfer!“ Auch unser ohrenbetäubendes Pfeifkonzert kann ihn nicht umstimmen, und der kleine Herr mit dem Stirnbändchen legt sich den Ball zurecht. Mehrere unserer Spieler zeigen sich nicht freundlich, doch schließlich müssen sie das Spielgerät in Ruhe lassen. Der Kleine läuft an, schießt – und Frederik Riis Rønnow klärt das in die Mitte gezogene Ding zur Ecke!
Wir jubeln, klatschen einander ab, als hätten wir gerade allesamt ein Tor geschossen. Freddy klärt auch die Ecke souverän, schlägt lang ab – und ehe wir uns versehen, hat Kevin Volland im Madrider Strafraum, eskortiert von zwei Gegenspielern, den Ball am Fuß und zimmert ihn eiskalt ins Tornetz! Augenblicklich stürzt ein massiver Bierregen über uns nieder, liegen wir einander nun im echten Tor-Taumel in den Armen. Halbzeitpfiff, wir führen gegen diese 1,03 Milliarden Euro-Truppe!
Auch Halbzeit 2 beginnt mit stürmenden Unionern. Schade, das wäre es doch gewesen! Unter uns stimmen sie den Damir Kreilach-Song an, wobei uns Stadionsprecher Christian wissen lässt, dass der Besungene heute und hier im Stadion ist. „Damir Kreilach!“, rufen wir den Namen dieses niemals vergessenen Unioners. Derweil übernahmen die Zentralspanier aufm Rasen wieder das Kommando. Sie kombinieren mehrere Großchancen heraus, denen unser Torwart mehrfach den Erfolg verweigert.
Als der Ball schließlich doch in unserem Netz landet, hatte sich der Schütze derart bei einem der Unseren aufgestützt, dass ich froh bin, dass ich das Ganze erst heute beim Ansehen der TV-Bilder so richtig registriere. Anderenfalls hätte mich gestern blanke Wut ob dieser partiellen Blindheit des Referees befallen. Aber was willste machen – und Real machte weiter, unerbittlich, bis schließlich das zweite Tor gegen uns fällt. Diesmal war es ein Konter – ja, die können halt auch das!
Unser Trainer wechselt dreifach, während wir bereits jetzt, in Minute 75, unser Mantra anstimmen. Ein Madrider kann nicht mehr, unsere brechen auf links durch, aber einer allein auf weiter Flur, immerhin! Sheraldo Becker, der gerade ins Spiel kam, ackert vorn wie hinten, und zwei weitere Neue kommen ins Spiel, unter ihnen Käpten Trimmel. Union stürmt, holt schließlich eine Ecke. „Jetzt Trimmi!“, fiebert Harley-Paul dem Standard entgegen.
Der bleibt zunächst ergebnisoffen, doch Union ackert weiter. Schließlich fasst sich unser Michael Kölmel so sehr ähnelnder tschechischer Nationalspieler ein Herz und drischt das Ding in die Maschen – 2:2 in der 85. Spielminute! „Auf geht’s Unioner, schießt ein Tor!“, feuern wir unsere Mannschaft an – und ja, es wäre einfach zu schön gewesen. Irre war dieser Abend in jedem Fall, dazu laut, kämpferisch – beherzt auf Rasen und Rängen. Erhobenen Hauptes verlassen wir den Europapo – und ich wünsche mir nur eins: Nehmt all das, was ihr an diesem irren Abend hingekriegt habt, mit nach Bochum. Eisern heißt dit!
Wer: Martin Krüger (45)
Wann:26.11.2024