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Bildquelle: Harleypaul on Tour [], (Bild bearbeitet)
Nie kam der Vorab-Schlagabtausch vorm großen Berliner Stadt-Derby derart moralinsauer daher wie heute. Aus den Reihen der blau-weißen Anhängerschaft hagelte es Vorwürfe, dass unser ach so unverantwortlicher Verein gerade in diesen Zeiten eine Voll-Auslastung des Stadions beantragte. Zweiter Adressat des Aufschreis war die fiese Berliner Landesregierung, die ja zweifelsohne in Union-Bettwäsche nächtige. Die alte Leier des ewig von Politik, Medien und Gemeindekirchenrat betrogenen „Underdogs“ aus Charlottenburg.
Aber auch aus unseren Reihen hagelte es Kritik an der vollen Hütte. Andere wiederum stoßen sich an den zwei Gs und kommen aus Protest nicht ins Stadion – kurz und gut: Allen, die das wollen, fehlte im Vorfeld dieses Fußballspiels keineswegs der Stoff zum Meckern. Auf der anderen Seite erinnere ich mich trotz unseres 1:0 Siegs kurz vor Abpfiff nur höchst ungern an das letzte Derby vor prall gefüllten Rängen. Der Raketenbeschuss aus dem Gästeblock, besonders bedrohlich für die Unioner in Sektor 4, gehört zu den „Highlights“, die ich so gar nicht brauche.
Ein weiteres „Hochlicht“ unserer neuen Berliner Fußball-Feindschaft war der vielfache blau-weiße Aufschrei, als wir das von ihnen seit Jahren als Heimspielstätte angemietete Berliner Olympiastadion in den Farben unseres Vereins und unserer Stadt erstrahlen ließen. Dass wir die Ostkurve nicht betraten, verstehe sich ja von selbst, aber wie können wir es nur wagen, … Vielleicht ja deshalb die prompte Antwort der von Hertha beauftragten Agentur, auch und gerade vor unserem Wohnzimmer eine Werbefläche blau-weiß zu bestücken.
Bezeichnend, dass diese Kampagne, genau wie einige Zeit vorher jene mit den zig Fähnchen im Berliner Stadtbild, optisch wie eine Fan-Aktion daherkommt. Dabei professionell realisiert von einer Agentur. Nicht auszumalen, sollten die Herren zu Charlottenburg dabei mal an einen „Flyer-Service Hahn“ geraten wie jüngst eine aufstrebende nationale Partei – oder der Präsi eines großen rumänischen Fußballclubs. Der wollte sich bei Choreos nicht mehr auf die Ideen der Fans verlassen und beauftragte also eine als Agentur verkleidete Ultragruppe des Stadtrivalen. Dessen Choreo dürfte ihm bis heute in den Augen brennen.
So, Schluss jetzt, Zetern und Geheule ist kein Alleinstellungsmerkmals unseres Stadtrivalen, und auch die haben großartige Fan-Initiativen wie zum Beispiel jene für ein blau-weißes Stadion oder die wunderbare Aktion Herthakneipe. Und auch ich habe jetzt mehr als genug gezetert – mitten rein ins Spiel also: Seit 13.30 Uhr, als unsere Eisernen Bootsfahrer an der Fennbrücke Eddylines Viktoria bestiegen, war ich im Geiste mit dabei. Leider nicht körperlich, denn pünktlich zum Derby bretterte mich eine fiese Verschnupfung nieder.
Genau wie am 11.2.2013 bei unserem 2:2 im Oly, musste ich schweren Herzens passen. Damals beim allzeit unvergessenen 2:1 Auswärtssieg am 5. Februar 2011 hatte ich erst kurz auf knapp eine eklige Bronchitis besiegt und auf dem Hinweg Infekt-Blocker gelutscht, statt das eine oder andere Pils zu leeren. Habe ich etwa eine Derby-Allergie? Bei den kack Geisterspielen gings mir bestens. Schweren Herzens sitzliege ich also vorm Fernseher und höre Euch, wie ihr unsere Hymne singt.
Das heißt, zunächst höre ich auch die Herthaner. Doch mit Beginn der Strophe sind nur noch die Eisernen zu vernehmen, so muss dat! Als der Ball rollt, ergreifen die Gäste die Initiative. Von den Rängen schallt es: „1. FC Union!“ und kurz drauf: „Wir sind Unioner, wir sind die Kranken!“ Sind ja keine Kapos im Einsatz, daher kurze Gesänge, aber die ordentlich knackig, das macht ihr wunderbar! Der Käpten sieht entschlossen aus, und Taiwo ist durch – schade, abgefangen. Union greift weiter an, wir verlieren den Ball, der Konter endet in Luthes Armen.
6. Minute, Grischa schießt aufs Tor – und Union bleibt am Drücker. Aufbau der Gäste, gestört, Attacke! Dank des Abwehrpatzers von Pal Dardais Sohn kommt Taiwo ans Spielgerät. Arschcool bringt er sich in gute Position, zieht ab – und die Maschen tanzen, Tor für den 1. FC Union Berlin! Nach dem Jubel denke ich an die mahnenden Worte von Blocknachbar Jo: „Ne frühe niedrige Führung für Union iss jefährlich! Da müssen wa nachlegen!“
Hertha greift an, der Ball landet bei Luthe. Angriff Union, leider Abseits. Mist, Hertha gewinnt den Ball im Mittelfeld, stürmt vor, einer legt sich in unseren Strafraum, kann den Schiri damit aber nicht beeindrucken. „Eisern!“ „Union!“, dröhnt es von den Rängen, sehr gut, Unioner! „Und wir lieben unsern Club, und wir sind stolz auf ihn“, bringen sie den nächsten Gesang. Als ein Herthaner foult, vernehme ich das unweigerliche „Auf die Fresse!“ So geht Support in Zeiten wie diesen!
„Wir sind blau-weiß“, vernehme ich den Gästeblock. Der Rest geht ein bisschen unter, singen die dann echt: „Wir sind der letzte … Schrei“? „1. FC Union Berlin“, übernehmen die Unioner das Zepter. Aufm Platz Freistoß Hertha – schön auf unseren Tormann gezogen. Und schon wieder fällt ein Blauer, wieder Freistoß – und bereits zum 2. Mal der fiese Trick: Zwei Spieler stehen am Ball, der eine hebt den Arm, der andere schießt – ab dann wird’s ungefährlich.
Gestocher im Mittelfeld zu unserer Bella-Ciao-Version von den Rängen. Union erobert den Ball, Awoniyi passt auf Max Kruse – verdammt schade, dass der ihn nur um ein Haar reinmacht. „Oh Köpenick, du bist wunderschön!“ Der nächste Angriff bringt uns eine Ecke, kurz drauf eine Flanke vors Tor: Zwei Unioner verpassen den Ball, der sich – wieder um ein paar Haare – fast noch reingedreht hätte. Nach kurzem Zwischenspiel der Hertha in unserem Strafraum die nächste Eiserne Attacke.
Die zweite Ecke für uns versandet zunächst, dann kommt der Ball zum Käpten. Der zieht weit vorm Tor ab – und dieses Mal passt alles so wunderbar: Vorbei an allen Spielern samt Hertha-Torwart dreht sich die Kugel geradezu formvollendet in die Maschen, 2:0 für uns, einfach nur irre schön! Kurz nach Wiederanpfiff Ecke Hertha, sie endet im Abseits. Jetzt wird um jeden Ball gekämpft, Lieder erklingen, dann bricht Hertha plötzlich über rechts durch!
Der Ball streift knapp am Kasten vorbei, ein verdammter Warnschuss in dieser 37. Minute! Kurz drauf kassieren sie eine Gelbe, erklingt unser Mantra – reichlich früh, aber es ist nun mal Derby! Auf den Rängen zelebrieren sie den Gesang, der zwischendrin scheinbar im Klatschen versandet, bevor er mächtig wieder hervorbricht, verdammt gute Arbeit, Unioner! Und Hertha wird bissiger, immer wieder greifen sie an, und noch immer ist nicht Pause!
Nur kurz können sich unsere vorm gegnerischen Tor festbeißen, dann stürmen wieder die Charlottenburger. Luthe kommt raus, wehrt zunächst ab, doch schon sind sie wieder da. Kurzer Schubser gegen unseren Tormann, Gestocher, Schuss – nein verdammt, das darf es doch nicht geben – der Chip im Ball vermeldet: Das Ding war hinter der Linie. Der Gästeblock jubelt. Hat uns der Gegner mal wieder eiskalt erwischt!? Nachspiel VAR aufgrund einer Abseitsstellung – und ja, das Tor wird nicht gegeben!
Nein, ich liebe diese elenden Technik-Nachspiele eben so wenig wie den Chip im Ball. Und ich weiß gut genug, wie beschissen sich ein dank Schnickschnack nicht gegebenes Tor, posthum ermittelte Strafstöße & Co anfühlen, doch jetzt jubele ich los – es ist Pause, und wir führen 2:0. Das reicht noch lange nicht für eine geruhsame 2. Hälfte, ist aber zumindest nicht mehr ganz so niedrig, stimmts Jo? Und dann beginnt sie doch, diese verdammte 2. Halbzeit – und was machen die Unioner auf Platz und Rängen?
Sie erledigen ihren Job. Mit Herz, Einsatz und verdammt gut. Ich sterbe zig Halbtode, wenn die Blauen in unserer Hälfte auftauchen. Doch immer wieder müssen sie hintenrum spielen, kommen sie nicht durch – und immer wieder setzt unsere Mannschaft gefährliche Nadelstiche. Schon kurz nach der 70. erklingt das „Dödödödö Döp Döp …“, und sie haben Recht! Der Gegner knackt uns heute nicht, der 1. FC Union Berlin gewinnt als bessere, gefährlichere Mannschaft dieses Fußballspiel. 20 Punkte und eine wieder offene Stadtmeisterschafts-Gesamttabelle, Eisern heißt dit!
Wer: Laurenz Dehl (23)
Wann:12.12.2024