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Bildquelle: Harleypaul on Tour [], (Bild bearbeitet)
„Mist 2:2 – Union schafft bestimmt 3:2!“, schrieb mir meine Tochter gestern um 20.04 Uhr. Kurz drauf fühlte ich mich, als hätte mir jemand einen satten Körpertreffer verpasst. Die einen lästern nun über uns, andere wissen, warum es grad nicht läuft. Den Lästerern mein herzliches: „Karma is a bitch!“ Denen, die monieren, Urs und sein Team würden die teuren Neuen spielen und Eiserne Helden auf der Bank sitzen lassen, sage ich: Mit Rani Khedira, Robin Knoche und András Schäfer sitzen 3 Eiserne Helden nicht mal dort!
Ich schieb es weder auf unsere Verletzten noch auf den Willen unserer Mannschaft samt Stab oder die vom Präsidium vorgenommene Wahl des Stadions – nee, ich WILL einfach immer nur zu Union! Eben das tat ich auch an jenem Mittwoch, dem 3. Oktober 2023. Wie immer, wenn ich kann, schipperte ich auf Berliner Gewässern zum Ort des Geschehens, natürlich mit der EDDYLINE von Reederin Simone Mann, und wie immer kieke uns Käpten Eddy von oben aus Block H dabei zu.
Überhaupt nicht wie immer: Die Fahrt ging nicht gen Südosten nach Köpenick, sondern straff nach Westen, ins Berliner Olympiastadion. Dort würde ich gemeinsam mit so vielen Unionern wie niemals zuvor unsere Mannschaft anfeuern. In der Champions League? Von mir aus auch das! An Bord vertrat ich meinen leider verhinderten Zwilling Sam als Praktikanten. Im Oly sah ich zwei riesige Herausforderungen auf uns zukommen: Würden wir dieses weitläufige Bauwerk derart beschallen, dass sich unsere Mannschaft in eine nahezu waschechte Heimspielstätte versetzt sah?
Würde dadurch dieser entscheidende Funke überspringen, dass der Ball am Ende gar nicht anders kann, als im Netz des gegnerischen Tors zu zappeln? Bezeichnenderweise waren Regen und Unwetter angesagt, wie immer, wenn wir an diesem Ort gastieren. Will uns Fußballgott damit was sagen? Ja sicher, und ich höre ihn brüllen: „Auf gehts Union, kämpfen und siegen!“ Kurzum, ich war aufgeregt wie sonst was, als ich mich gegen Mittag auf den Weg zum Anleger begab.
Nach langer, sangesfreudiger Fahrt umgeben von unschönen Bauten, legten die Viktoria und die Helgard schließlich in Spandau an. Kurzer Sangeswettstreit mit ein paar offenbar Hertha-Kids, dann enterten wir die S-Bahn Richtung Oly. Trotz all der Massen gelangte ich nahezu rasch aus Stadiongelände – und da stand der Barkas, ein Stück mir sehr teure Heimat! Abklatschen mit Schmü, Loyd, Mone & Harry, bisschen Stadion-Heft-Werbung gebrüllt, dann triebs mich hoch in die Schüssel.
Das weite Oval war noch kaum gefüllt, immerhin die Musik gewohnt geil – ein Hoch auf unseren Plattenunterhalter! Eine Stunde vor Anpfiff „Alte Försterei!“ – begleitet vom heftig einsetzenden Oly- Regen. Noch immer kenne ich hier niemanden – da sehe ich rechts vor mir Harley-Paul! „Komm ran!“, brüllt er, meine Beine steigen wie von selbst über die Sitzschalenreihe vor mir. Harley ist mit seinen Bernauern hier, „Eisern Union, Kollegen!“ Unsere Tormänner laufen ein – „Union, Union!“, wie daheim in Köpenick! Nach dem Applaus für unsere Mannschaft: „Auf geht’s Union, kämpfen und siegen!“
Als uns Christian im Oly willkommen heißt, ertönen zuerst Pfiffe, dann erklingt der Name unseres Stadions, bei letzterem mache ich mit. Frank Pagelsdorf, Karsten „Kuller“ Heine, Uwe Neuhaus und einige Berufs-Eiserne von einst befinden sich unter den von Christian anmoderierten etwa 73.000 Unionern. Unsere Hymne zu singen, tut mir verdammt gut! Als jene der Schampusliga erklingt und deren Banner überm Mittelkreis flattert, hebt ein Pfeifkonzert an.
Spielen Unsere etwa in den schwarzen CL-Klamotten? Ach nee, das sind die aus Braga, unsere natürlich in Rot und Weiß – ich bin offenbar noch um einiges aufgeregter als ohnehin vor jedem Spiel der 1. Herren meines Vereins! Gedenkminute für Ehrenpräsi Günter Mielis, für Momente wird es fast mucksmäuschenstill. Dann rufen eins, zwei Knallköppe irgendwas – geht’s euch jetzt besser?! „He FC Union!“, begleitet die ersten Aktionen des Spiels.
Braga fast vor unserem Tor, dann Unsere – schade, der Pass war zu steil. Den nächsten Angriff hat der gegnerische Keeper, unsere übernächste Attacke lässt das richtige Tornetz zappeln! Jubeln, Abklatschen, aber war das möglicherweise Abseits? Schon erscheinen die Buchstaben „VAR“ auf den Anzeigetafeln – ja, verdammt, war wohl so, „He FC Union, olé-olé FC Union! Die von Braga rutschen immer mal aus – ein gutes Geläuf für Fernschüsse?
Unsere greifen weiter an, aber immer wieder schafft Braga es, uns ins Abseits zu stellen. „Verdammt diszipliniert!“, zollt der hinter mir unserem Gegner Respekt. Einmal Gelb für jede Mannschaft, der Braganer wegen Meckerns. Schon führen wir 3:0 in Punkto Abseits, dann Ballgewinn über rechts, „Eisern!“ „Union!“ Unter uns die Trommeln der Ultras, 5 Vorsänger bemühen sich, die Gegengerade zu dirigieren. Oh, auch Braga mal im Abseits!
Greifen sie mal an, müssen sie viel hintenrum, unsere Mannschaft diktiert das Spielgeschehen. Jetzt aber – Mist, der Schuss kam einen Tick zu spät. „Arme hoch!“, tönt es von unten, dann alle: „Wir sind Unioner, wir sind die Kranken!“ Käpten Becker startet über rechts – Abseits. Aber schon wieder wirbelt er vorn, diesmal zentral – und JAAAAAA, verdammt, 1:0 für uns, „GOAL“ vermeldet nun auch die Anzeigetafel, wir liegen uns in den Armen.
Beide Hände hoch und flattern lassen, denn jetzt kommt unser Bundesliga-Song. Bevor wir ihn zum zweiten Mal bringen können, greift Braga gefährlich an, gefolgt vom Konter unserer Mannschaft, erst dann singen wir zum zweiten Mal: „FC Union, Du wirst siegen, glaub an Dich, und es wird wahr…!“ Nach dem dritten Durchgang Union über links – wieder gefährlich! Dann Braga im Vorwärtsgang, der Abschluss aus der 2. Reihe weit drüber!
Schon wieder Sheraldo – und JAAAAA, er machts gleich nochmal, wir führen 2:0! Nach der aktueller-Spielstand-Zeremonie gedenken wir mit „Damals mit Damir Kreilach noch zweite Liga…!“ unserer jüngeren Vergangenheit. Wie irre befreiend ist das gerade alles! Aber schon kommt Braga, sie holen eine Ecke, kurz drauf Ecke Nummer 2. Der Schuss kommt aufs Tor, Freddy kriegt ihn nur vor die Füße eines Gegners gefaustet. Der ist völlig frei und netzt eiskalt ein, nur noch 2:1.
Kurz nach dem „Auf geht’s Union, kämpfen und siegen!“, kommt Harley-Pauls Fazit: „Da muss unser Beckermeister heute wohl nen Hattrick bringen!“ Ja verdammt, das wäre verdammt wichtig. Aber nun attackiert Braga, und wir kriegen die Pille ewig nicht aus unserer Hälfte raus. Unendliche Minuten und Sekunden später ist endlich Halbzeit. Kurz mal hinsetzen, durchschnaufen, das wird noch ein heißer Tanz!
Eben diese 2. Halbzeit zu beschreiben, fehlt mir auch noch am Tag danach der dafür nötige Abstand. Harley Pauls „Wir öffnen denen Räume!“, klingt mir noch heute im Ohr. Immerhin, ohne seinen trockenen norddeutschen Humor hätte mich das alles noch weit heftiger umgehauen. Als mein Nachbar zur Rechten nach einem über des Gegners Tor gehenden Ball anmerkte: „Den hätte meine Oma reingemacht!“, lautete Pauls Antwort: „Deine Oma? Die war ne Gute, ne!“
Du weißt so gute wie ich, irgendwann fiel das 2:2. Bei diesem stand der Schiri Sheraldo im Weg, wie mich Loyd nach dem Spiel wissen ließ und ich es nun auch im Spielbericht sehen kann, sei‘s drum. Unsere Mannschaft warf sich nochmal heftig rein, drängte auf das verdammt verdiente Siegtor – und einmal mehr war es der Gegner, der uns am Ende der Nachspielzeit per Fernschuss das verdammte Ei ins Nest k….., den KO-Schlag versetzte. Da war er also, dieser fies gesetzte Körpertreffer, der mir brutal die Luft nahm.
Sobald ich wieder atmen konnte, fiel ich in unser Mantra ein. Wir sangen weiter und weiter, die Mannschaft kam zu uns, und wir hielten diese bitteren Momente GEMEINSAM aus! Um uns herum war niemand weggegangen, auch jetzt nicht, der Herr mit rheinischem Akzent hinter mir ließ wie wir alle seine Stimme erklingen. Harley-Paul nahm sofort alle Schuld auf sich: „Allet nur, weil ick fauler Hund nich Bier-holen war!“ Sehr, sehr dankbar war ich auch Stadionsprecher Christian für seine Botschaft, ihr Wortlaut: ‚Vielleicht will man uns prüfen …, aber wir stehen wieder auf!‘ Recht hatter!
Heute früh las ich im Netz viel von falscher Stadionwahl, dem Ausverkauf unserer Werte, genüsslich sekundiert vom Spott vereinsfremder Besserwisser. Jeder, wie er kann – ich jedenfalls werde auch bei den beiden noch ausstehenden Union-Spielen im Oly volle Pulle unsere Mannschaft unterstützen und wie immer erst nach Verabschiedung unserer Mannschaft das Stadion verlassen. Dort traf ich, genau wie auf der Anreise aufm Wasser und der Heimfahrt in proppenvoller U-Bahn traf ich jede Menge Unioner, die mir verdammt am Herzen liegen. Die Momente mit ihnen nimmt mir niemand, Eisern heißt dit!
Wer: Laurenz Dehl (23)
Wann:12.12.2024