Frank Nussbücker: Leibhaftig ins Stadion! – Union Berlin mit Punkt gegen Bayer 04

Union Berlin mit Punktgewinn gegen Bayer Leverkusen

Bildquelle: Frank Nussbücker [], (Bild bearbeitet)

Nun ist es also so weit. Nach gefühlten Jahren Wohnzimmer-Abstinenz betrete ich wieder das Stadion An der Alten Försterei. Mein Stadion, oder? Aber wem gehört schon was auf dieser Welt. Wenngleich ich es längst nicht nur wegen der Stadion-Aktie in meinem Arbeitszimmer als meins ansehe, begehre ich es doch nicht als Privatbesitz für mich. Schließlich entfaltet sich mir sein wahrer Zauber nur, wenn ich es mit vielen, am liebsten mit allen Unionern teilen kann.

Aber das wäre ja schon schwierig, dürften Vereinsmitglieder alle 22.012 Plätze bevölkern. Und doch gab es erstaunlich lange Karten für dieses erste Punktspiel der Saison – gegen einen Gegner, mit dem wir seit dem vorletzten Aufeinandertreffen eine dicke Rechnung offen haben! Wollte oder konnte längst nicht jeder, der Kraft seiner Dauerkarte gedurft hätte, ins Stadion gehen? Ich freute mich, dass mein Los gewann – und doch war mir verdammt komisch zumute, als ich mich wie immer mehrere Stunden vor Anpfiff auf den Weg begab.

Es fühlt sich komisch an

Wen würde ich nachher treffen, neben wem im Block stehen? Die Erinnerung an das Mainz-Spiel vor 10 Monaten machte mir Mut. Überm Mittelkreis hatte ich genau die vorgefunden, die auch sonst hier standen – nur eben längst nicht alle von uns. Und kann ich das überhaupt noch: Im Stadion singen? Wie schlagen wir uns ohne die Ultras mit ihren Vorsängern? Bis zum Betreten der Hämmerlingstraße erschien es mir seltsam fremd, jetzt gleich das zu tun, was ich all die Jahre so liebte und es wie selbstverständlich immer wieder tat.

Den bisherigen Sommer über bestand mein Unioner-Sein im Tragen einschlägiger roter Shirts und den Premierenvorbereitungen meines Buchs über Wolfgang Matthies. In den letzten Wochen kamen endlos entnervende Stunden am Rechner hinzu, in denen ich versuchte, der Technik irgendwie doch noch ein Ticket abzutrotzen. Beim Spiel im Städtischen Stadion wollte ich gerade aufgeben, als es plötzlich doch klappte – wie dereinst Unions Siegtreffer zum Liga-Verbleib in Karl-Marx-Stadt oder Max Kruses Last-Second-Tor in der Bundesliga, mit dem er uns diesen komischen neuen EC-Wettbewerb „einbrockte“.

Unioner vergessen nicht

Nun aber ab ins Stadion! Bin ich tatsächlich zu einem echten Union-Spiel unterwegs? In der Bahn kenne ich zum Glück ein paar Leute, die auch Rot tragen. Der Barkas ist krank, am Ersatz-Wagen treffe ich die Fahrer Olafsohn und Chris, im Biergarten weitere Bekannte. Im Block habe ich tatsächlich punktgenau meinen Platz gebucht – und auch um mich herum stehen fast nur Leute, die ich kenne! „Tuste mir eenen Jefallen, und steckt den blöden Zettel weg“, ermahnt mich mein Nachbar Torsten Eisenbeiser, die Platz-Reservierung ad Acta zu legen. Wow, alles echt hier!

Auch der Grillgeruch, den ich seit Betreten des Geländes in der Nase habe, gehört so ganz hierher. Einzig das „Spezial“-Bier mahnt, dass noch nicht alles so ist, wie es sein muss. Jubel und Applaus, als unsere Spieler den Rasen betreten. Laute Pfiffe erschallen, sobald zwei bestimmte gegnerische Akteure, ich nenne sie die Petze und das Mauerblümchen, beim Warmmachen Richtung Gegengerade laufen. Bei der Mannschaftsvorstellung gönnen wir den beiden nicht mal das „na und?“. Joel Pohjanpalo, heute leider unser Gegner, bekommt heftigen Applaus und natürlich das ihm zustehende „Fußballgott“!

„Tor für den 1. FC Union Berlin!“

Drei neue aufm Platz, sechs weitere auf der Bank, und bei der Zelebrierung der Mannschaftsaufstellung hakt es noch ein wenig. Wie schnell ist die Hymne heute rum! „Auf geht’s Union, kämpfen und siegen!“, gefolgt von sekundenlanger Stille, die sich sehr komisch anfühlt. Auf dem Platz ein Fehler, Gegenangriff – aber Andi Luthe hat ihn! Das „1. FC Union Berlin – und alle!“ wird unterbrochen von Buhrufen und Pfiffen, sobald einer unserer beiden Nicht-Freunde am Ball ist.

Leverkusen bekommt eine Ecke für nichts, zumindest in unseren vereinsbebrillten Augen. „Eisern!“ „Union!“ versuchen wir uns am Wechselgesang, gerade da erkämpfen Unsere den Ball, greifen an – schade! „Eisern Union!“ Immer wieder stören Taiwo und Max den Gegner in dessen Hälfte – und schon wieder setzt sich der wuchtige Awoniyi gegen zwei Gegenspieler durch, bringt sich in Position – und wuchtet den Ball in die Maschen! Der erste waschechte Torjubel seit Ewigkeiten.

Kämpfen und singen!

Ohne Vorsänger wird’s unübersichtlich mit den Gesängen, aber auch lustig. „Spitzenreiter, Spitzenreiter, He, he!“, feiern ein paar Männerstimmen unseren derzeitigen Tabellenplatz. „Ist das die Abschlusstabelle?“, frage ich Lieblingsitaliener Helmut. Der nickt lachend: „Wir sind Meister, Leverkusen steigt ab.“ Aufm Platz wird’s ernster. Leverkusen setzt sich vor unserem Gehäuse fest. Ecke auf Ecke, ohne Erfolg. Dann aber tankt sich einer ihrer Stürmer durch unseren Strafraum, zieht ab – Ausgleich, Mist!

 

 

Die kleine Provokation des Schützen quittieren wir mit „Eisern Union“ und „Hier regiert der FCU!“ Finde ich inzwischen zigmal besser als die Pfiffe bei Ballkontakten der Spieler 4 und 11. Angriff Union, aber der Schiri pfeift bislang alle Zweikämpfe gegen uns ab. Nach einer Stunde erklingt, leider nur sehr kurz, unsere Bella Ciao-Version. Insgesamt sind lange Lieder schwer ohne Vorsänger samt Rhythmusgruppe. Wieder erkämpft Taiwo den Ball, leider ohne Erfolg.

Leverkusen drückt

Ecke Union? Denkste, Freistoß Leverkusen. Erstaunlich lange erschallt „Wir sind Unioner, wir sind die Kranken“, und schließlich sogar der „Wir lieben Union“-Wechselgesang, während auf dem Rasen die Leverkusener das Zepter führen. Zum Glück agieren sie nicht gerade gefährlich vor unserem Tor. Unsere Gesänge, das Spiel – alles wirkt auf mich etwas gebremst, und endlich mal wieder ein Angriff von Union!

Dem Morgengrauen entgegen“ wächst, wie so mancher Gesang heute, von den paar Leuten, die es anstimmen, schnell zu einem druckvollen Chor – und bricht ab, als ein Unioner verletzt am Boden liegt. Trinkpause aufm Platz, und mit der Fortsetzung des Spiels setzt unser Mantra ein. Laut erzählt es von der Liebe zu unserer Mannschaft, unserem Verein, bis in die Pause hinein. Ganz zum Schluss hatte der Gegner nochmal angegriffen, mittlerweile geht das 1:1 durchaus ok.

Unsere Liebe ist stärker als der Hass

Der langen Verabschiedung von in Block H gewechselten Unionern folgt ein stürmischer Neubeginn unserer Mannschaft. Käpten Trimmel lässt sich nicht festhalten – schade, dass daraus kein Tor wird. Genki und Taiwo wirbeln vorne, der Erfolgt bleibt auch ihnen vergönnt. Weitere Gesänge kommen zum Einsatz – zumeist nicht so lang und mitunter nicht ganz so kraftvoll, wie sie mir in Erinnerung sind. Und doch bin ich stolz auf uns. Unser Wohnzimmer klingt wieder wie ein Fußballstadion, und es liegt an uns allen, dass wir das weiter ausbauen!

Und wenn es jetzt eben vor allem die kurzen Gesänge und immer wieder das „Eisern Union!“ sind, dass den Laden beben lassen! Ins Stadion gehen, zusammen laut sein, so zumindest sehe ich es. Auch was die Pfiffe gegen 4 und 11 angehen, sei jeder frei. Ich für meinen Teil buhte anfangs aus tiefem Herzen mit, fand es aber mit laufender Spieldauer immer störender, wenn dadurch Anfeuerungsgesänge für unsere Mannschaft geschwächt wurden. Endlich erklang, von rhythmischem Klatschen unterstützt, wieder unser Mantra.

Humor ist … Eisern!“

Punkt geholt, lautet mein Fazit. Abstimmungsschwierigkeiten auf Platz wie Rängen, aber für mich begleitet von der Hoffnung: Wir packen das! Wir finden zusammen, bei aller Belastung durch einen Wettbewerb mehr und all den wie immer finanziell viel stärkeren Gegnern. Die teuersten Kicker werden auch weiterhin nicht für Union spielen, na und? Unsere Mannschaft präsentiert sich dennoch als echtes Erstliga-Team. Und auch wir auf den Rängen sollten weiterhin das Beste draus machen! Und wenn da keine Trommeln sind, haben wir noch immer unsere Hände.

Mein Eiserner Nachbar bot mir nach dem Spiel an, mich in seinem Auto mitzunehmen. Leider nur hatte er es – er weiß selbst, dass das bescheuert ist – im Spieltags-Halteverbot in Stadionnähe geparkt. Es war natürlich abgeschleppt, und er musste bei der Polizei nach dem Verbleib nachfragen. „Wenigstens gewonnen?“, fragte der Beamte aus der Zentrale, bevor er meinen Freund an das zuständige Revier weiterleitete. Die dortige Kollegin wollte es dann schon genauer wissen: „Und, wie haben wir gespielt?“ „Erfolgreich unentschieden!“, antwortete der Eiserne Parksünder, Eisern Union!


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