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Bildquelle: Stefanie Fiebrig / Textilvergehen [], via Wikimedia Commons (Bild bearbeitet)
Wieder einmal hatte sich der Tabellenführer angesagt. 29 Spieler mit einem Marktwert von 270 Millionen Euro und auf den Rängen eine äußerst aktive Fanszene. Dem galt es zu begegnen. Die einzige Antwort darauf, dass etwa 800 Borussia-Mönchengladbach-Fans auf 4 Schiffen zum Spiel nach Köpenick fahren, konnte nur darin bestehen, dass auch die Eiserne Flotte von Kapitänin Simone Mann dorthin aufbricht – nicht nur die Viktoria, sondern auch die Helgard!
Bereits am frühen Morgen versammeln sich fast 200 Eiserne am Anleger gegenüber vom Dom. Da die Abfahrt eine Stunde früher erfolgt als sonst, würden wir alle entspannt ins Stadion kommen. Ich liebe diese entschleunigte Anreise ins Wohnzimmer. Tauschen wir an Bord Erinnerungen an längst vergangene Spiele und Abenteuer aus, nimmt mir das die Angst vor einem Nicht-Sieg unserer Mannschaft. Und weil wir mit dieser Art der Anreise Käpten Eddy ehren, der unserem Verein die Treue hielt, als andere keinen Pfifferling auf Union gaben, ist das Ganze bereits ein erster Sieg.
Viktoria und Helgard immer wieder Seite an Seite, was wir für ein Eisernes Warmsingen nutzen. Eisern-Union-Wechselgesang von Schiff zu Schiff. Leute auf den Brücken und am Ufer halten ihre Schals hoch, grüßen uns. Selbst Leute mit Gladbach-Schals winken uns zu! Dass Idioten ein Schiff der Gladbacher von Brücken aus mit Steinen und Scheiße bewarfen, zeigt leider, dass es auch in unserer Stadt Scheißtypen gibt. Kurz vorm Anlegen am Meckidorf umkreisen beide Eisernen Schiffe einander, was für ein Anblick – ich bin mittendrin im Tunnel, alles in mir schreit unaufhörlich: Union, Union!
Nach Abstecher im Coe entspannt ins Stadion. Freundliche Grüße an Gladbach-Fans: „Nachher wieder Kumpels, ok?“ Lachen und Nicken als Antwort, gekämpft wird gleich auf Rasen und Rängen! Wer braucht Stress vorm Spiel? Ich nicht, genau wie viele andere, die mir begegnen – egal, welche Farben sie tragen. Entspanntes Ankommen im Block. Alle sind da, alle sind bereit, zwei Choreos eröffnen das Spiel, DAS ist Fan-Kultur!
Auf dem Platz stürmt die Borussia Mönchengladbach, von den Rängen knallen die Gesänge. Wir erstarren einen Moment, als unser Pfosten erzittert. Wusste Rafa, dass der nicht reingeht? Das „Schalla-lalalalala“ aus dem Gästeblock komplettieren wir mit „Eisern Union!“, bis die Waldseite mit „Eine Abwehr aus Granit!“ den Ton angibt. Kein Problem, und weiter geht’s. „Wir lieben Union, jawoll!“ als Wechselgesang, die Gänsehaut auf meinem Nacken zeigt meinen Stolz darauf, dass wir von mindestens 2 Seiten laut sind.
Mitten in alledem ein messerscharfer Konter unserer Mannschaft, den Anthony Ujah per Kopf ins gegnerische Tornetz krönt! Irre, wir führen! Mit unseren Stimmen feiern wir das wie einen Sieg. Gleich anschließend feiern wir mit wippenden Armen und vollem Orchester unsere Anwesenheit in dieser 1. Bundesliga, die längst kein Versehen mehr ist. Und dieser Ujah trägt offenbar einen Ballmagneten im Schädel. Bis zu seiner Auswechslung köpft der Mann unzählige Bälle aus Gefahrenzonen oder sorgt damit für Eiserne Gefährlichkeit. Als der Pausenpfiff ertönt, führen wir noch immer.
Die Halbzeitpause wird zur Familiensause. Der Stadionsprecher begrüßt Damir Kreilach. Als der zu uns kam, galt er vielen von uns als typischer Legionär. Längst wissen wir, Damir ist ein Eiserner durch und durch. Und er betrat unseren Rasen nicht, um sich feiern zulassen. Stattdessen stapft er Richtung Waldseite und ruft mit einer Stimme, die vor Rührung fast versagt: „Du bist eine Legende und wirst ewig leben!“
Viele Plakate und Spruchbänder tauchen auf. Ohne blinden Hass, voller Eiserner Liebe feiern sie den Typen, den Damir kurz danach auf seinem Arbeitsplatz im Stadion umarmt. Spätestens seit dem Film „Das Rudel“ kennt wohl jeder Unioner den Vorsänger Vossi, der heute nach 13 Jahren zum letzten Mal auf dem Podest den Anheizer gibt. Genau wie Käpten Eddy gab er alles für Union, als dem Verein das Wasser Oberkante Unterlippe stand. Ich bin kein Ultra, na und? Ich verneige mich tief vor Vossi, der uns im Kampf nach vorne peitschte und fernab des Platzes so oft als Mann des Friedens wirkte!
Dem Jubel folgen wieder Abschiede in Block H, und wir ehren einen gegnerischen Torwart aus Alt-Mariendorf, der einem Union-Spieler mittels gekonnter Herzdruckmassage das Leben rettete. Und wir führen noch immer! Ja mehr noch: Union wirkt gefährlicher als der Gegner! Die ängstliche Frage: wie lange noch?, weicht bei mir immer mehr fassungslosem Staunen: Was für eine Wahnsinns-Mannschaft fightet da unten auf dem Rasen?
Doch die Borussia dreht auf, belagert unser Tor. Unsere Spieler krauchen auf dem Zahnfleisch. Riesenchance, ein gegnerischer Spieler allein vor unserem Tor! Doch Rafal Gikiewicz wächst auf den Punkt um mehrere Meter und haut das Ding weg. Los, weitersingen! Minuten ticken von der Uhr, gar nicht mal soooo langsam, und schon brechen die 4 Minuten Nachspielzeit an. Ehe es jetzt zu spannend wird, macht Sebastian Andersson den Sack zu. Die Biere fliegen, der Irrsinn nimmt seinen Lauf.
Mit unserem Mantra singen wir den Sieg nach Hause. Wir feiern, als gäbe es kein Morgen: 16 Punkte – und wieder mal einen Tabellenführer besiegt, aber das irrste daran: „Heute hat tatsächlich die bessere Mannschaft gewonnen!“, stammele ich den ganzen Abend über immer wieder fassungslos. „Weltmeister, Weltmeister, Berlins Nummer 1!“, fassen wir den Irrsinn ironisch aus tiefstem Herzen in gesungene Worte, zelebrieren wir die Ehrenrunde unserer Mannschaft – und dann?
Käpten Eddy, unser Eisernes Stadion, Torjubel ohne Konserven-Gedudel, das alles und noch viel mehr ist Union. Und der Held dieses für alle Ewigkeit in mein Gedächtnis gebrannten Abends ist kein Fußballprofi, ja nicht einmal unsere wunderbare Mannschaft samt Übungsleiter und Funktionsteam. Die nämlich bilden eine Gasse für Vorsänger Vossi. Nehmen ihn in ihre Mitte, greifen ihn, werfen ihn in die Höhe – und alle jubeln wir ihm zu! DAS ist mein Verein, DAS ist meine Fußball-Liebe, die mich nicht nur niemals vor Abpfiff das Stadion An der Alten Försterei verlassen lässt, sondern mich überall hin begleitet. Iron Henning hat Recht: Union – dit sind wir! Eisern heißt dit!
Wer: Christopher Busse (35)
Wann:16.11.2024