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Bildquelle: Harleypaul on Tour [], (Bild bearbeitet)
Nun war es also soweit: Nach 3 Spielen gegen Bayern II, 2 Tests und ebenfalls 2 Benefizspielen gegen deren 1. Herren, spielen wir nun die dritte Saison gegen diesen Gegner Punktspiele in der 1. Bundesliga. Unvergessen, wie Unioner am 26. Oktober 2019 die Arroganz-Arena zu München rockten. Genau wie die zwei Posen des Uli Hoeneß beim 1:1 daselbst, eine Saison später. Nun aber würden endlich auch wir im Wohnzimmer sein, wenn unsere Mannschaft gegen den Rekordmeister aus dem Südwesten antritt.
Am Vorabend des Spiels fragte ich unsere Torwartlegende Wolfgang Matthies: „Was meinste, wie geht’s aus?“ „Entweder, wir gewinnen 2:1, oder die hauen uns 1:8 weg!“, lautet seine prompte Antwort. Viele von uns rechneten wohl eher mit letzterem. Noch dazu, wo diese Supertruppe am Mittwoch im Pokal derartig Dresche bezogen hatte und achtkantig aus dem Wettbewerb gefegt wurde. Obendrein von einer Truppe, die wir AdAF geschlagen hatten. Ich weiß, Quervergleiche sind Null und nichtig.
Sollen sie doch übermotiviert sein, sagte ich mir am Vorabend. Wir sind Unioner, und „wir gewinnen, selbst wenn wir verliern“, wie KRISPIN es so treffend singt. Ihr könnt uns gar nix, ihr bayrischen FC Hollywood-Superstars von der Säbelzahntiger-Straße. Wir kommen aus Köpenick, und da ists wunderschön! Ich war dann völlig entspannt in jener Nacht vor dem Spiel, und freute mich schon darauf, all diesen Rasen-Milliardären ihren wahren Familiennamen entgegenzubrüllen: „Na und!“
Alles andere ist Bonus. Ich hege keinen Hass, ich weiß einfach nur, wo wir herkommen und wo ich hingehöre: „Und wir lieben unsern Club, und wir sind stolz auf ihn, FC Union aus Berlin!“ Das alles und noch viel mehr würde ich im Stadion singen, zusammen mit etlichen Tausend Unionern. Allein das ist, wie wir alle in den letzten Jahren erfuhren, ein Fest! Obendrein wählte ich die Anreise auf Eddylines Viktoria. Die Sonne lachte uns in die Gesichter, und so schipperten wir feiernd gen Köpenick.
Exil-Unioner André hatte ein paar Bajuwaren mitgebracht, Freund Thilo dazu seinen bayrischen Schwager, und so hatten wir anfangs auch ein paar „Bayern“-Zwischenrufe in unseren Gesängen. Die klangen fast wie an seltsamen Stellen platzierte „Eisern“-Rufe – und tatsächlich: Einige Biere später brüllte einer der Bajuwaren allen Ernstes und immer wieder: „Union!“ Natürlich war er nicht übergelaufen, aber auch noch nicht sturz-trumbunken. Es begeisterte ihn einfach, wie wir unseren Verein feierten.
Am Barkas-Ersatzfahrzeug angekommen, traf es mich erst mal ins Gesicht: Einer fehlte, der sonst immer hier ist und seit mehreren Ewigkeiten Programmhefte verkaufte. Auf der Fahrt mit der Viktoria hatte ein Banner Norberts Konterfei gezeigt. Nun war er mit 61 Jahren rauf in Block H gewechselt, eine verdammt große Lücke hier unten bei uns … Dann rauf in den Block, wo ich dieses Mal bedeutend mehr meiner Nachbarn begrüßen konnte. „Wissen wir doch, dass dit Spiel weg ist“, feixte Steini Senior, und Onkel Wolfgang fügte hinzu: „Gewinnen können die gegen uns, aber schlagen könnse uns nich!“
Im unteren Block ein Jüngling mit „Herrenrasse-Hastenichjesehen“-Shirt. Den wird das Anti-Rassismus-Banner der UEFA am Donnerstag im Oly bestimmt „mächtig ärgern“, denke ich. Sehe ich derartig scheinheilige Aktionen doch vor allem als Wasser auf die Mühlen solcher Typen, die derartige Shirts auf der Haut und die entsprechenden Gedankengänge hinter der Stirn tragen. Ja verdammt, wir Unioner sind ein Querschnitt dieser Gesellschaft. Es liegt an uns, dass die zumindest im Stadion nichts zu sagen haben! Unsere Torhüter betreten den Platz, wir begrüßen sie mit lautstarkem Jubel.
„Neuer braucht sich nich warmmachen“, steckt mir Steini Senior, „höchstens seinen Reklamations-Arm!“ Alle sind wir heiß: Endlich ein ganz normales Punktspiel gegen die, und wir sind dabei! Endlich kommt Christian auf den Rasen, und wir feiern unser Stadion: „Alte Försterei!“ Beim Warmschießen aufs Tor dreschen unsere Spieler auffällig viele Bälle an Latte und Pfosten – ein gutes Omen? Als der Stadionsprecher unsere Mannschaft vorstellen will, muss er erst mal nen Moment Pause einlegen:
„Wir singen Rot, wir singen Weiß, wir singen Rot-Weiß-FCU“ muss erst noch raus. „Willkommen Zuhause“, ruft Christian Richtung Kapo-Podeste. Stimmt, die Ultras sind heute auch wieder mit dabei. Dann mal los, Mannschaftsaufstellung! Marvin immerhin schon wieder auf der Bank, aber Max fehlt ganz – ihm beste Genesung! Die Bayernfans singen ins Intro unserer Hymne rein. Sollen sie, es wird das einzige Mal sein, dass ich sie heute höre. Müller am Anstoßkreis. „Und wir lieben unsern Club, und wir sind stolz auf ihn!“, singen wir fast 5 Minuten lang, gefolgt von unserem Bundesliga-Song, der wie eine Orkanböe durchs Stadion fegt.
Die Bayern bringen derweil den 1. Angriff, der Ball geht knapp rechts am Tor vorbei, auf jeden Fall ein Achtungszeichen. Wieder die Bayern – abgewehrt. „Eisern Union!“ brüllen wir wie nach einer Torchance. Dann erklingt unsere Bella Ciao-Version, unten aufm Platz kommen unsere noch nicht richtig durch. Sonne, Rauch, Grill- und Bierduft, es lebe der Fußball! Nach 12, 13 Minuten sieht es fast so aus, als hätte sich unsere Mannschaft eingegroovt, da dreht da unten der Schiri am Rad.
Ich sah es nicht im Fernsehen, sondern einzig im Block. Und zumindest von hier aus scheint es absolut unsinnig, dass uns der „Münchner Schiedsrichter“ für diesen Ball aus kürzester Distanz mit einem Handelfmeter bestraft. Ach, und Gelb gibt’s obendrein, dazu dieses für mich geschenkte Tor für den FCB. Aber was solls, laut sind wir eben auch, wenn unser Team zurückliegt. Taiwo schießt aufs Bayern-Tor, der Ball rauscht drüber, „Kämpfen und Siegen!“ Weiter geht’s mit Gesang und kämpfenden Unionern aufm Platz.
20. Spielminute, Becker setzt Sturmpartner Awoniyi in Szene – schade! Zwei Minuten später schmeißt sich ein fallsüchtiger Weltstar nach leichter Berührung auf unseren schönen Rasen. Der Gegner bekommt einen Freistoß nahe unserem 16er geschenkt, es steht 0:2. Der Herr im Blauen Dress ist für mich unangefochten der stärkste Bayernspieler uffm Platz. Unsere Antwort: „Allez FCU allez, allez!“ Fast eine halbe Stunde von der Uhr, da erkämpfen Unsere die erste Ecke. Leider macht sie allein dieser Umstand erwähnenswert.
Oh, Gelb für „seine“ Bayern, Freistoß Union, ebenfalls an der 16er-Grenze, gefolgt von einer Ecke, Gewusel im Strafraum, dann hält Neuer die Kugel in seinen Armen. Ein Konter der Bayern geht ans Außennetz, doch wenig später zappelt der Ball dann doch in unserem Gehäuse. 0:3 – „1. FC Union Berlin – und alle!“ Es wundert mich kaum, dass der Gästeblock selbst bei Treffern seiner Stars kaum zu hören ist. Weiter geht’s, Unioner stürmen vor: nächste Ecke, Schuss nebens Tor, nochmal Ecke, „Wir sind Unioner, wir sind die Kranken!“
Genki flankt vors Tor, wo Niko Gießelmann die Kugel wunderbar annimmt und – trotz Neuer-Berührung – in die Maschen des richtigen Tors haut. Jubel, Aufschrei, Bierdusche – Tor für den 1. FC Union Berlin! Unsere Fußballgötter jetzt wie entfesselt: Balleroberung, nächster Angriff – und wieder zappelt das Netz, fliegen die Biere, bevor wir schnallen, sie geben uns das Tor nicht. Ich bete zum Fußballgott, dass es tatsächlich abseits war … „Wir sind Unioner, wir sind die Kranken“-singend, gehen wir in die Halbzeitpause.
Hier nun Norberts offizielle Verabschiedung, wir schicken ihm und einem weiteren Unioner das dreifache „Eisern Union!“ hinauf in Block H. Dann wieder das Spiel, unsere Gesänge und kämpfende Fußballgötter. 50. Minute, Union über links – leider macht er es selbst, ein Mitspieler hätte besser gestanden. Taiwo im gegnerischen Strafraum, aber die Bayern dürfen ja foulen. „Fußballclub Union Berlin, mein Lebenselixier“, heißt es nun fast 5 Minuten lang. Bayern foult – und fällt hin. Dann ein Konter, Luthe rennt raus, klärt per Kopf.
Weitere Bälle vors Bayern-Tor, aber Neuer ist stets als letzter am Ball, leider nicht so wie vorhin bei Nikos Schuss. Irgendwann das 1:4, wir singen weiter! Oh, und jetzt kriegen auch wir mal einen Freistoß für nix. Schuss, 2. Ball, Neuer. Dreifachwechsel bei Union – und prompt legt der neu in Spiel gekommene Behrens für den ebenfalls frischen Ryerson auf, der das Ding in die Maschen zimmert – ja, auch so ein Torjubel hat was irre Befreiendes. „Super, jetzt führen wir 3:2!“, ruft Feuerwehrmann Jo lachend, aber stimmt ja nicht: „1. FC Union Berlin: ZWEI, FC Bayern: NUUUULLL!“
Wieder dieses Gefühl: da geht noch was! Aber Konter der Bayern – Luthe! Irgendwann bemerke ich die leeren Kapo-Podeste. Was ist los, Protest? Nein, ein Notfall auf der Waldseite klärt mich der Chat „Mittellinie“ auf. Weiter geht’s, volle Pulle, und auch wenn‘s am Ende offiziell 2:5 heißen sollte, hatten sie sich zu keiner Zeit aufgegeben. Als unsere Mannschaft die Ehrenrunde dreht, fällt mir das Trikot in Taiwos Händen auf. Erst jetzt bemerke ich wieder den kleinen Jungen, der schon vor Anpfiff ein großes Pappschild hochgehalten hatte. Nun bekommt er sein Trikot! Als die Mannschaft an uns vorbei ist, wandert mein Blick kurz zum merklich leeren Gästeblock.
„FC Union, unsre Liebe, unsre Mannschaft, unser Stolz“, feiern wir weiter wie nach einem Sieg. Chris von der Barkas-Crew beobachtete derweil aufmerksam unsere Spieler: „Die guckten zu uns hoch, völlig fassungslos, wie wir hier abgehen, als hätten sie 4:0 gewonnen. Die meisten von ihnen hatten das ja so noch nie erlebt. Ich jedenfalls habe nicht verloren heute!“ Unioner-Kollege Christoph schrieb mir: „So geschäftsmäßig, wie Bayern einen Auswärtssieg nicht feiert, sondern zur Kenntnis nimmt, können wir nur hoffen, dass wir uns nie ans Gewinnen gewöhnen. Da sei Fußballgott vor, Eisern Union!
Wer: Martin Krüger (45)
Wann:26.11.2024