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Bildquelle: Berlinschneid [CC BY-SA 4.0], via Wikimedia Commons (Bild bearbeitet)
Ich weiß nicht, wie es Dir gerade ergeht. Mich zermürbt es zusehends, meine Ghostwriting-Aufträge zwischen etlichen holperigen Einsätzen als wahrscheinlich miserabler Heimschul-Lehrer zu schreiben. Mir raucht der Kopf, und ich verspüre immer öfter den Drang, selbigen mit wachsender Intensität sowie in immer punkiger werdendem Rhythmus gegen die nächste Wand zu hauen. Nun, immerhin habe ich Arbeit, die bis jetzt, zumindest jene als Ghostwriter und Kolumnist, sogar noch bezahlt wird.
Am Mittwoch traf ich mich wenigstens am Bildschirm mal wieder mit 3.802 anderen Unionern! Virtuelle Mitgliederversammlung nannte sich das, und das Einloggen klappte völlig problemlos. Auch das ein für mich äußerst erfreulicher Unterschied zur elendigen Praxis der Heim-Beschulung unserer Tochter. „Nicht lamentieren, sondern anpacken“, lautete das Credo unseres Ehrenrats-Vorsitzenden, und ich möchte ihm, gänzlich entgegen aller Abstandsregeln, um den Hals fallen. Jawoll, lieber Wolfgang Vallentin, genau das isses!
Stolz macht mich, dass unser Unionprogramm letzte Saison mal wieder zum besten Programmheft der 1. Liga gekürt wurde. Im Moment sind wir gar der einzige Club, der überhaupt ein „Spiel-Begleitheft“ produziert und herausgibt. Glücklich macht mich nicht nur, dass ich daran mitschreiben darf, sondern vor allem, dass mir dessen Seiten wenigstens ein kleines bisschen Union-Nähe in diese elendigen Monate bringt.
Als sich am Ende unser Käpten zu Wort meldet, hoffe ich schon, er verkündet: „Ich spiele übrigens auch nächste Saison für Union!“ Ich weiß, das war naiv – und wie die Realität aussieht, erfuhren wir bereits kurz drauf: Mit Christopher Lenz verlässt uns ein wichtiger Verteidiger Richtung Frankfurter Eintracht, Top-20-Club Europas. Was sich dereinst mit dem Weggang von Bobby Wood gen HSV ankündigte, gehört ab jetzt klar dazu: Die Großen interessieren sich für unsere Spieler! Irgendwie eine Ehre, müssen wir mit klarkommen, Eisern bleiben!
Nun also wieder eine Spitzenmannschaft Am Stadion An der Alten Försterei, auf dem Papier knapp 6x der Marktwert unseres Teams, und wir neben den Verletzten mit 2 gesperrten Hauptakteuren. Immerhin läuft der Max wieder seine Runden, und „Jolle“ Pohjanpalo könnte zumindest für einige Minuten schon jetzt für uns wirbeln. Drücken sie uns hinten rein? Ich sehe das Spiel bei einem Freund – zusammen mit dem Schneemannbau mit unserer Tochter DAS gesellschaftliche Highlight meiner Woche!
Keine 2 Minuten sind herum, da zeigt Andi Luthe seine erste Parade. Union stürmt vor, der Konter der Gäste ist weit gefährlicher. Der gegnerische Strafraum mal wieder gut vor uns geschützt, Ingvartsen schießt zumindest mal in Richtung Tor. Anderthalb Minuten später zwingen unsere die Gladbacher zum taktischen Foul – gefolgt vom Gelben Karton. Auch unsere Abwehr steht gut. Als der Gegner mal durch ist, klärt Marvin souverän. Dass auch dieser Gegner Ehrfurcht vor uns hat, spricht für die Arbeit unserer Profis.
Bier, Käsewürfel und das Treiben auf dem Fernseher nehme ich dankbar als kleinen Urlaub aus dem täglichen Hamsterrad. Elende Monate, und die Treppen der Gegengerade sehen so verwahrlost aus. Liegt das an der Optik der Fernsehkameras? Die rote Schrift auf weißer Zaunfahne ruft nach Reformen und erzählt von der Sinnlosigkeit gewisser Polizeidatenbanken, den Rest verstehe ich nicht. Auch wenn ich mich wiederhole: ich will endlich wieder selbst dort stehen, inmitten meiner Nachbarn!
Nach einer guten halben Stunde kriegen auch wir mal einen Freistoß. Mein Freund sagt, es sei wirklich ein Foul gewesen. Der Käpten ist gesperrt, Max noch nicht wieder dabei, Marcus Ingvartsen schießt das Ding weit in den Strafraum. Robin Knoche steigt hoch, köpft eine herrlich flatternde Bogenlampe, die vorbei an allen ins Eck sich senkt – und uns augenblicklich alles Schwere dieser Welt vergessen lässt. Da hilft auch kein Video-Kieken, Union führt und wir sind froh wie nie!
Die Gladbacher mieten sich vor unserem Tor ein. Ecke von rechts, Ecke von links – nichts bringt’s! Im Gegenzug schießt Schlotterbeck nahezu knapp übers Tor, Eisern Union! Weiter geht’s vor unserem Kasten, aber unsere Abwehr steht „kompakt“, wie es Urs zuvor einfordernd ankündigte. Die nächste Ecke ist gefährlich, aber Andi Luthe hat den 2. Ball. Kurz vor der Pause Konter Union – beantwortet von der zweiten gegnerischen „Gelb-Bremse“. Freistoß, Ecke, leider kein Tor, aber Halbzeit. Im Gästeblock verabschiedet ein Transparent einen verstorbenen Fohlen-Fan: Ruhe in Frieden, Thomas.
Wieder schrubbten unsere über 3 Kilometer mehr als der Gegner – nicht ohne Lohn. Weniger Ballbesitz, aber mehr gewonnene Zweikämpfe als der Gegner, der zweimal öfter auf unser Tor schoss. Allein schon, dass wir hier ein echtes Spiel sehen, erfüllt mich mit Freude. Und das angesichts unserer Ausfälle, vom knapp 6x höheren Marktwert des gegnerischen Kaders gar nicht erst anzufangen. Was wäre das für ein Fest im Wohnzimmer! Tröstender Käsewürfel. Der Eiserne Stadionvermesser bot für das Spiel ein Brot zum Whisky.
Weiter geht’s mit Gentners Hackentrick. Käpten Marvin klatscht ab, Stimmen klingen aus dem Wald. Dann ist Gladbach durch, der Ball streicht links am Tor vorbei. Union greift an – Mist, knapp daneben. Unsere wirken auf mich jetzt gefährlicher als der Gegner – und genau da fällt, für mich aus dem Nichts, der Ausgleich. Unions Antwort heißt Attacke! Ecke, Gerangel im Strafraum, Einwurf, zweiter Ball – schade.
Einige Minuten später prallt Andi Luthe mit einem Gegenspieler und einem Unioner zusammen – er geht zu Boden wie nach einem Schlag von Iron Mike Tyson. Auch als ihn der Mediziner mit einem Schwamm behandelt, muss ich ans Boxen denken. Er ist und bleibt benommen, will weitermachen! Ich bin beruhigt, dass die Vernunft siegt. Nicht umsonst muss jeder Boxer nach einem Knockout ins Krankenhaus. Urs Fischers Lippen sind ein schmaler Strich. Auch ich drücke Andi jetzt alle Daumen. Louis Karius zieht sich um, kommt ins Spiel.
Die Antwort unserer Mannschaft: Drei Bälle aufs Gladbach-Tor. Kurz darauf kommt Teucherts Pass auf Awoniyi einen Tick zu spät, schade. Dann ist es soweit: Joel Pohjanpalo kehrt auf den Rasen zurück! Dazu der angeschlagene Marius Bülter – offenbar will hier niemand ein Resultat halten. Und sie nehmen den gegnerischen Kasten unter Beschuss, Eisern Union! Schon beginnt die sechsminütige Nachspielzeit.
Nach 3.39 Ecke Gladbach. Mir schwant ungutes, doch abgewehrt, nächste Ecke. Ihr folgt die dritte. An der ist Karius dran, kann den Ball aber nicht festhalten. Ecke Nummer vier kommt herein, Gestocher im Strafraum, Gegenspieler heben die Arme – Hand! Fußballgott, das kannste nicht ernst meinen! Nein, da war nichts, abgesehen von Ecke Nummer 5. Dann endlich ist Schluss. Wir haben einen verdammten Punkt erkämpft – und dank eines Unioner-Freunds habe ich die nächsten Wochen ausreichend Masken. Danke Mario, danke Union! Danke für 2 Stunden Urlaub, uns allen einen schönen Sonntag, Eisern heißt dit!
Wer: Martin Krüger (45)
Wann:26.11.2024