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Bildquelle: Asanka Scheider [], (Bild bearbeitet)
Es ist gut 10 Monate her, dass wir zum letzten Mal gegen die Radkappen aus Golfsburg in einem Punktspiel antraten. Unsere Mannschaft, von den Unionern auf den ausverkauften Rängen An der Alten Försterei angetrieben, ging kurz vor und bald nach der Pause mit 2:0 in Führung. Am Ende hieß es zwar „nur“ 2:2 – und doch sahen viele den Punkt als einen Gewonnenen an. Auch Urs Fischer zeigte sich durchaus zufrieden über die Leistung seiner Mannschaft.
Ich saß derweil mit Liebe und Tochter anlässlich der Berlinale im Kinosaal, nach dem Film gabs ein Gespräch mit dem Regisseur. Es sollte unser bis heute letzter Kinobesuch sein – und auch im Stadion An der Alten Försterei war ich seither nur ein einziges Mal. Zusammen mit knapp 5.000 Unionern sang ich mir allen Frust aus der Seele, während unsere Mannschaft den Gegner aus Mainz in Grund und Boden spielte. Von diesen Stunden im Wohnzimmer zehre ich bis heute.
Besonders an einem Tag wie gestern – wir haben Spieltag! – spüre ich von Kopf bis Fuß, wie sehr mir unser Fußball, unser gemeinsames völliges Austicken auf den Stadionrängen inklusive Vor- und Nachspiel fehlt. So fühlt es sich eben an, wenn ein Lebenselixier weit, weit weg ist. Dieses gemeinsame einstehen, fiebern, feiern, schreien, alles dreingeben für die gemeinsame Liebe. Ich wachte um 4.35 Uhr auf und konnte nicht mehr einschlafen, einfach weil: Ick will zu Union!
Als wolle uns unsere Mannschaft für all das entschädigen, spielt sie seit Monaten einen für mein Union-Verständnis irre guten Fußball. Dass wir vor Anpfiff mit gleicher Punktzahl einen Platz vor den Golfsburgern stehen, als fünfter der Tabelle, ist selbstverständlich nur eine Momentaufnahme. Und wer da glaubte, es geht in der gestrigen Partie um Europa, ist selbst dran schuld, wenn er hinterher enttäuscht ist.
Ich sehe mein Glas heute halbvoll und bin dankbar dafür, dass ich mit Anpfiff keinen Fatz mehr an all die gefährlich Bekloppten in Amerika, im Nachbarhaus oder sonst wo auf der Welt denke. Heute das Spiel tatsächlich mal im Radio. Und das erweist sich als echte Herausforderung, denn alle paar Minuten muss ich den Finger aufs Display legen, um zu verhindern, dass das olle Ding verstummt.
Und schon wird der Kommentator lauter, denn Awoniyi taucht vorm gegnerischen Tor auf – Mist, Abseits. Nach einigen ruhigen Minuten der Kommentatoren und heftigen Kämpfen mit meinem Handy greifen die Radkappen an – Luthe ist gerade noch dazwischen, kratzt das Ding um den Pfosten herum. Ecke VW also – und jetzt ist er drin, so ein Rotz! 10. Minute, wir liegen hinten.
Aber Union greift an, Awoniyi schubst, Freistoß VW, dann Becker – leider unplatziert. Kurz drauf Freistoß Union, natürlich unser Käpten. Er findet Hübner, der leider in die Arme des Keepers köpft. Zwischendrin mal ein Angriff auf unser Tor, dann wieder wir: Ingvartsen erobert den Ball, bedient Sheraldo Becker – und der haut ihn unter die Latte, dass ich aufspringen und damit mein Handy ausgehen lassen muss. Eisern Union!
Nun drücken die Wölfe, aber erfolg- wie glücklos. Es wird etwas ruhiger, aber nur, weil mir mein Telefon das Radio jetzt ganz verweigert. Da, ein Anruf: Taz-Olaf ist dran, in der Halbzeitpause bringt er mir mein Unionprogramm. Der Ticker des Kicker vermeldet, VW hätte gerade die Riesenchance zur erneuten Führung gehabt. Hätte! Endlich Halbzeit, das hörte sich verdammt gut an, was unsere Jungs gegen die 218,55 Mio. Marktwert aus der Autostadt zeigten.
Kurzes Quatschen mit Olaf. Der ist fertig, weil Ziegen-Unioner-Freund Tesla verstorben ist. Shit, wieder einer mehr in Block H. Als das Spiel weitergeht, höre ich, Luthe sei gerade zum 2. Mal hintereinander der Ball versprungen. Dann endlich Ruhe vor unserem Tor, dafür brennts vorm richtigen Gehäuse. Awoniyi von den Beinen geholt – Elfmeter, sagt der Schiri, dazu roter Karton für einen Gegner. Der Eiserne Kommentator wird immer unsicherer, je öfter er die Szene sieht und der Schiri geht Video ducken …
Freistoß heißt es schließlich, denn das Foul sei außerhalb des Strafraums gewesen. Die Rote bleibt bestehen. Robert Andrich legt sich den Ball zurecht … und der Kommentator lässt mich dabei sein, wie er ihn gefühlvoll über die Mauer unhaltbar ins linke Eck zirkelt. Torsten Mattuuuuschka, jubiliert es in mir, während ich es feiere, dass wir mit Robert mindestens einen weiteren Kunstschützen in unserer aktuellen 1. Herrenmannschaft haben!
Ist das irre, wir führen mal wieder gegen ein Spitzenteam! Und es dauert gar nicht mal lange, da kriegen wir mal wieder ne Ecke. Käpten Trimmel schießt – direkt ins Tor, doch noch im jubelnden Aufspringen vernehme ich, der Schiri habe abgepfiffen. Womöglich gar zu Recht? Ich lese hinterher verschiedenste Meinungen, in jedem Fall: Scheibenkleister! Und nun wieder Wolfsburg – und schon bald wieder Videokieken des Schiris. Mist, wir befinden und vor unserem Tor …
… und es kommt so, wie ich es hasse: Handspiel Ingvartsen, Elfmeter. Einer der prominentesten Gäste, Weghorst sein Name legt sich die Kugel zurecht, als mein Telefon mal wieder ausgeht. Als ich wieder dabei bin, steht es 2:2. Nach diesem irren Wechselbad mit blödem Ende wird es erst mal wieder ruhiger. Die Golfsburger haben es eilig, und ich würde sehr gerne jubeln. Gerade als ich denke: Wann wird Urs neue Kräfte bringen, verkündet der Kommentator den ersten von zwei Eisernen Doppelwechseln.
Endlich wird unser Kommentator wieder lauter, ein Eiserner Kopfball aufs Tor, Nachschuss Trimmel ans rechte Lattenkreuz! Der Torwart vollführt einen langen Abschlag, und ich fürchte bei jeder Pause des Sprechers, dass die Übertragung hackt. Dann wird alles ganz ruhig. So ruhig, dass ich Angst bekomme. Endlich wieder Angriff Union. Leider nichts, und die Uhr tickt herunter. Die Wolfsburger haben es jetzt so gar nicht mehr eilig. 4 Minuten Nachspielzeit.
Auch sie vergehen, und ich glaube, dass unsere Jungs ganz schön platt sind. Stolz können sie in jedem Fall auf ihre Leistung sein. Ich bin es, sogar sehr. Genug Dramatik war auch mal wieder dabei, und unsere 1. Herrenmannschaft brauchte sich wie in bislang keinem Spiel dieser Saison zu verstecken. Es freute mich sehr, zu lesen, dass viele von uns von Bescheidenheit sprechen und mahnen, aufm Teppich zu bleiben. Gerade, was das Ergebnis auch angesichts gut 40 Minuten in Überzahl angeht. Punkt 25 ist eingefahren, Eisern heißt dit!
Wer: Christopher Busse (35)
Wann:16.11.2024