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Bildquelle: Harleypaul on Tour [], (Bild bearbeitet)
Wieder mal ein Saisonfinale … für mich seit ewigen Zeiten das erste oder gar bislang einzige, bei dem ich derart wenig an das anstehende Spiel selbst dachte. Zweifellos eine tolle Sache, das mit der Champions League, für die sportliche wie kaufmännische Leitung unseres Vereins, Mannschaft und Stab wie für jeden einzelnen Unioner auf den Rängen wie anderswo. Und ich gehörte zu denen, die das Ganze leibhaftig im Wohnzimmer mitgestalten durften.
Auf meinen Weg zum Stadion ließ ich wie immer das schwere Gepäck meiner Alltagssorgen daheim, aber auch mein Stadionrucksack drückt mir ein beträchtliches Gewicht auf Schultern und Gemüt. Ich denke an so viele, die allein in den letzten Jahren für immer hinauf in Block H wechselten. Wenn ich hier Janine, Margit, Svenne, Wüstling-Fux und Hannes Lamprecht nenne, ist das lediglich die Spitze der Spitze des sprichwörtlichen Eisbergs.
Gestern Morgen aber dachte ich hier besonders an Gio. Der kleine Unioner, der allein schon aufgrund einer Erkrankung nicht ins Stadion kommen konnte, verstarb in seinem Kinderhospiz – noch ehe das große Spiel angepfiffen wurde und ihm seine eiserne Freundin Silvana meine sechs Union-Bücher schenken konnte. Die hatte sie gerade bei mir für ihn geordert. Alles Gute da oben, kleiner Kämpfer!
Aber ich denke auch an einige, von denen ich hoffe, dass sie eines Tages wieder neben mir im Stadion stehen. Eiserne Freunde wie Blocknachbar Rolf, Stadionbauer Hannes oder mein geliebter Zwilling Sam Paff, um auch hier nur ein paar ganze wenige zu nennen. Aber verdammt nochmal, ich hatte ein Ticket fürs Stadion, würde den Tag mit Freunden verbringen – also los, du zigfach Privilegierter!
Natürlich reiste ich zusammen mit meinen U-1966 Kameraden KaLeu Christian und Maat Tilo per Schiff gen Köpenick. Allerdings waren auch viele andere auf diese Idee gekommen, und unser Präsident hatte gleich mal „unsere“ Viktoria gemietet. Ihr folgten mit der Vera, Helgard und zu guter Letzt uns auf der Havelglück gleich drei weitere mit rot-weißen Union-Verrückten bestückte Kähne, das alles atmete einen Hauch Aufstiegsfeier. Bestes Wetter, Gespräche bei Gerstensaft – Wohnzimmer, wir kommen!
Wir fanden unser Stadion inklusive Gästeblock prall gefüllt, und die Bremer zeigten sich mit guten Manieren ausgestattet. Starteten sie doch ihre Fahnen- und Pyro-Choreo in Grün und Weiß erst, nachdem wir unsere scheidenden Spieler verabschiedet hatten, anders als letztes Jahr die Bochumer. Die Waldseite zeigte ein riesiges, rot eingefasstes Logo unseres Vereins, darüber wie darunter das beherzt poetische Banner: „Ob in Europa oder am Abgrund, ob mit Freude oder Frust / Unendlicher Stolz durch das Wappen auf der Brust.“
Die Bremer hatten Anstoß, unsere Mannschaft alsbald das Zepter vor den Füßen. 2. Minute, Eckball Union, „und wir lieben unsern Club, und wir sind stolz auf ihn, FC Union aus Berlin-Köpenick!“ Käpten Trimmel bringt sie rein, den zweiten Ball hat der Torwart. „Auf geht’s Union, Kämpfen und Siegen!“ Es folgt der beherzt gebrüllte „Eisern!“ „Union!“ Wechselgesang, eine weitere Ecke und in Minute 9 fast ein Elfmeter für uns!
Ich will gar nicht wissen, ob‘s einer gewesen wäre. Der Schiri ging kurz gucken, kassierte seine Entscheidung, nur Eckball für uns, niemand protestiert. Weitere Angriffe, weitere Standards, begleitet von „1. FC Union Berlin – und alle!“ Ich saß neben meinem KaLeu auf der Tribüne und musste plötzlich daran, denken, wie einer der beiden Bremer vor uns seinem Kumpel vor der Hymne mit Achtung in der Stimme gesagt hatte: „Pass auf, jetzt singen sie ihr Lied!“
Freistoß Union aus geschichtsträchtiger Position – und schon erklang das „Torsten Mattuuuuuuschka, du bist der beste Mann…!“ Kein Tor, immerhin ein weiterer Eckball, der wievielte inzwischen? Zum nächsten Eisernen Freistoß erscholl unser Bundesliga-Song. Werder musste früh wechseln und holte in Minute 25 sogar mal eine Ecke, ansonsten kam nicht viel für den Laien Sichtbares von den Grün-Weißen aus dem Norden.
Union stürmte und drängte, allerdings zumeist ebenfalls ohne große Gefahr. Der Bremer Torwart wehrte ab, hielt den Ball sicher in seinen Händen. Unsere nehmen Maß, verdammt knapp links vorbei, wie schade! In Minute 44 Freistoß Werder aus bester Position – den Nachschuss hat Freddy sicher – die erste Torchance unserer Gäste, oder? Noch immer stehts 0:0 – und Freiburg führt in Frankfurt, na und?
Die Halbzeitpause ist vorbei, und unsere Mannschaft zeigt sich dem einst gestandenen Bundesligisten, der uns am selben Ort noch vor wenigen Jahren eine Lehrstunde in Abgezocktheit erteilt hatte, gefühlt haushoch überlegen. Dennoch, nichts Zählbares steht da auf den Anzeigetafeln. „Ein zäher Dreck wieder!“, schnauft der KaLeu neben mir. Ecke Union, schade, der Nachschuss geht daneben. Dann aber sind sie plötzlich durch, Pass, Abschluss, das Tornetz zappelt, Biere fliegen – auch bei uns auf der Tribüne!
Zu früh geduscht, das Tor wird kassiert, Abseits? Egal, weiter, dann eben über einen Standard: Unbarmherzig knapp streicht Trimmis Schuss links am gegnerischen Kasten vorbei! Der ASK-Gesang erklingt, weitere Angriffe, Standards, und noch immer kein Tor. Keine Ahnung, wie‘s in Frankfurt steht, ich will Union siegen sehen! Gelbe Karte gegen unsere Bank, „Hier regiert der FCU!“ Dann erneut das „Eisern!“ „Union!“, wir kommen über rechts, aber harmlos.
Seltsamerweise kommt mir so gar nicht in den Sinn, dass Werder plötzlich, wie unerwartet das berühmt-berüchtigte Tor aus dem Nichts gelingen könnte, Wir haben gefühlte 100 % Ballbesitz – wie werde ich später staunen, dass es nur 47 % gewesen sein sollen, immerhin ein gigantisch hoher Wert für Union-Verhältnisse. Und sie stürmen und drängen weiter, mittlerweile zeigt die Uhr vorne schon die 8, na und? Eine Zeigerumdrehung später erlöst uns Rani Khedira. Er lässt das Tornetz zappeln, und der Schiri zeigt tatsächlich auf den Anstoßkreis!
Nun endlich doch: Keine Diskussion, kein VAR, noch Blauhelm-Soldaten, einfach nur der unbändige Jubel Tausender Unioner auf Rasen und Rängen! „FC Union international!“, und plötzlich greift sogar Werder mal wieder an. Frederik hält, aber so was von sicher! Von den Rängen schallt die in wenige Gesangszeilen gegossene Erinnerung: „Damals mit Damir Kreilach, noch zweite Liga …!“ Nein, verdammt, diesen Sieg kann uns niemand mehr nehmen, nicht einmal wir selbst.
Stadionsprecher Christian mahnt, jetzt gleich den Rasen NICHT zu stürmen. Anders als letztes Jahr halten sich alle daran. Liegt das auch daran, dass derartige Erfolge spätestens seit jener Mai-Nacht vor auf den Tag genau vier Jahren für uns mittlerweile einfach dazugehören? Das Spiel ist aus, Jubel bricht los, der Stab schafft Bier und Schampusliga-Shirts in Rot und Schwarz herbei, irgendwann erklingt deren Jingle. Wieder hat sich unser Verein um einen Platz in der Bundesliga-Tabelle verbessert, kletterten wir international eine weitere Spielklasse nach oben! Wo führt das noch hin? Egal, jetzt sind wir hier!
Die Mannschaft hat auf ihrer Ehrenrunde die Waldseite erreicht, während der Stab noch vor der Gegengerade feiert. „Urs Fischer!“, schallte es zu uns herüber, von der Waldseite „Christopher Trimmel!“ Ich höre auf, zu denken, nehme einfach nur das alles mit. Jubel allerorten, Umarmungen, Bier in der Luft und Pyronebel überm Balkon des Tribünenhauses, Mannschaft, Stab und Fans im ekstatischen Reigen. „Saug es auf, nimm alles mit, es kommen auch wieder andere Zeiten!“, mahnt mich Buskapitän Martin.
Später im Coé begehe ich still und abgekämpft den Saisonabschluss mit Freunden, meinem KaLeu, den Wirtsleuten und Zwilling Sam. Wie wünsche ich mir, dass er mal wieder mit ins Stadion kommen kann. Ist so komisch dort ohne ihn! Ich vergesse glatt, dem KaLeu seine Unionprogramme zu geben, als ich aufbreche – um spät in der Nacht bis in den Morgen hinein unsere Spieler auf der offiziellen Abschlussparty feiern zu sehen. Ich bin platt, sie voller Energie! Kam mir ein Sven Michel aufm Platz eher klein vor, sehe ich hier, dass er doch ganz schön groß ist.
Aufm Klo dachte ich zunächst, ich sei falsch abgebogen. Fand ich doch die sonst so profane Pinkelrinne über und über mit Eiswürfeln bestückt. Die Spieler und ihre Frauen rocken die Tanzflächen, ausgelassene Riesen-Jungs, die vor Kraft und Lebensfreude nur so strotzen. Immer und überall ein Jamie Leweling, der mitten im Gespräch zu Boden geht, um eine gehörige Anzahl sauberster Liegestütze zu drücken. Diese jungen Männer haben großartiges geleistet, ich gönne ihnen jeden Funken Freude. Eisern heißt dit!
Wer: Christopher Busse (35)
Wann:16.11.2024