Frank Nussbücker: Das habt ihr gewonnen, Jungs! – Union holt Punkt gegen Bayern München

Union Berlin sichert Punkt gegen Bayern München

Bildquelle: Harleypaul on Tour [], (Bild bearbeitet)

Gegen wen spielt Bayern heute?“, flapste ich Steini Senior im Block an. „Gegen den Sieger!“, erwiderte er mit seinem Jack-Nickolson-Lächeln – und setzte gleich noch einen drauf: „Wer für Bayern ist, hat bloß Angst vorm Verlieren!“ Unsere Stimmung war gut, wir freuten uns aufs Spiel, und doch war ich wohl nicht der Einzige, der wie Lieblings-Italiener Helmut alles andere als eine Klatsche feiern würde, erst recht einen Punkt.

Plattenunterhalter Wumme pflasterte uns den Weg bis zum Anpfiff mit einem Strauß Eiserner Melodien: „Rot und Weiß sind die Farben von Berlin“, „Wir hatten Höhen und viele Tiefen“, Achim Mentzel, Eisernet Lied, Mannschaftsaufstellung, Hymne – und dann? Die letzten Sekunden vor dem Anstoß verbrachten wir mit vorgestreckten wippenden Armen und „Einjaulen“, um pünktlich zu Spielbeginn mit voller Wucht unseren Bundesliga-Song zu zelebrieren.

„Und ihr macht unsern Sport kaputt!“

Pfiffe, sobald der „Lügenbaron“ genannte Spieler das Spielgerät berührte. Der Grund dafür liegt Jahre zurück, aber Unioner vergessen nicht, egal, welches Trikot der Herr trägt. Freistoß nach „rüdem Foul“ für uns, bald drauf ein ähnlicher für die Bayern. Einer der Unseren erkämpft den Ball, „Hier regiert der FCU!“, gefolgt von „Berlin, Berlin, Eisern Berlin!“ Hier ist ordentlich Schmackes dabei, und Union holt den ersten Eckball, „Hinein, hinein, hinein!“

Er endet in einem Fast-Konter des Gegners, doch Unsere holen sich die Murmel zurück, greifen an, nächste Ecke! Sie kommt straff in den Strafraum – und schon zappelt das Bayern-Netz! Biere fliegen, Hände klatschen ineinander, „9. Spielminute – Tor für den 1. FC Union Berlin!“ Nach dem Zelebrieren des vermeintlich neuen Spielstands setzen wir zu Bella Ciao an, als der VAR das Ruder an sich reißt. Eine von außen gefällte wie heftig umstrittene Abseits-Entscheidung lässt Götz die 0 ins Union-Fach des Anzeigehäuschens zurückschieben.

Hier ist heute alles drin!

Ihr macht unsern Sport kaputt!“ Kein Tor für Union, und was sagt Steini Senior? „Na und, schießen wir halt noch eens!“ Prompt greifen Unsere weiter an, angefeuert von „Auf geht’s Union, kämpfen und siegen“, einem Eisern-Union in unserem Block, „1. FC Union Berlin – und alle!“, „FC Union – ist unsre Religion“ … hier ist heute alles drin, denke selbst ich Berufs-Pessimist. Harry Kane fällt hin, einer seiner Mitspieler sieht nach Foul an Ansah den Gelben Karton.

In Minute 17 ist plötzlich Bayern durch, einer von ihnen fällt in unserem Strafraum – VAR-Elfmeter? Nee, ist wohl nichts dergleichen geplant, Aufatmen. Bald darauf Freistoß-Geschenk für den Abo-Meister, na und? „Wir singen Rot, wir singen Weiß, wir singen Rot-Weiß FCU!“ Ansah fängt einen gegnerischen Angriff ab, geht vor, verliert den Ball leider wieder. Freistoß-Geschenk für Kane, diesmal erntet er Pfiffe.

Und diesmal zählt das Tor sogar!

Immer wieder „Kämpfen und Siegen“, diese drei Worte bringen es für mich auf den Punkt. Darum bin ich hier, wieder und wieder, ich will Union kämpfen sehen und mein Scherflein zum Sound dieses Kampfes dazutun. 25. Spielminute: „Dem Morgengrauen entgegen, ziehn wir gegen den Wind!“ Ball erkämpft, nach vorn, Ecke Union! Und ja verdammt, diesmal IST er drin! Nix VAR, Bodennebel, Hubschraubereinsatz – wir führen tatsächlich, Danilho Doekhi und Kollegen sei Dank!

Angriff Bayern, abgepfiffen – aber nicht für Kane, der spielt prompt weiter und macht ihn nicht mal rein, sondern scheitert an Freddy! Hätte nicht nahezu jeder andere den Gelben Karton gesehen? Abschluss Union, gefolgt von unserem Schlachtruf, dann weiter im „Morgengrauen“-Text. Bayern mit Ball in unserem Sechzehner, Hand, Abstoß, war das nicht schon wieder dieser Kane? Hut ab vor seinem Können, aber das wäre für manch anderen die zweite Gelbe gewesen.

Ausgleich und fast mehr

36. Minute: „War’n Foul, aber Gelb hätte er dafür nich kriegen müssen!“, lautet Andrés Urteil. Aber es ging hier ja nicht um Kane, sondern um Janik Haberer. Freistoß Bayern von links aus spitzem Winkel, abgewehrt zur Ecke. Bayern erneut, jetzt aus spitzestem Winkel, und doch ist er drin, es steht 1:1, „Kämpfen und Siegen!“ Im Gästeblock singen sie irgendwas mit „Hühnchen“. Ein Unioner am Boden, Kapitän Neuer spielt den Ball umgehend ins Aus. Hoffentlich geht’s weiter für unseren Mann …

 

 

Ja, es geht: „Wir sind Unioner, wir sind die Kranken, wir durchbrechen alle Schranken!“ Die Bayern zeigen sich nunmehr als nahezu ebenbürtig. Besonders ihre Nummer 17, der auf unserer Seite stürmt, ist verdammt schnell wie ballsicher. Angriffe auf beiden Seiten, dann aber tanken sich die „Hühnchen“ blitzschnell vor unser Gehäuse! „Den musste erst mal daneben machen!“, lautet das Urteil eines Blocknachbarn. Wars André, Helmut oder der Lange? Egal, das wäre fast die verdammte Führung für den Gegner gewesen.

„Und ist der Sieg auch noch so fern – so fern!“

5 Minuten gibt’s obendrauf. Guter Fehlpass Bayern – schade, wir können nichts draus machen. Ecke Bayern, der Ball zappelt im Netz, aber dieses Abseits brauchte offenbar keinen VAR. Halbzeitpfiff und großer Applaus für dieses Spiel unserer Mannschaft. „Keiner wird es wagen …“ – weiter gings mit unserem Western-Song und einer weiteren Union-Ecke. „Denen immer schön dit Spiel versauen!“, coacht neben mir der Lange – und schon nehmen Unsere denen das Spielgerät ab.

Union ackert, Union spielt nach vorn, erarbeitet sich unermüdlich Chancen, bis zur 59. Spielminute begleitet vom genannten Stadiongesang. Die „Hühnchen“ wechseln, der Lügenbaron bereitet vor, aber Freddy ist auf dem Posten! Nun erhöht der Gegner deutlich den Druck. Freistöße, Ballstafetten, sie sind jetzt klar auf Angriff eingestellt. „Lasst euch nicht hinten reindrücken!“, mahnt Lieblings-Italiener Helmut. „Wo du auch spielst, ja wir folgen dir!“ Und ja, ein Sieg ist gerade weit, weit entfernt, genau wie der Schlusspfiff.

Bierregen über Köpenick

Baumi wechselt dreifach, nimmt mit Burke und Ansah beide Stürmer raus, geht das gut? Helmut und ich sind skeptisch, doch der Lange stellt klar: „Jetzt brauchen wir Leute, die denen aufn Sack gehen, besonders im Mittelfeld!“ ASK-Song, Unioner attackieren wieder, Gelb für einen Bayern nach Foul an Derrick Köhn. Freistoß Union, endlich mal wieder eine Angelegenheit für Meister Juranovic.

 

 

Der Ball kommt gut in den Sechzehner, Kane klärt das Ding zu Danilho – und der fackelt nicht lange, sondern lässt des Gegners Tormaschen tanzen! Bierregen über Köpenick, was für eine Belohnung für diesen irren Fight in Spielminute 83! Bayern greift an, Unsere erkämpfen den Abstoß. Erneut die Gäste: Abseits oder Stürmerfoul? Dann wir über rechts – schade! Kurz drauf doch ein Abschluss, leider nicht wirklich gefährlich, aber besser als jeder gegnerische Angriff.

Wie ein Sieg, in jedem Fall unvergessen

Gelb für Doekhi, satt Karton Nummer 4 für den Wunderstürmer des Gegners. 89. Minute – das Bayern-Tor war leer, doch der Ball streicht vorbei. Schade, das wäre der ideale Schlusspunkt gewesen. Der indes lässt auf sich warten. Erneut gibt’s 5 Minuten Nachschlag – wofür? Angriff Bayern – Freddy begräbt die Murmel unter sich! Von den Rängen erklingt unser Mantra. Und dann passierts doch: Der Ball liegt in unserem Tor, dass sogar der Gästeblock kurz zu hören ist. Einer, der sich heute eine Menge erlauben durfte und den unsere Mannschaft ordentlich stresste, besorgte den Ausgleich.

Und Bayern griff weiter an, gefühlte 15 Minuten lang, doch Sieg Nummer 815 in Serie sollte es dann doch nicht sein. „Wir haben jewonnen, Alta!“, brüllte uns Steini Senior die Leviten – und ja verdammt, es fühlte sich tatsächlich wie ein Sieg an. Als sich die Mannschaft der Mittellinie näherte, gingen unsere Arme vor und wir groovten uns ein. Unsere Botschaft kam aufm Rasen an, unsere Spieler nahmen sich bei den Händen und feierten mit uns diesen Punktgewinn.

Gedanken aus dem Fußballherzen

Das beste Spiel der Ära Baumgart dürften wir heute gesehen haben: mutig, offensiv und kampfstark!“, schrieb mir Freund Christoph, „Welch ein Privileg, solche Nachmittage miterleben zu dürfen. Nirgendwo wäre ich heute lieber gewesen als in Köpenick.“ Und doch bewegt auch Christoph der „ruinöse Einfluss des Videobeweises auf den Fußball. Aberkannte Tore – für und gegen uns –, ohne dass es auch nur die kleinste Beschwerde der gegnerischen Mannschaft gegeben hätte. Situationen, die sich mit bloßem Auge nicht wahrnehmen lassen.

Und die Befürworter dieses Unsinns nennen eine solche Absurdität „Gerechtigkeit“. Solange man die Integrität des Schiedsrichters nicht in Zweifel zieht, ist eine Fehlentscheidung jedoch keine Ungerechtigkeit, sondern je nach Perspektive Glück oder Pech, also ein Teil jenes Zufalls, der ohnehin das Spiel jederzeit in die eine oder in die andere Richtung lenkt. Davon abgesehen: Der Fußball hat nur eine Aufgabe, uns glücklich zu machen! Und dieser Videobeweis, der dem Torjubel die Ekstase raubte und durch das Warten auf eine mikroskopische Überprüfung ersetzte, hat einen Teil unseres Glücks auf dem Gewissen, den ekstatischen Tormoment.“ Eisern heißt dit!


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