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Bildquelle: Harleypaul on Tour [], (Bild bearbeitet)
„Sage nicht alles, was Du weißt – aber wisse immer, was Du tust.“ Dieser Spruch, mir vor Jahrzehnten von meiner guten Tante Erika ins Stammbuch geschrieben, kam mir in den Sinn, als ich die Pressekonferenz mit unserem neuen Cheftrainer vor dem jede Menge entscheidenden Auswärtsspiel bei Sporting Braga verfolgte. Nenad Bjelica freundliche, vor allem aber äußerst bestimmte Miene verriet, dass aus ihm keinerlei Information herauszubekommen war, die auch nur den geringsten Hinweis auf die von ihm favorisierte Taktik hinweisen könnte.
Er verweigerte diese Informationen längst nicht so charmant wie sein hochverdienter Vorgänger, und doch sah ich im Geiste Urs neben mir sitzen, der da sagte: „Baue auf die, die da sind!“, und zu diesen gehört seit Montag eben jener knallhart wirkende kroatische Fußball-Lehrer, welcher dereinst in der Schampusliga die Mannschaft seines nunmehrigen Schützlings Robin Gosens „zerpflückte“, beziehungsweise „von der Platte wegrasierte“, wie es Robin so trefflich ausdrückte.
Ich hätte nicht das Geringste dagegen einzuwenden gehabt, wäre Bjelicas Team, die Mannschaft meines geliebten 1. FC Union Berlin, eben das nun in Braga gelungen. „Wir sind Unioner, wir sind die Kranken“, vernahm ich gleich zu Beginn unsere Auswärtsfahrer. Aufm Rasen indes übernahmen die Hausherren die Initiative, zunächst kann Kapitän Rani Khedira klären. Trimmi saß auf der Bank, seine Position bekleidete Josip Juranovic.
Kurz drauf kassierte Robin Knoche die erste Gelbe des Spiels, nach nicht mal zwei Minuten! Kurz darauf holen sie unseren wackeren Jérôme Roussillon von den Beinen – nichts! Ich hatte es ja nicht gesehen – und doch fühlte ich mich unangenehm an die Schiedsrichterleistung in unserem letzten Bundesligaspiel zurückversetzt. „Eisern!“ „Union!“, kommt es von den Rängen, während das Heimpublikum auffallend still verharrt. „Der Regen weichte die ausgeteilten Klatschpappen durch“, hilft mir die Radiokommentatorin auf die Sprünge.
In Minute 15 erkämpft sich Braga die zweite Ecke, der Ball landet im Aus. Doch schon wieder sind sie da: scharfe Flanke von links, Frederik Rønnow klärt in höchster Not! Diese Torchance war wohl derart klar, denn selbst das Bragaer Operettenpublikum wurde kurz mal laut. Unsere vermeiden es weiterhin, sich dem gegnerischen Gehäuse ungebührend zu nähern. Vielleicht jetzt mal, Freistoß Juranovic aus gut dreißig Metern. Letzte Saison wäre das womöglich eine Torchance gewesen.
„Kämpfen und siegen!“, mahnt es von den Rängen, und kurz darauf: „Auf geht’s, Unioner schießt ein Tor!“, denn wir haben erneut Freistoß. Weiterhin keine Gefahr für das Tor der Portugiesen, und nach einigem Hin und Her haben die plötzlich Platz! Sie behaupten den Ball trotz schlechter Annahme des selbigen, der Kopfball streicht dicht am rechten Pfosten vorbei. Wenig später holt ein Braga-Spieler unseren Kevin Behrens von den Beinen und sieht dafür die Gelbe Karte.
Der Schiri erhält die Einladung zum Fernseher – und zieht umgehend den Roten Karton. Union eine Stunde plus Nachspielzeiten in Überzahl, geht das gut? Ungute Erinnerungen überschwemmen mein Pessimisten-Hirn, doch Unsere stürmen nun nach vorn! Sie nieten Aïssa Bilal Laïdouni um, taktisches Foul, Gelbe Karte, dazu ein Freistoß aus vielleicht 28 Metern! Volland setzt das Ding über die Dreimann-Mauer, leider auch klar übers Gehäuse. Das Kommentatoren-Duo rätselt, ob das eine Flanke oder ein Torschuss sein sollte.
Aber Union drückt weiter, während auf den Rängen nur noch unsere wohl 1.900 Auswärtsfahrer zu hören sind. Der nächste „Höhepunkt“ des Spiels ist Tousart offenbar in glänzender Haltung exakt eingesprungene „Sicherheitsschwalbe“ (zitiert ausm Netz, m.E. Die Eisernen oder Ecke Nord). Auch seine „Ich hab doch gar nichts gemacht, die Welt ist ja so ungerecht“-Geste samt angewinkelter, von totaler Fassungslosigkeit erzählender Unterarme, als ihm der Schiri die sensationell erkämpfte Gelbe zeigt, kommt super rüber.
Und dann, unter dem endlos regnerischen Himmel von Braga, passiert es doch: Union plötzlich pfeilschnell über Links, Überzahl, Roussillon auf Gosens, drin ist der Ball! Union führt, obendrein kurz vor der Pause, unsere erste echte Torchance bringt den Erfolg, ich freue mich wie Bolle! Überhaupt hatte unsere Mannschaft diese letzten Minuten über – Tousart turnerische Flop-Einlage mal beiseitegelassen – ein gänzlich anderes Gesicht gezeigt. Nahezu „eklik“ waren sie gewesen, doch noch gibt’s keinen Pausentee!
Braga kommt nochmal, und wie! Freistoß nach Foul von Laïdouni – „Rønnow klärt!“, schreit die Kommentatorin auf, doch die Gefahr ist noch nicht gebannt. „Auf der Linie!“, lautet ihr nächster Ruf, Behre hatte hier in höchster Not gerettet. War da etwa die Hand von Leite, Khedira oder wem auch immer im Spiel gewesen, wie es die Braga-Spieler offenbar deutlichst „sahen“? Nix da, nur Ecke, doch auch die birgt noch einmal Gefahr, bevor es dann tatsächlich in die Pause geht.
Wie gern würde ich meine Zeilen an dieser Stelle enden lassen, doch meine gestern am Radio getätigten Aufzeichnungen füllen noch mehrere Seiten. Du weißt so gut wie ich, dass wenige Minuten später nach einem Knoche-Fehlpass der Gegner aus 14 Metern schnörkellos einnetzt und danach, was Unioner Stürmen und Drängen angeht, nichts mehr groß passierte. Gerade sah ich ein Matze Koch-Foto, auf dem Käpten Khedira einem desillusioniert dreinschauenden Robin Knoche die Hand reicht, ihm ganz offensichtlich Mut zuspricht.
Dieses für mich rundweg positive Signal sah ich gestern noch nicht, und so blieb mir nurmehr die schnurgerade runtertickende Uhr, das Ausbleiben jedweden Aufbäumens unserer Mannschaft. Warum gerade bei diesem klatschnassen Rasen nicht einfach mal ein Fernschuss? Warum dies nicht, warum jenes? Als ich nach Abpfiff anmerkte, dass wenigstens auf den Rängen gefightet wurde, ernte ich heftigen Widerspruch aus Braga. „Viele gar nicht erst mitgemacht, aus Frust (…) und hinter uns standen mindestens fünf Trainer“, schrieb mir Mandy.
Selbst Falko, der bislang jedes einzelne Unionspiel als weiteren „Ferientag“ feierte, zeigte sich mächtig bedient ob der Leistung auf Rängen wie Rasen. Immerhin das wohl Frustbier zu nennende Kaltgetränk hatte er sich vorsorglich ausm „Konsum um die Ecke“ besorgt. Passend zu diesem Abend: Zwei meiner U-1966-Kameraden hatten sich auf den Weg nach Braga begeben, doch nur einer war dort angekommen. Den anderen führte seine Reise zurück nach Berlin und daselbst auf direktem Weg ins Krankenhaus, gute Besserung, Maat Christian!
Hatten die fiesen Portugiesen in der Pause heimlich für den heruntergestellten zwei neue Spieler aufs Feld gelotst? Forderte unser Cheftrainer beim Pausentee, sich ab jetzt für München zu schonen? Beides Quatsch, aber mich ließ diese 2. Halbzeit völlig ratlos zurück. Maat Tilo, der es am Ende als einziger meiner Mannschaftskameraden ins Gebirgsstadion geschafft hatte, sandte mir eine gute Viertelstunde nach Abpfiff von dort das Schlusswort: „Heute haben wir im Block irgendwann auch das Singen vergessen (…) Der Block wird langsam echt unruhig. Freuen wir uns über den Punkt. Habe fertig.“
Wer: Christopher Busse (35)
Wann:16.11.2024