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Bildquelle: Erbsensuppe [CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons (Bild bearbeitet)
Bis kurz vor Anpfiff erzählte mir fast nur Andoras Eckfahne „Der kleine Biss“ davon, dass heute Union ist. Die steht und weht wacker auf meinem Balkon, seit TeiChi sie mir vor dem Heimspiel gegen Mainz schenkte. Jener trotz allem aktuellen Mist geradezu grandiose Fußballabend im fünftel-gefüllten Wohnzimmer liegt nicht nur gut 2 Wochen zurück, sondern gefühlt mehrere Ewigkeiten.
Wie sorglos lebten wir, als meine größte Angst darin bestand, ob Union am Ende der Woche wohl den oder die nächsten Punkte holt. Nun aber wurde diskutiert, wie schlimm und schändlich es gewesen sei, dass 1.700 Unioner beim Testspiel im Wohnzimmer gesungen hatten. Fast staunte ich, dass unserem Verein für dieses Vergehen keine satte Strafe aufgebrummt wurde. Vielleicht werden wir später irgendwann über all das befreiend lachen können.
Nun also tatsächlich Bundesliga-Wochenende. Am Samstag Bilder von vorbildlichen Hertha-Fans: Alle auf Abstand und keiner singt – Pfeifen und meckern ist ja erlaubt, oder? Sarkasmus aus, Sonntagabend war Union an der Reihe, in einer nahezu leeren Turnhalle auf Schalke – wo sie mit ihrer Malocher-Vergangenheit weit trashiger kulten als wir. Die Spieler laufen über einen simulierten Schacht ein, wow!
Dank eines Union-Kumpels darf ich via Stream teilhaben an unserem Spiel, dafür mein herzlicher Dank! Besonders, weil der Reporter in einer anderen Sprache parliert – in welcher das Missverständnis zwischen Becker und unserem Finnen so putzig klingt, gar nicht mehr gefährlich. „Een echchter Applausch“, kommentiert der Mann das Klatschen der 300 Zuschauer im Stadion. „Anbieten!“, brüllt einer durch die hallende Turnhalle, war das Urs?
Beim letzten Aufeinandertreffen beider Mannschaften hier waren wir der klare Außenseiter. Vom Marktwert der Spieler sind wir es heute nicht minder – aufm Platz sieht das anders aus. Trimmel auf Kruse, der dreht sich im gegnerischen Strafraum – schade, unser Angriff versiegt. Als Kruse das nächste Mal am Ball ist, höre ich den lustigen Reporter etwas von Shisha-Lounge reden – wie froh bin ich, dass ich ihn ansonsten kaum verstehe. Mist, Freistoß Schalke … das sah gefährlich aus, aber weit gefährlicher kommt unser Konter daher.
Ecke Union, harter Andrich-Schuss von außerhalb der Strafraumgrenze. Schade, drüber, nicht mal knapp … Becker auf Bülter, der köpft ebenfalls drüber. Ein Schalker war noch dran, Ecke. Die kommt weit in den Strafraum, Seitfallzieher, Torwartparade – erneute Ecke. Die schlägt Trimbo näher ans Tor, am Ende wieder ein Schuss von der Strafraumgrenze, Ecke Nummer 3. Die bringt leider nicht das sprichwörtliche Tor, aber Eisern Union, was für eine Offensive!
Union greift weiter an, als der Stream erstmals hakt. Wir setzen uns in deren Strafraum fest, aber jetzt auch mal S04. Wie weit ist dieses Team wirklich angeschlagen, wie weit spielte es nur gegen den alten Trainer? Das Gesicht unseres Finnen sieht zum Fürchten entschlossen aus. Ecke Schalke, die Leute klatschen, dazu Rudimente eines Gesangs. Will das hier Fußball werden? Der Ball rotiert mitten in unsrem 16er, als der Stream erneut hakt. Zappelt er im falschen Tor, wenn die Bilder wieder „laufen“?
Der Ton ist bald wieder da, schließlich auch das Bild. Sie beschießen unser Tor, aber Luthe wäre dran gewesen. Wieder steht das Bild, die dadurch an den sprichwörtlichen Haaren herbeigezogene Spannung fühlt sich eklig an. Die Uhr bleibt ständig stehen, die Sekunden ziehen sich wie bei Basketball & Co. … Ein Blauer frei vor Luthe – der kratzt das Ding weg! Wäre sowieso Abseits gewesen. Ein Blauer am Boden, dann steht das Bild „für immer“. Als mein Auge wieder das Stadion sieht, spricht der Kommentator englisch – Halbzeit!
Unsere Spieler kommen als erste Mannschaft die Stufen des Gazprom-Schachts runter. Beim Kieken im Netz „traf“ ich grad einen Eisernen Freund, so also „begegnet“ man sich heute. Anpfiff, und schon wieder ein gefährlicher Angriff von Union. Im Gegenzug kriegt Schalke einen Freistoß. Langes Vorspiel – nüscht. Union stört früh, der Engländer quatscht mit einem deutschen Studiogast über Schalke. Schön, dass ich auch ihn kaum verstehe.
Wir greifen an – schade, das Durchstecken klappte nicht, aber jute Idee! Becker über rechts, Ecke. Sie wehren ab, doch Trimbo holt sich den zweiten Ball, schickt ihn in den 16er, passgenau auf Marvin Friedrich, der ihn in die Maschen köpft. „Tooooor!“ schreie ich durch die Wohnung. Zugegeben, das Fiepen des Union-Tickers auf meinem Handy hatte ihn mir zumindest ein wenig verraten. Also zu Ende jubeln und das Handy raus in den Flur.
Klasse Angriff, Ecke! Diesmal von der anderen Seite, getreten von Kruse. Wieder auf Marvin, leider köpft er drüber. Schalke wechselt, und unser Finne guckt wie ein zorniger Mann in der Kneipe. Einer, mit dem ich keinerlei Streit haben möchte … kurz darauf tauscht Urs ihn gegen Awoniyi. Union spielt die derart an die Wand, hoffentlich heben unsere jetzt nicht ab. 67.35 – und wieder steht das Bild. Mist verdammter, das war doch fast schon Fußball!
Schalke vor unserm Tor, Luthe klärt zur Ecke – Mist, draußen fiept mein Handy. Tatsächlich, kurz drauf ist der Ball in unserem Netz. Das sofort einsetzende Konserven-Gedudel klingt wie ein weichgespülter Eiserner Stadiongesang. Wieder ein Tor mit elektronischer Ansage, da hilft nur eins: Handy aus! Schalke greift an, die Zuschauer klatschen, singen fast ein bisschen – und noch 21 Minuten reguläre Spielzeit!
Der Gegner presst uns in die eigene Hälfte, wir verlieren den Ball vorm eigenen Tor. Mist verdammter, jetzt kämpfen die Schalker geradezu. Der Kommentator erklärt, man nennt uns „the iron ones“, aber das hilft mir jetzt auch nichts. Schalke drückt weiter, erst nach Ewigkeiten (auf der Uhr leider nur ganz wenige Zeiteinheiten) sind wir mal wieder fast vor deren Tor. Der Gegner ist bissiger im Mittelfeld. Der war voll uffm Fuß, gelb für Schalke. Ginter kommt für Kruse.
Ecke für Union, jetzt aber gut absichern! Gerangel im 16er, Offensivfoul sagt der Schiri, zwei Blaue wälzen sich am Boden. Schon geht’s wieder Richtung Union-Tor. Nahe der Mittellinie jeder Zentimeter hart umkämpft. Endlich kommen wir mal wieder durch, der Ball landet in den Armen des Keepers. Schalke wechselt, nur mäßig schnell. Sind die womöglich zufrieden mit dem Spielstand? Unsere beschießen ein wenig deren Torlinie, dann wieder Angriff der nominellen Hausherren.
Mist, Bülter foult Stevie, Freistoß aus gefährlicher Position! Die Nachspielzeit läuft bereits. Nee, bitte nicht, bibbere ich noch, da hat ihn Luthe schon. Kurz drauf erneut Angriff Blau, schon wieder Freistoß, links vom 16er. Wieder Bangen, da begräbt Luthe den Ball unter sich. Nach 1.15 der dreiminütigen Nachspielzeit bekommen auch wir einen Freistoß. Endo kommt für Bülter, der Ball streicht weit, weit am Tor vorbei. Mitten im halbherzigen Gegenangriff ertönt der Schlusspfiff.
Die Trainer betreten den Rasen. Urs wirkt betreten, der Schalker Übungsleiter zeigt zumindest unentschiedene Miene. Ich bin froh und traurig. Ein Punkt ist ein Punkt, und doch wäre hier mehr drin gewesen, oder? Was für Luxusprobleme in einer Zeit, in der das Haken des Streams einen Gutteil der Spannung erzwingt. Aber danke an den Unionkumpel, dass ich so überhaupt halbwegs dabei sein konnte. Mittendrin ist was anderes: Fußball Schulter an Schulter mit Gesängen aus Tausenden Kehlen. Eben echt, statt Video-Spiel. Urs umarmt Stevie, jetzt immerhin lächelt auch er.
Wer: Laurenz Dehl (23)
Wann:12.12.2024