Frank Nussbücker: Dünne Luft auf dem Mount Everest gegen den VfB Stuttgart

Stuttgart besiegt Union Berlin

Bildquelle: Harleypaul on Tour [], (Bild bearbeitet)

Das Blatt habe sich gedreht, sagte der Radiosprecher am Beginn der Übertragung. Für mich hatte es sich zumindest fürs erste wieder dorthin zurückgedreht, wo es zuvor gefühlt schon immer war. Dabei denke ich zuerst an Felix Magaths „Krabbelgruppe“, die vor all den Bayernjahren Deutscher Meister wurde. Die Stuttgarter Trikots mit dem Brustring kenne ich seit meiner Kindheit, genau wie die für mich am liebsten rot-weiß gestreiften meines 1. FCU.

Natürlich denke ich bei jedem Spiel gegen die Schwaben zuerst und am heftigsten an jene Mai-Nacht 2019, über die ich in diesem Kreis kein Wort mehr verlieren brauche. Du weißt so gut wie ich, was seither alles an irrsinnig unglaublichen Dingen mit, in und um unseren Verein passierte, bevor wir für mich bereits mit dem ersten Spieltag dieser Saison etwas erleben, was ältere Unionerinnen und Unioner bestens kennen.

Schwerer Beginn

Bereits diese ersten und bislang einzigen 6 Punkte waren teuer erkauft. Rani Khediras und bald drauf auch Robin Knoches Verletzung, weit über eine Halbzeit in Unterzahl – nun, es klappte am Ende dennoch, seither nicht mehr. Natürlich hegte auch ich die Hoffnung, dass wir ausgerechnet gegen diesen im Moment so stark aufspielenden Gegner das Motto von 2019 „Nehmt Euer Herz in beide Hände – alles kann, nichts muss!“, auf Rasen und Rängen in einen Sieg ummünzen können.

Aber zunächst machte Stuttgart das Spiel. In Minute 8 hatten sie ihre erste Fast-Möglichkeit. Auch eine Erinnerung an den Mai 2019: Stuttgart bekommt Freistoß auf Freistoß, aber auch die langen noch nicht zur echten Torgefahr. Von unserer Mannschaft ist derzeit noch nicht viel zu berichten, abgesehen von dieser oder jener Klärungstat. Ja, es ist gut, dass Robin und Rani wieder zurück sind. Der Radiomann diagnostiziert uns fehlendes Selbstbewusstsein, wer will es uns verdenken?

Es tanzt mal wieder das falsche Netz

Grätsche Gosens, er schickt einen langen Ball nach vorn auf Volland, leider kann der nichts draus machen. Dann hakt die Übertragung, und offenbar nicht nur die. Die erste echte Torchance des Spiels beschert den Stuttgartern die vom Spielverlauf her leider verdiente Führung. Unser Schlussmann Frederik Rønnow hatte keine Chance gegen diesen Kopfball, erzählt mir der Radiomann. Dumm nur, dass der „Missetäter“ offenbar frei zu besagtem Kopfball kam.

Stuttgart setzt sich in unserer Hälfte fest, immer wieder kommen sie außen über Leweling, welcher bei seinem neuen Arbeitgeber sichtlich die ihm gegebene Spielpraxis genießt. Ich weiß um die schier unermüdliche Power dieses wilden jungen Typen und Spaßvogels und war traurig, dass wir ihn verliehen, ausgerechnet an unseren heutigen Gegner. Unsere Abwehr lässt nichts weiter zu, und der Torschütze muss verletzt das Spielfeld verlassen.

Klare Zeichen unserer Ultras

Minute 25, mein geliebter 1. FCU schießt aus 25 Metern aufs Tor. Zwar zappelt nun das Netz nicht, aber das war unser erster echter Abschluss! Dann wieder Stuttgart, aber Doekhi klärt. Der Gegner brilliert weiter, und nehmen wir ihnen die Pille ab, klappe bei uns die Gegenbewegung nicht. Gefährlicher Rückpass auf Rønnow, der das Ding gerade noch rechtzeitig weghauen kann. „Wir warn am Ende, gib mal ne Spende, Alte Försterei genug gesagt …“, singen die Ränge von dereinst die Existenz unseres Clubs bedrohenden Krisen.

Heute setzten die Ultras zudem in Minute 13 ein klares, Eisernes Zeichen. „GIB NIEMALS AUF UND GLAUB AN DICH, NICLAS“, gewidmet einem dreizehnjährigen Unioner, der seit Jahren gegen den Krebs fightet und damit wohl die meisten unser aller Sorgen im täglichen Fight locker in den Schatten stellt. Was uns alle betrifft, zeigte das Banner „Mit aller Gewalt Klassenerhalt!“. Um nichts anderes geht’s seit 2019, und nun erstmalig ganz pur, hart, in echt.

 

 

Union attackiert

„Stimmung ist gut, das Spiel nicht!“, lautet das Halbzeit-Fazit meines Blocknachbarn Helmut. Die Stuttgarter Fans im ausverkauften Gästeblock waren gut zu hören, die Gesänge der Unseren aber auch. Soll in vergleichbarer Situation nicht überall so sein, aber sch…egal, wir sind Union! Urs wechselt dreifach, besetzt die Flügel vorn mit Becker und Fofana. „Und wir lieben unsern Club und wir sind stolz auf ihn, FC Union aus Berlin!“

Ecke Trimmel – „hätte gefährlich werden können!“, vermeldet der Radiomann, immerhin! Bald darauf ein Abschluss, bei dem der Gäste-Keeper erstmal Schwäche zeigt, jawollja, weiter geht’s! In Minute Riesenchance für den heute leider gegnerischen Jamie Leweling, doch er scheitert an Frederik Rønnow. Gegenangriff Union über außen, Flanke in die Mitte, Nübel rettet vor Kevin Behrens!

Knapp und drüber – Union am Ball

Bald drauf ist Schluss für Rani – ich hoffe, reine Vorsichtsmaßnahme nach langer, bittebitte ausgestandener Verletzung, für ihn kommt Laïdouni. Auch bei Robin Knoche laufe es nach einem Zweikampf nicht rund – nee, oder!? Nun, er macht weiter. Angriff Union, Schuss aus 18 Metern – der Ball streicht rechts drüber, der Schütze habe ihn nicht optimal getroffen – Union kämpft, verdammt nochmal! Flanke von Trimmi, der Torwart hat den Ball. Wir über links, Fofana leider im Abseits.

Stuttgart stehe gut, lasse nicht wirklich viel zu – „He FC Union, olé-olé FC Union!“, schallt es von den Rängen. Stuttgart über rechts, Gosens hat den Fuß dran. Das war seit langem mal wieder ein gegnerischer Angriff. Union ist wesentlich stärker als in Halbzeit 1, doch noch immer fehlt das entscheidende Quäntchen Druck, Glück, was auch immer! Becker und Fofana wirbeln außen, wechseln mitunter die Seiten – jetzt aber: Becker flach nach innen auf Fofana, DRÜBER!

Abgefangen – und jetzt?

Und wieder einmal folgt eine Ausgabe dieser abgedroschensten aller Fußball-Szenarien: Erst bekommt mit Hofi der zweite Mann von der Bank (erster war der gegnerische Trainer) die Gelbe, Urs ersetzt Robin Knoche für noch mehr Druck nach vorn – und es fällt das 0:2! Nee, oder?! Das kann einfach nicht sein und ist derweil derart symptomatisch für uns wie wohl kein anderer Bockmist unterm Fußballhimmel.

Ich mache hierfür weder unsere neuen Spieler verantwortlich noch die alten, erst recht nicht die Arbeit unseres Trainerteams oder die Kaderplanung unseres sportlichen Leiters. Sie alle sind allerdings verantwortlich dafür, dass wir in diese Situation Bundesliga & Europapo gerieten und nun diese erste echte, seit Ewigkeiten heftigste sportliche Krise zusammen meistern. Ich mache auch nicht jene verantwortlich, die da in Oly oder AdAF vor Abpfiff das Stadion verlassen. Vielmehr zählen für mich wir!

Wir alle und NUR WIR sind gefragt

Ich meine uns, die wir unserer Mannschaft immer wieder und auch in jeder noch so beknackten Situation den Rücken stärken. Wir, die wir nahezu jeden Einzelnen mit „Fußballgott“ begrüßen und unser Team mit „FC Union, unsre Liebe, unsre Mannschaft, unser Stolz – unser Verein, Union Berlin!“ nach Abpfiff und Ehrenrunde verabschieden. WIR sind Union, verdammt – und auf Platz wie Bank jene Berufs-Unioner, die wir gerade zur Verfügung haben.

„Stelle an den Schrauben, auf die du Zugriff hast!“, habe ich hier Urs‘ Worte verinnerlicht. Und NUR wir können das leben und umsetzen, was Freund Christoph mir aus unserem Wohnzimmer schrieb: „Stuttgart ist der Eckstein unsers Bundesligafundaments. Keine Niederlage wird jemals die Nacht der Nächte aufwiegen können. Der Beginn des Union-Märchens, von den Müggelbergen hinauf auf den Mount Everest. Dort scheint uns nun ein wenig diePuste auszugehen Ab heute gibt es neue, altbekannte Ziele: Abstiegskampf, Klassenerhalt.“ Eisern heißt dit!


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