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Bildquelle: Harleypaul on Tour [], (Bild bearbeitet)
„Wenn Ducksch in der zweiten Halbzeit immer noch aufm Platz ist, habt ihr echt gute Chancen, zu gewinnen!“, gaben mir jene Werderaner mit, die ich in der S-Bahn gen Köpenick um ihre Meinung zum heutigen Spielausgang bat. Der vor kurzem noch Gefeierte hat offenbar gerade ein mächtiges Form-Problem, „und der Trainer vergisst regelmäßig, ihn auszuwechseln.“ Die Bremer erinnerten sich auch noch gut an unsere ersten beiden Aufeinandertreffen in der Bundesliga, als erst sie uns und dann wir sie bezwangen.
Während uns der erfahrene Bundesligist AdAF zeigte, wie abgezockt man in dieser Spielklasse sein muss, erwies sich unsere Mannschaft in Bremen als die Stärkere – und heute? Die Bremer und ich verblieben mit: „Danach wieder Kumpels!“ Dass Bremer Fußballfans im guten Sinne schlagfertig sind, beweisen sie unter anderem mit der Antwort auf die schmähende Frage, wer denn grün sei und nach Fisch stinke: „Deine Mutter!“ Das ist fies und gemein, aber die dem vorangehende Anmache ja nicht minder.
Bevor es losging, galt es noch Patrick Kohlmann-Fußballgott an seiner langjährigen Wirkungsstätte zu begrüßen. Wie oft hatte er in unserem Wohnzimmer alles für Union reingehauen, und das vergessen wir nicht, Eisern! Zur Hymne gabs eine wunderbare Choreo auf der Waldseite. Aus dem Grün des Köpenicker Forstes erhoben sich der legendäre Hauptmann und Ur-Potti, dazu etliche ebensolche Bauwerke des wunderschönen, immergrünen Stadtbezirks im Südosten Berlins, darunter die Mauern unseres Stadiongebäudes.
Auch die Straßenbahn, deren Fahrerinnen und Fahrer uns Spieltag für Spieltag ins Stadion unseres geliebten Vereins bringen, durfte da nicht fehlen – wie wunderbar, diese Spieleröffnung von den Rängen, meinen tiefen, herzlichen Dank dafür! Nun aber gings auf dem Rasen zur Sache: Angriff Union, fast ein Konter der Bremer. Wer würde heute mehr Chancen vergeben, wer die seinen endlich wieder konsequent nutzen? Zunächst jedoch blieben beide Tore von Schüssen verschont.
„Eisern!“ „Union!“ Der Wechselgesang dauerte lange an, schwoll zweimal auf und ab, bevor es mit „Wir sind Unioner, wir sind die Kranken!“ weiterging. Unsere wirken bissiger als der Gegner – und bringen nach 11,33 Minuten den ersten Torschuss – eine sichere Beute für den Bremer Torhüter, aber immerhin! Hier vermisste ich das auch von mir nur stumm gebrüllte „Eisern Union!“ Unsere holen Ecken, bekommen gar einen Freistoß – und doch setzt den ersten saugefährlichen Angriff der Gast von der Weser!
Mein Herz rast, in letzter Sekunde lenkt einer der Unseren das Ding an den Außenpfosten! Derweil regnet es Gelbe Karten, erst drei für uns, dann drei für den Gegner. Der Schiedsrichter erweist sich als ausgesprochen kleinlich – allerdings konsequent auf beiden Seiten! Wie oft erleben wir das anders – mein Dank, Herr Schlager! Meine Blase drückte derweil derart, dass ich den Block etliche Minuten vor dem Halbzeitpfiff Richtung sanitäre Anlagen verlassen muss.
Warum auch immer, ich beschließe, anschließend nicht gleich wieder hoch, sondern einfach mal zum Barkas zu schlendern, der heute an einem anderen Ort stehen muss. Olafson und Schmü sind bereits vor Ort, um in der bald beginnenden Pause noch ein paar Unionprogramme zu verkaufen. Aus dem Stadion ein Aufstöhnen aus Tausenden Kehlen. „So knapp ging der gerade vorbei!“, übersetzt mir Schmü mit Daumen und Zeigefinger, deren Spitzen sich fast berühren.
Und gleich nochmal – wieder so knapp! Ich bin stolz darauf, dass du allein schon an der Kulisse, dem spielbegleitenden Konzert von den Rängen klar ersehen kannst, was auf dem heiligen Rasen vor sich geht. Ich war hautnah dabei, obgleich meine Augen den Barkas und zwei seiner Fahrer erblickten. Zur zweiten Halbzeit jedoch verfolgte ich das Spiel wieder von meinem Platz oberhalb der Mittellinie aus. Dort standen heute auch zwei Bremer Freunde eines von mir heftig geschätzten Nachbarn. Stress? Fehlanzeige, es sind Fußballfans!
Hälfte zwei beginnt mit Bremens Pyrotechnik. Einzig, dass einiges davon Richtung Spielfeld geht, verdiente unsere Pfiffe. „Oh FC Union, wir wollen den Sieg!“, beschworen wir unsere Mannen. Und die zeigten umgehend, wie sehr sie unser aller Sehnsucht verinnerlicht hatten: Attacke Aaronson, über Gosens kommt der Ball zu Vertessen, der das Spielgerät via Zwischenstation linker Innenpfosten ins gegnerische Netz drischt! Regen aus Bier, ekstatischer Aufschrei, wir liegen einander in den Armen – Union führt, wie steil ist das denn!
Wir zelebrieren den Treffer, singen weiter – und unsere Mannschaft legt gleich noch einen drauf: Doppelpass von Aaronson und Vertessen, den der Amerikaner eiskalt ins Tor vollendet, Union führt 2:0! Erneut strichweiser Niederschlag, sicher nicht nur bei uns an der Mittellinie! Wie befreiend ist doch so ein Doppelschlag der eigenen Mannschaft. Erst spät am Abend in einer der letzten Berliner Kneipen im Prenzlauer Berg verrät mir ein schreibender Unioner, dass dem 1:0 eine verdächtige Abseitsposition eines Unioners vorausging …
Geschenkt – wir führten, endlich mal wieder und auch noch mit zwei Toren! Jetzt noch einen nachlegen, aber auch Werder drängt jetzt nach vorn. Freistoß in unserer Hälfte, abgewehrt! Ecke Ducksch, Kopfball Weiser – und Mist, der Ball ist drin, die Bremer jubeln über den Anschluss, 11 Minuten nach unserem Doppelschlag. Mit anderen Worten: Eine knappe halbe Stunde plus Pyro-Nachspielzeit bis Buffalo, schier endlose Ewigkeiten! Erst einmal jedoch stürmt Union: Schuss aufs Tor, der Keeper hat ihn sicher.
Jetzt aber! Kaufmann auf Tousart, die Distanz zum Tor verdammt kurz und gefährlich – das gibt’s doch nicht, der wackere Zetterer klärt das Ding zur Ecke! Die bringt nichts ein, doch die Bremer Offensive lässt weiter auf sich warten. Zwischendrin erzählt die elektronische Anzeigetafel etwas von einem VAR-Check, schenken uns die Bremer fast ein Eigentor – der heftigste Gegner wird mir die Uhr, die jetzt deutlich langsamer läuft als es meinen Nerven guttut.
Die Nerven unserer Spieler scheinen da von deutlich stärkerer Natur zu sein. Wie immer vertreibt sich die Zeit am besten mit Gesang. „Eisern!“ „Union!“ folgt der Vorwärts-Song, diesem das donnernd hervorgebrüllte „He FC Union, olé-olé FC Union!“ Und weiter ist es vor allem unsere Mannschaft, die angreift. Endlich zeigt die Uhr vorne eine 9 – aber was nützt das? 8 Minuten Nachspielzeit gibt’s obendrauf! Zwei Mann liegen in unserem Strafraum, Schiedsrichterball? Abstoß? 11 Meter? Für Momente verliere ich jede Orientierung.
Anders unsere Mannschaft – und dann ertönt er, unüberhörbar, alles entscheidend, der Schlusspfiff! Wir haben ein weiteres 6-Punkte-Spiel gewonnen, machen weiter Boden gut – und ich erlebe endlich mal wieder eine kleine Nachspiel-Feiertour. Mit dem Barkas durch Eisernland, Zwischenstation im Deftig bei Mone und Mirko, bei denen dieser Spieltag für mich mit der weltweit leckersten Grillplatte begann. Meinem U-1966-Käpten Meldung erstatten, anstoßen, mit Bia und Robert jubeln, herrliche Momente lang alle Fünfe gerade sein lassen. Friedlich tuckerte unser geliebter Union-roter Zweitakter durchs abendliche Berlin – Union, ick liebe Dir!
Wer: Christopher Busse (35)
Wann:16.11.2024