Frank Nussbücker: Genial und grausam – mein Rückblick auf die Saison 2020/21

Saisonrückblick 2020/21 von Frank Nussbücker

Bildquelle: Eiserner-Unioner.de [], (Bild bearbeitet)

Ich werde diesen Augenblick nie vergessen: Draußen vor den Bordfenstern schweben Berliner Landschaften an uns vorbei. Unsere Augen sind auf den Bildschirm gerichtet. Im Eisernen Nebel aus Bier und Freude am Leben köpft Max Kruse am Ende der Nachspielzeit dieses irre Tor in die Maschen des gegnerischen Tors! Der würdige Schlusspunkt einer Saison, die aus rein sportlicher Sicht phantastischer nicht hätte sein können. Statt Abstiegskampf köpfte uns Max in mindestens zwei Spiele „Europapokal – Europa-Po!“

Danach sah es nach dem 1. Spieltag so gar nicht aus. Immerhin schipperte ich auch an jenem 19. September 2020 auf der Spree. Bootsfahrt auf der Vera mit Rock ’n‘ Roll, als Höhepunkt Eisernet Lied mit Augsburg-Calling-Erfinder General Gerhard Seckler an Gitarre und Mikrofon, unterstützt durch Berliner Punkrocker aus mehreren Bands. Unioner und FCA-Fans feierten zusammen das Leben und den Saisonbeginn.

Zäher Beginn, aber mit Rock ‘n‘ Roll

Nach Köpenick ging unsere schnelle & laute Fahrt, leider nur für wenige von uns ins Wohnzimmer. 5.000 Zuschauer erlaubten die Corona-Regelungen im Stadion, mein Los hatte nicht gewonnen. So kiekte ich das Spiel, ebenfalls in guter Gesellschaft, auf dem von mir geordertem Platz im Coé. Rückstand, Ausgleich – jetzt aber Attacke! Denkste, Augsburg siegte mit 1:3, und so manche(r) lamentierte, dass da in unserem Tor „so eine Luthe“ stehe, während der tolle Giki im gegnerischen Dress jubele.

Coé-Wirtin Mone war sauer, weil so mancher, der wie ich einen der raren Plätze im Gastraum gebucht hatte, nicht erschienen war. Ich trank mir das Ganze schön, und als irgendwann gen Abend der General und seine Augschburger im Coé eintrudelten, feierten wir gemeinsam, weil wir das einfach mal können. Eine Woche später holten unsere Fußballgötter einen Punkt in Gladbach, und zum nächsten Heimspiel katapultierte mich die Losfee directamente ins Wohnzimmer!

5.000 Unioner besingen ein irres Team

Mir war ein bisschen mulmig. Wer waren die anderen 4.999 Glücklichen, die wie ich AdAF sein durften? Ich hatte fürchterliche Angst, dass ich mich fremd im eigenen Stadion fühlen würde. Immerhin hatte ich einen Platz in meinem Block oberhalb der Mittellinie gebucht – genau wie diejenigen meiner Blocknachbarn, die wie ich in der Lotterie gewonnen hatten. „Nussi, du stehst falsch!“, wies mich Weihnachtssingen-Erfinder Torsten Eisenbeiser grienend zurecht, sonst stehe ich ein paar Meter rechts von ihm.

5.000 Unioner entfachten einen irren Lärm, der mich irgendwie an Ostzeiten erinnerte, als die Gesänge noch nicht von Kapos angestimmt und choreografiert wurden. Jetzt waren wir alle als Choreografen und Sänger gefragt, und ich muss sagen, wir schlugen uns super! Unsere Mannschaft setzte dem noch eins drauf, indem sie die armen Mainzer gnadenlos dominierte. 4:0 für Union, das tat meiner Seele genau so gut wie der anschließende Stimmband-Muskelkater! Dann flossen die Biere im Coé!

Sieg auf Sieg vorm Fernseher

Endlich wieder nahezu echter Fußball, wie ich ihn liebe – es sollte bis heute mein letztes Unionspiel live im Stadion bleiben. Bald drauf war es wieder vorbei mit Fußball vor Zuschauern, abgesehen von den Fernseh-Ligen sollte der Ball gar ganz ruhen. Kleiner Trost für mich: Immerhin sah ich alle unsere Spiele zusammen mit jeweils wenigen bis sehr wenigen Freunden, war ich nie ganz allein, wenn unsere Mannschaft um Punkte kämpfte.

 

 

Das tat sie nicht ohne Erfolg. 2 achtbaren Unentschieden folgte der für mich sensationelle 3:1 Auswärtssieg bei SAP in Sinsheim und das noch spektakulärere 5:0 Am Stadion An der Alten Försterei gegen völlig überforderte Arminen aus Bielefeld. Der nächste Sieg, ein 2:1 in Köln, mutete schon etwas mühsamer an. Offenbar hatte sich dieser Gegner besser auf uns eingestellt. Aber auch das nützte nichts, Union marschierte munter und erfolgreich weiter.

Ein toller Torwart und viele Torschützen

Mittlerweile meckerte kaum noch jemand über Andi Luthe in unserem Tor. Urs blieb bei seiner Linie, entschied sich für den wackeren Riesen, statt für dessen prominenten Kollegen Loris Karius. Verstand nicht jeder, na und? Ich mochte Luthe von Beginn an und weine unserem Ex-Keeper Rafal G., dem es so wichtig erschien, vor Union zu stehen, keine Träne nach. Unser zweiter prominenter Neuzugang mit Nachnamen Kruse zeigte alsbald, dass er verdammt gut Fußball spielen und auch Tore schießen kann!

Nicht nur er – verdammt viele Unioner erwiesen sich als äußerst torgefährlich! Hatte in der letzten Saison gefühlt einzig Sebastian Andersson für Eiserne Buden gesorgt, trugen sich jetzt nach 8 Spieltagen bereits 11 Unionspieler in die Torschützenliste ein. 4 x Kruse, je 2 x trafen Marvin Friedrich, Robert Andrich, Cedric Teuchert, Joel Pohjanpalo und Nico Schlotterbeck. Das Überschall-Stürmer-Duo Sheraldo Becker & Taiwo Awoniyi, beide erst jeweils einmal erfolgreich, spielte jeden Gegner schwindelig!

Trost fürs verlorene Fernseh-Derby

Es folgte ein überaus packendes 3:3 gegen die Frankfurter Eintracht, dann war mal wieder Fernseh-Derby-Zeit. Als ich zusammen mit Lieblingsfeind und zwei RBB-Angestellten vorm Olympiastadion in der Kälte stand, war alles längst passiert. Union hatte sensationell begonnen und war verdient in Führung gegangen, bevor Robert Andrich nach einer wohl seiner geballten Übermotivation geschuldeten, asiatisch anmutenden Kampfsport-Einlage viel zu früh duschen ging.

 

 

Zur Halbzeit hielt unsere Mannschaft noch die Führung, doch am Ende hieß es 1:3 gegen uns. Für mich das Bitterste: Wir Fans konnten das Ganze nur hilflos am Fernseher verfluchen oder, im Falle der Herthaner, bejubeln. Unsere Mannschaft tröstete mich mit dem großartigen Unentschieden gegen Serienmeister München. In Stuttgart hieß es, wie dereinst in der Relegation, am Ende 2:2. Und wir hatten gar mit 2:0 geführt!

Vom Wunderwalde weht es her

Als wäre das alles noch nicht genug, hauten unsere Fußballgötter am 18. Dezember 2020 auch noch Deutschlands zweitreichsten Fußballclub aus Dortmund weg. Oho, dieses Mal „nur“ mit 2:1 und – na klar – ohne uns auf den Rängen. Dafür zeigte sich der unser Stadion umgebende Köpenicker Forst zum wiederholten Mal als Wunderwald, aus welchem unverdrossen Eiserne Fußballgesänge übern Stadionzaun aufs Spielfeld schwappten.

Der folgende Auswärtssieg gegen Bremen fühlte sich fast schon normal an, und auch gegen die VW-Radkappen holten unsere wackeren Mannen einen Punkt. Ich habe vergessen, wann genau die Reporter ihre Versuche starteten, unseren Urs mit Europapokal-Gefasel aus der Reserve zu locken. Urs ließ sie abblitzen, und ich guckte nach wie vor unentwegt auf unseren Abstand zum Relegationsplatz nach unten, was mir beim Schreiben dieser Zeilen geradezu absurd erscheint.

Ein Sieg gegen schlechte Verlierer

Als nächstes suchten uns Bayers Pillendreher heim. Sie behaupteten den Ball wie ein guter Boxer die Ringmitte, allerdings zeigten unsere Mannen – um hier im Boxen-Bild zu verbleiben – den bedeutend härteren Punch. So wunderte es mich keineswegs, als sie kurz vor Abpfiff nach kämpferischer Balleroberung einen blitzschnellen Konter im gegnerischen Tor versenkten. Was für ein Sieg! Ende gut, alles gut? Denkste!

Zwei Leverkusen-Trikot Tragende deutsche Nationalspieler erwiesen sich als großmäulige Memmen. Sein Kollege weine gerade in der Kabine, heulte der eine Hauptdarsteller dieser Posse ins Reporter-Mikrofon. Grund dafür sei eine rassistische Beleidigung durch einen Union-Spieler, die der darüber Klagende zwar selbst nicht gehört habe, die aber ganz sicher so geschehen sei.

Die erste klare Niederlage

Es folgte eine, zumindest nach außen hin, völlig lächerliche Untersuchung der Vorkommnisse durch den Fußballbund. Die förderte zwar keinerlei echtes Vergehen zutage, bescherte unserem torgefährlichen Abwehr-Ass Marvin Friedrich aber 3 Spiele Sperre! Unzählige Doppelmoral-triefende Verlautbarungen aus allen Richtungen taten ihr übriges, dass der wunderbare Sieg unserer Mannschaft einen elendigen Nachgeschmack hatte. Böses Blut ohne Ende – wofür?

 

 

Die erste klare Niederlage unserer Mannschaft gegen Mateschitz‘ in Leipzig stationierte Limonaden-Promo-Abteilung beendete die Hinrunde einer Saison, in der die 1. Herrenmannschaft des 1. FC Union Berlin gefühlt so gut wie nie zuvor in unserer mittlerweile 55 Lenze zählenden Vereinsgeschichte gespielt hatte. Daran lag es also nicht, dass mein Interesse an diesem reinen Fernseh-Gekicke langsam, aber sicher sank.

Durchwachsen ging es in der Rückrunde weiter

Bei der folgenden Niederlage in Augsburg war der gute Luthe machtlos gegen die Gegentreffer der Hausherren. Durchwachsen ging es weiter: Punkt AdAF, Niederlage in Mainz. Das Schöne an letzterem: Ich sah das Spiel endlich mal wieder bei meinem Freund Ingo in Grünau. Durch den Wald zu ihm zu stapfen, das war schon fast ein Punkt – ja verdammt, Fußball verbindet! Das anschließende Unentschieden gegen unseren einstigen DFB-Pokalfinale-Bezwinger schmeichelte der Leistung der Schalker.

Punkte in Freiburg – was für eine Freude! Die folgenden beiden Unentschieden hatten, zumindest fußballerisch, etwas Zähes. Ich unterhielt mich mehr mit meinem jeweiligen Gastgeber, als dass ich auf den Bildschirm starrte – immerhin das! Meine Besuche in Pankow oder im Nebenhaus waren so manche Woche meine einzigen Kontakte zur Außenwelt, von der Essenbeschaffung dienenden Kaufhallen-Aufenthalten mal abgesehen.

Sehnsucht nach Union

Der Heimsieg gegen Köln war dann schon wieder von anderen Eltern! Ebenso unsere Niederlage in Frankfurt, die längst nicht so klar war, wie das 5:2 gegen uns vermuten lässt. Dann war auch schon wieder Derby-Zeit. Zum zweiten Mal in dieser Saison begegnete ich Lieblingsfeind Knut Beyer, diesmal Heimspiel für mich. Mit paar Metern Abstand saßen wir auf unserer Tribüne, sehnsüchtig wie sonst was starrte ich rüber zur Gegengerade.

Da drüben würde ich stehen – und Knut rechts von uns im Gästeblock. Wir würden uns anschreien, unsere Mannschaften nach vorn brüllen – all der ganz normale Wahnsinn eines echten Derbys, das sich bei mir normalerweise mindestens eine Woche vor Anpfiff bemerkbar macht. Nein, ja, wieder nichts, ganz klar – aber ich hatte endlich mal wieder unser Stadion betreten! Und meinen Traum genährt, hier endlich wieder in voll besetzter Hütte Union zu leben!

Die zwei Maskengesichter des Uli H.

„Gegen die Kleinen tun wir uns eben schwer!“, witzelte ich nach unserem hart erkämpften 1:1. Wieder waren wir in Führung gegangen – schade, dass das 2:0 nicht zustande kam. Am Ende wieder ein Punkt mehr, noch immer standen wir in der Tabelle etliche Plätze vorm schwer reichen Stadtrivalen. Dennoch ging die Stadtmeisterschaft auch in dieser Saison nach Charlottenburg. All das vergaß ich sofort, als ich im folgenden Spiel die zwei Gesichter des Uli H. erleben durfte.

Wieder boten wir den Bayern mächtig Paroli. Und als sie dann doch in Führung gingen, wäre unsere Mannschaft früher vielleicht erlahmt. Aber nicht in dieser irren Saison unter der Führung des wackeren Eidgenossen Urs, und so belohnte sich unser Team kurz vor Schluss mit dem irren Ausgleich! Während die Fernseh-Journalisten von Abseits und falschem Einwurf lamentierten, zeigten sich die Bayern-Profis als „Verlierer“ mit Herz. Als Kirsche obendrauf gabs das überaus frustrierte Maskengesicht des offenbar fast kollabierenden Wurst-Uli, göttlich!

Die erste klassische Union-Niederlage der Saison!

Es folgte unser erster Sieg gegen unseren Relegationsgegner von 2019 – wie glücklich war ich, dass ich auch diesen in bester Gesellschaft erlebte. Eisern Union brüllt sich zusammen mit anderen eben gleich nochmal so schön, und lauter ist es dann ebenfalls! Eine Woche drauf in Dortmund bot unsere Mannschaft wieder ein Klasse Spiel. Erst ein schlecht eingesprungenes Schwälbchen von „Miss Penalty“ im schwarzgelben Dress brachte uns auf die Verliererstraße.

 

 

Gegen Werder Bremen sah selbst ich uns mittlerweile als Favoriten. Die Mannschaft wurde dieser Rolle gerecht. Das alles trotz der Tatsache, dass auch die Bremer vom Etat her noch immer weit vor uns rangieren – nur eben nicht auf dem Spielfeld und in der Tabelle! Dann kam sie doch noch: eine klassisch-klare Union-Niederlage. Die VW-Mannschaft ließ uns keine Chance, so etwas hatte ich ewig nicht mehr gesehen.

Auf zum großen Finale

Schon standen die letzten beiden Spieltage an. Würde Union Berlin tatsächlich am Ende auf einem Europapokal-Platz landen? Für mich sah es nicht so aus, denn unsere letzten beiden Gegner hatten es in sich. Noch dazu war mir das Ganze im Grunde egal – abgesehen von der Tatsache, dass ich Union stets und überall siegen sehen will. Gegen die BSG Bayer erkämpften sie immerhin ein Unentschieden – Eisern Union!

Vorhang auf also fürs große Finale – Unioner im Stadion und davor, Unioner auf den Schiffen der Eddyline, Unioner aus allen Ecken und Enden der Welt erlebten janz in echt größtes Kino – mindestens Hollywood, da gebe ich Urs völlig Recht. Ich kann es noch immer nicht fassen, was in jenem Spiel, was da in der gesamten Saison über die Fußballbühne ging. Dieses Spiel fasste es so wunderbar zusammen: Führung Dose, wuchtiger Ausgleich – und Siegtor in der Nachspielzeit – bei mir gefolgt von vielen Umarmungen und einem Filmriss.

Eisern heißt dit!

Ich habe mich entschlossen, das Ganze einfach als Dankeschön unserer Mannschaft samt Funktionstyp sowie des großen Fußballgottes hinzunehmen. Als Dank an unseren Verein für mittlerweile über 15 Jahre kontinuierliche Aufbauarbeit. So traurig es auch ist, dass bereits 6 Monate Pandemie finanziell gesehen die Arbeit der letzten 10 Jahre fraß. Wir sind noch da, fernab jedes Bangens um die Lizenz – und noch immer auf dem Weg, den Fußball zu leben, wie WIR ihn lieben!

Union gab mir auch in dieser Saison fast-totaler Stadion-Abstinenz festen Halt. Zusammen mit Eisernen verfolgte ich die Leistungen der Mannschaft, die Gesänge aus dem Wunderwald. Zusammen mit Eisernen sammelte ich Geld für unsere Kneipen, unsere Eiserne Flotte, bauten wir zusammen 2 Rollstuhl-Schaukeln, kauften und verteilten wir Tausende Pfannkuchen – und so vieles mehr. Und gemeinsam kehren wir ins Stadion zurück, denn die nächste Saison wird in jedem Fall wieder die Schwerste. Jeder von uns wird gebraucht, Eisern heißt dit!


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