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Bildquelle: Asanka Schneider [], (Bild bearbeitet)
Das erste Mal jubelte ich am Dienstag. Ein Auftraggeber, für den ich ein Buch schreibe, ist ebenfalls Unioner. Gerade hatte ich ein paar seiner Leute interviewt, und noch ehe wir ein Wort über meinen Auftrag verloren, ließ er mich wissen: „Urs Fischer hat verlängert!“ Die Umstehenden wunderten sich ein wenig über meinen jubelnden Aufschrei. Aber da sie um die Leidenschaft ihres Chefs und seines Ghostwriters wissen, ahnten sie wohl, um was es da gerade ging.
In der Tat hatte mich diese lang ersehnte Nachricht für einen kurzen Moment die Horrormeldungen der letzten Tage vergessen lassen. Auch den großen Mist, dass wir alle auf absehbare Zeit nicht gemeinsam unsere Leidenschaft ausleben können – und wer weiß, was sonst noch alles unser harrt, vom Fußball da mal ganz zu schweigen. Das Jahr ist bekloppt genug, oder? Was solls, Urs Vertragsverlängerung riss kurz, aber mächtig jeden Wolkenschleier auf.
Zwei Tage später: Mist verdammter, Schnupfen an Bord – also kann ich nicht bei einem Eisernen Freund das Spiel gucken. 90 Minuten Dauerbeschuss unseres Tors durch den nahezu allmächtigen FC Hollywood aus dem Bayernland, vielleicht ist das ja ganz gut so. Ich kann nix dafür, bin nun mal Profi-Pessimist. Ohnehin wollte ich ja mal ein Spiel im Radio verfolgen. Union-App sei Dank, geht das jetzt ja sogar mit Eisernem Kommentator. Allemal besser, als die üblichen „Westfernseh-Heinze“ unsere Gegner anfeuern zu hören.
Fernsehnachmittag mit Liebe und Tochter auf der Couch, dennoch habe ich rechtzeitig die Stöpsel im Ohr … um kurz darauf erneut loszujubeln. Gibt’s doch nicht, Union führt durch Grischa Prömel in der 4. Spielminute, und es war gar nicht mal unsere 1. Chance! Nun aber die superreichen CL-Stars im Rummenigge-Trikot, oder? Denkste, Union erspielt weitere Großchancen – und in der 22. überschlägt sich des Kommentators Stimme bei einem Angriff von Taiwo Awoniyi!
Er macht ihn nicht rein … schon höre ich, Lewandowski liege in unserem Strafraum. 11er? Nee, oder?! Der Kommentator sieht‘s nicht so, aber der Videokeller prüft … und kommt, Fußballgott sei Dank, zum gleichen Ergebnis. … Bald haben die Bayern ihre 2. Gelbe kassiert, ob der Schiri Ärger kriegt? Ein bisschen wie früher, wenn sein Kollege einen Mielke-Spieler verwarnte? Lassen wir‘s, aber rächt es sich, dass es „nur“ 1:0 steht? „Ne frühe knappe Führung für Union, dit is jefährlich!“, habe ich Blocknachbar Jos Stimme im Ohr.
Als ich im Internet einen Bilderfetzen aus dem Stadion erwische, klingt unser Stadion fast so, als wären wir dort. Wie liebe ich unseren singenden, klingenden Wunderwald! „NEUER SCHLÜSSEL, ALTE „FAIRNESS“ – FÜR EINE GERECHTE VERTEILUNG DER TV-GELDER“. Die über die Gegengerade gespannte Zaunfahne lässt meine „Liebe“ zu Herrn Rummenigge & Co nicht gerade wachsen. Nee, du, die dürfen hier nicht gewinnen!
Tatsächlich ackert sich Urs‘ Mannschaft mit der knappen Führung in die Pause. War letzte Woche auch so, meldet sich der Pessimist hinter meiner Stirn zu Wort. „Halt die Klappe“, fahre ich ihn an, saustolz auf diese Union-Mannschaft bin ich. „Alles kann, nix muss!“, wirft uns Unions Live-Ticker in die 2. Halbzeit. „Nicht nur mitlaufen!“, brülle ich das Fernsehbild an. Die Bayern erarbeiten sich Eckbälle, überhaupt machen sie mächtig Druck.
Elend langsam vergehen die ersten 5 Spielminuten. Lewandowski und Friedrich knallen mit den Köpfen zusammen, Freistoß Bayern, nee, oder? Erstmal nix weiter, aber Bayern über links durch – Befreiungsschlag. Zweiter Ball, Luthe rettet! Dann Becker über rechts – leider vorbei. Ein Bayernspieler hält unseren – und kriegt den Freistoß? … Ecke Bayern, es geht hin und her – endlich hält Luthe den Ball warm und sicher!
Union am Ball – tut saumäßig weh, jetzt nicht mit den anderen auf den Rängen zu brüllen. Das ist in jedem Fall nervenschonender, als hier in meinem Zimmer gefangen zu sein. Teuchert links durch – Mist, der Ball kommt nicht an. Teuchert? Ja verdammt, Ingvartsen musste verletzt raus. Hatte ich völlig verdrängt. Bayern habe 63 % Ballbesitz, lese ich irgendwo, ach lasst mich doch. Und dann kommts richtig dick: Lewandowski einen Moment zu frei – drin ist der blöde Ball, Andi Luthe machtlos.
Unions Antwort: Angriff! Wenn es je eine Eiserne Mannschaft gab, die jetzt nicht verliert, dann diese!, durchfährt es mich trotzig. „Wir sind Unioner, wir sind die Kranken…“, tönt es aus dem Wald. Haben sie gar Trommeln am Start? Gelbe Karte für einen Unioner – fast bin ich dankbar, dass ich gerade keine bewegten Bilder sehe. Wenn dieses Spiel nicht so elend lange wäre! Ein paar Sekunden wachsen zu gefühlten Sunden. Ein Bayer foult – oh, das konnte der Schiri offenbar nicht sehen. Becker sieht die Gelbe. Mir schwindelts, Eisern Union!
Bayern greift an, hört gar nicht mehr auf damit. Nee, gewinnen dürfen die hier nicht! Sehe Urs am Spielfeldrand auf und ab gehen, jede Menge Anstrengung in Gesicht und Körperhaltung. Und unsere Mannschaft steht verdammt gut – und dann ein Super-Reflex von Luthe, bei dem ich kurz an Potti Matthies denken muss. Fußballgott, das kannst du nicht wollen, dass wir heute leer ausgehen! Irre oder nicht, die Nachspielzeit beginnt, und es steht noch immer 1:1. Die üblichen 4 Bayern-Minuten gibt’s obendrauf…
… Aber die Spieler des Marktführers wirken gar nicht so, als wollten sie diese nutzen. Sind sie platt von der Schampusliga? Sorry, ist mir jetzt egal, Union greift an, während es „… die Zeit ist nun gekommen, ihr werdet’s alle sehn!“ aus dem Wald schallt. Was ist das, schon wieder Eiserner Angriff – Ryerson schießt in den Himmel, das Spiel ist AUS! Ich huste, geh am Stock, wir haben den verdammten Punkt! Nur einer, aber der unvergessen! Wald, Tribünenhaus, Köpenick brennt im Pyro-Nebel. Eisern heißt dit!
Wer: Martin Krüger (45)
Wann:26.11.2024