Frank Nussbuecker: Union Berlin besiegt 1. FC Köln im singenden Hexenkessel

Union Berlin feiert Sieg über Köln

Bildquelle: Harleypaul on Tour [], (Bild bearbeitet)

Zum ersten Mal seit Anno Knips ein volles Wohnzimmer einschließlich organisierter Fanszene – ich war gespannt, wie sich das anfühlen würde. Robin Knoches Vertragsverlängerung ließ den Spieltag schon mal super anfangen. In der S-Bahn nach Köpenick erwischte ich einen Waggon mit Kölnern, die ihre Meinung „Wir hassen Ostdeutschland … wo ist die Banane?“ kundtaten. Anschließend präsentierten sie den Namen ihres Clubs und sangen was von „Gestöhne“, was sie dann irgendwie nicht zu Ende brachten.

Ich hoffte, ihre Mannschaft würde nachher eine ähnliche Güte und Qualität auf den Platz bringen. Nach einer kräftigen Erbsensuppe auf der Bank am Barkas-Ersatzfahrzeug trieb es mich eine reichliche Stunde vor Anpfiff in den Block. Eine proppenvolle Waldseite, der man geradezu anfühlte, dass aus ihr alsbald, von gleißendem Licht erhellt, all die Fahnen wehen würden. Auch über der Mittellinie herrschte bereits dichtes Gedränge. Wie früher schaute ich suchend nach oben, bis mir Danas und Jos Winken verriet, wohin ich musste.

Die Flagge Surinams

„Schön, endlich wieder hier zu sein!“ Der Lange, seit über zwei Jahren aus Gründen nicht mehr im Wohnzimmer, drückte mir zur Begrüßung einen gefüllten Bierbecher in die Hand. Auch der Taxifahrer war wieder da, stattdessen fehlte Mister „Männersport“ wegen seit Monaten akutem Heuschnupfen. Rolf traut sich noch immer nicht unter Menschenmassen, Steini Senior hatte noch mit Corona zu kämpfen. Widerstreitende Gesänge zwischen Waldseite und Gästeblock lange vor Anpfiff – ja, das hat gefehlt!

Links von uns stand heute ein Trupp Jungs, die eine uns allen unbekannte Fahne mit sich führten. Auf meine Nachfrage erfuhr ich: Es handelte sich um die Flagge Surinams, die sie zu Ehren Sheraldo Beckers präsentierten. Es waren Niederländer, die in Berlin leben – und die Becker verehrten, obwohl er für ihren Erzfeind Ajax stand. Mit anderen Worten: Neben uns standen Feyenoord-Fans, die nicht nur Unionschals trugen, sondern beim Spiel im Oly in unseren Blöcken gestanden hatten – und die Sheraldo aus der Ajax-Schule toll fanden, Fußball eben!

Steffen Baumgart-Fußballgott!

Mit einem kräftigen „Fußballgott!“ begrüßten wir Kölns Trainer Baume in unserem Wohnzimmer, und auch Seb Andersson bekam seinen Zweit-Familiennamen gesagt, die anderen hießen wie immer „Na und?“ Dann folgte auch schon Eisernet Lied. Christian setzte seine Moderationen ein paar Minuten früher an, auf dass wir uns die dafür nötige Zeit nehmen konnten: „Herzlich willkommen Unioner!“ Nach der Hymne hieß es „Dem Morgengrauen entgegen!“ Tausende kreiselnde Schals, dann Pyro hüben wie drüben, Gästeblock und Waldseite im Feuer, alles vom Flutlicht erhellt, für Momente vergaß ich alles andere …

Köln hatte Anstoß, Unsere spielten gegen die Wuhleseite – alles stimmte. „Dem Morgengrauen entgegen“ trieb noch immer die Schalpropeller an – und Sheraldo Becker passte gleich mal auf Taiwo, der sich das Spielgerät zu weit vorlegte. Schade, der Keeper hatte den Ball. Auch noch während des Lieds kassierte Paul Jaeckel in Minute 5 die Gelbe – wofür eigentlich? Köln bekommt einen Freistoß geschenkt, den sie zur Ecke ummünzen. Alles jedoch ohne Gefahr. Unser Torwart Frederick Rönnow steht und fängt sicher.

Mit voller Kapelle!

Die Gesänge kommen mit der altbekannten Wucht und Länge – es ist schön, wieder SO hier zu sein. Aufm Rasen wirkt Union wacher und gefährlicher, Sherry und Taiwo wirbeln des Gegners Abwehr durcheinander. Nach donnerndem „Eisern – Union“ zwischen Waldseite und Gegengerade und mitten im Westernsong kassierte auch der erste Kölner den Gelben Karton. Freistoß Union von links aus spitzem Winkel. Sie wehren ihn ab, doch Unsere behaupten den Ball. Wir drücken sie in den Strafraum, doch bislang ohne Torerfolg.

 

 

Nach gut 20 Minuten darf sich auch Rönnow mehrfach beweisen, dann bestimmt wieder unsere Offensive das Spiel. Nach einem weiteren Köln-Freistoß und mitten im Gesang über die Schönheit Köpenicks semmeln Unsere den Ball knapp am gegnerischen Kasten vorbei. Der Rest der Halbzeit gehört aufm Rasen den Kölnern, während wir auf den Rängen unsere akustische Überlegenheit ausleben. Singen die im Gästeblock überhaupt? Egal, wir genießen es, wieder mit voller Kapelle hier zu sein.

Der gefährlichste Kölner

In der Halbzeitpause werden Helmut und ich auf Bier-Besorgungstour geschickt. Im Getränkecontainer arbeiten echte Profis, ruck-zuck sind wir wieder im Block. So entgeht uns auch nicht der missglückte Kölner Rückpass, den Taiwo Awoniyi eiskalt nutzt, den Ball ins Netz zu befördern – genau das war das Einzige, was noch fehlte an diesem Abend unter der Flutlicht-Sonne unseres Wohnzimmers. Lag es an der niedrigen Außentemperatur, oder doch eher am Wiedersehensfreude-Durst – zumindest bei uns an der Mittellinie fiel die Bierdusche aus. Wir lagen einander in den Armen und klatschten einander ab, bis jeder bedacht war.

Während wir grölend weiterfeierten, ließ unsere Mannschaft da unten kaum etwas zu. Der gefährlichste Kölner blieb Muskelmann Baume auf der rechten Außenbahn. Ich bin fast sicher: Wenn unserem Tor einer gefährlich werden könnte, wenn er denn dürfte, dann Baume! Schon war die 80. Minute überschritten, da durfte sich auch unser Keeper wieder auszeichnen. „So ein Rönnow aber auch!“, feierte Nachbar André.

„Mit uns an deiner Seite wirst du niemals untergehn!“

Die Kölner werden gefährlich nach einem Eisernen Abwehrfehler in Minute 82, aber gemeinsam wetzt unsere Mannschaft das Ding wieder aus. Wieder und wieder fängt unser Torwart sicher den Ball, und schon bricht die vierminütige Nachspielzeit an. Zu eben dieser Gelegenheit winkte mir schon unzählige Male der Herzkasper – nicht heute! Ist es das Bier, sind‘s die Gesänge? Egal, wir feiern Union, und schon ertönt der dreifache Pfiff, gefolgt von unserem Jubel.

Die Ehrenrunde der Mannschaft ist ein einziger Trip. Gemeinsam feiern wir die geknackte 40-Punkte Marke, der eine Punkt drüber und alles weitere ist Bonus. „Dö-dö-dö-dö-döp-döp…“, wie lange sangen wir das nicht mehr in dieser Intensität? Noch länger fehlte unser Aufstiegslied, welches wir jetzt als Sahnehäubchen auf diesen Abend anstimmen: „FC Union, Du wirst siegen, glaub an Dich und es wird wahr / Die 1. Bundesliga ist nun endlich für uns da …“ Wir alle standen in diesen Moment „endlich oben“, ganz oben, wie nur Fußballverrückte das können. Uns allen ein schönes Wochenende, Eisern heißt dit!


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