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Bildquelle: Asanka Schneider [], (Bild bearbeitet)
Neulich beim Fernseh-Fußball sah ich mal wieder die verwaisten Ränge des Stadions An der Alten Försterei. Das Kamera-Auge ermöglichte mir einen ähnlichen Blick, wie er sich mir bot, wenn mich mal ein Freund in einen der VIP-Bereiche unseres Wohnzimmers eingeladen hatte. Ich weiß noch, dass ich dann immer mal wieder sehnsüchtig auf die Gegengerade rüber kiekte, wo oberhalb von Mittellinie und Umlauf meine Blocknachbarn das Spiel zelebrierten und mich via SMS foppten: „Ach, was Besseres heute, der Herr?“
Aber das war ja dann nur für dieses eine Spiel. Beim letzten meiner Besuche im Sitzschalen-Bereich setzte sich mein rechter Sitznachbar bald weg von mir. Ich war ihm zu laut, hatte rumgebrüllt wie aufm Sportplatz. Dieses Vorrecht ist mittlerweile nur noch den jeweiligen Funktionsteams vorbehalten – und ich freue mich dann ja schon, wenn ich Urs‘ Stimme heraushöre. Als ich das letzte Mal diese Fernsehbilder der leeren Ränge sah, erblickte ich da drüben etwas Schreckliches.
Sicher waren es nur Schatten, aber die Stadionstufen sahen aus, als wären sie längst wieder von immer üppigem Grün durchbrochen. In etwa so, wie vor der Renovierung 2008/09. Ich liebe Pflanzenwuchs! Dass die Natur sich zurückholt, was wir Mensch ihr klauten, finde ich voll in Ordnung! Aber einer der ganz wenigen Orte, an denen ich das so nicht haben will, sind nun mal unsere Stadionstufen. Für mich ein Grund mehr, dass ich diese Fernsehbilder nicht mehr brauche.
Heute also wieder Fußball auf unserem heiligen Rasen. Der Pseudo-Traditionsclub aus dem Jahre 1899 hat sich angesagt. 228,30 Millionen Euro Marktwert latschen beim Warmmachen auf unseren Grashalmen herum. Zu Potti Matthies‘ Zeiten mussten sich die Spieler aufm Trainingsplatz erwärmen. Heute hätte ich gern einfach nur Punkte – und jut! Nee, ich hab‘ keinen Bock mehr auf dieses Bezahlfernseh-Gekicke, obgleich es wahrscheinlich das unserer gegenwärtigen Gesellschaft am ehrlichsten entsprechende ist.
Fernseh- und Werbegelder lassen den Rubel rollen. Dagegen sind Eintrittskarte und Vereins-Mitgliedschaft ein kleines Pöstchen. Football is for Industry, also los, Anstoß! Ich habe Fußball-Obdach bei meinem Nachbarn gefunden – und die Technik streikt. Mist verdammter, aber als der liebe Jo das Bild auf den Schirm gezaubert hat, zappelt der Ball im gegnerischen Tornetz. Max Kruse, Mitglied der Startelf, hat mal wieder einen Elfer verwandelt, aber sowas von knackig unter den Querbalken!
Aber nun kommen die Hoppenheimer, Karius klärt zur Ecke. Der Ball will einfach nicht weg von unserem Tor, den nächsten Schuss hätte unser wackerer Keeper passieren lassen müssen, zum Glück geht er neben den Kasten. Das Mittelfeld gehört jetzt komplett dem Gegner, und plötzlich ist einer mit dem Ball am Fuß direkt vor Loris Karius. Der geht runter, hat im genau richtigen Moment die Hand oben. Der Ball prallt kurz ab, im Nachfassen hat er ihn. Glanztat in höchster Not.
Als sich Union zwischendrin einmal dem gegnerischen Tor nähert, ist es Abseits. Dann ein Fehlpass im Mittelfeld, der Gegner greift über rechts an. Flanke vors Tor, wo ein Hoffenheimer brutal richtig steht. Karius wehrt den Ball ab, leider an die Schulter eines Mitspielers, der ihn – anderenfalls hätte es liebend gern der hinter ihm lauernde Hoffenheimer getan – in unser Netz befördert. Der Ausgleich, leider mit Ansage.
„Mist, sind die schnell“, lautet meine nächste Notiz zum Spiel. Die Hoffenheimer ziehen sich zurück – und doch kontrollieren sie das Geschehen. Ist ganz schön ungewohnt, den Gegner als die unstrittig bessere Mannschaft zu erleben. Da waren wir offenbar ganz schön verwöhnt die letzten Monate. Und schon wieder eine Großchance des „Traditionsvereins“. Irgendwann auch mal unsere vor deren Tor, aber viel zu behäbig. Was bin ich froh, als der Schiri endlich zur Pause pfeift.
Kurz nach Wiederanpfiff eine fast wunderbare Flanke von Käpten Trimmel. Leider nur fast, denn niemand kann sie verwerten. Union wirkt bissiger, bis die Gäste wieder loslegen. Ich mag die nicht, aber sie kämpfen, beißen, wollen hier unbedingt gewinnen. Schade, dass sie vor 3 Tagen aus dem Europacup flogen, sage ich völlig ohne Häme. Dann wären sie jetzt vielleicht zahmer? Das bessere Team bleiben sie weiterhin. Zum Glück steht zumindest unsere Defensive gut – uups, da fangen wir in der 82. prompt das 1:2. Wunderbar herausgespielt – aber doch wohl Abseits, oder? Ironie des Schicksals: Dr. Felix Brych im Videokeller meldet sich beim Schiri, kalibriert – und lässt uns kurz mal am modernen Fußball profitieren.
Am Ende steht der Punkt, und nicht nur Käpten Trimmel im Nach-Abpfiff-Interview zeigt sich erleichtert und sichtlich zufrieden mit ihm. Der Gegner lief nicht nur mehr, sondern bombardierte auch unser Tor – geht es unserer Mannschaft wie mir? Sind unsere Fußballgötter so mürbe wie ich, jetzt und hier? Wie auch immer, sie haben diesen Punkt erkämpft – und ich halte dank des Taz-Unioners endlich meinen Tusche-Schein in Händen. Nicht jedes Spiel taugt zur Legende, schon gar nicht, wenn wir es lediglich auf Bildschirmen sehen. Eisern!
Wer: Martin Krüger (45)
Wann:26.11.2024