Frank Nussbücker: Eisern an der Weser

Werder Bremen besiegt Union Berlin

Bildquelle: Harleypwul on Tour [], (Bild bearbeitet)

Union gegen Werder im Bremer Weserstadion, das wird für mich immer zuerst die Erinnerung an unsere letzte große „Eisern trotz(t) Handicap“-Fahrt sein. Als sich unsere Mannschaft für das Hinspiel AdAF revanchierte, bei dem uns die Bremer eiskalt die Harke der Cleveren zeigte. Im Rückspiel an der Weser gaben unsre Fußballgötter den Ton an, von uns im Gästeblock auf das heftigste begleitet. Heute stecken wir in der Krise, und den Bremern geht’s kaum besser, auf zum Sechs-Punkte-Spiel um den Klassenerhalt!

Fofana suspendiert wegen seines Verhaltens bei seiner Auswechslung gegen Napoli. WIR WOLLEN DEN SIEG vermeldet das Banner vorm Gästeblock, um die 3.600 Unioner sind offiziell dabei – und ich sitze im Zug aus Mecklenburg, verfolge das Spiel am Live-Ticker. Vor den Fenstern Wald, KEIN NETZ vermeldet mein Endgerät. Ein Sieg, wie schön wäre das! Wann, wenn nicht heute, ruft es hinter meiner Stirn und weiter unten, auf Höhe meines Herzens.

Pessimistische Gedanken

Vorne sollen Behre und Becker wirbeln, hinten fehlt Doekhi, zum Glück ist Knoche wieder an Bord. Unsere kommen wie nahezu jedes Mal gut raus, Becker auf Behrens, immerhin Ecke Union in Minute 4. Der Himmel ist grau, und ich merke nicht erst seit heute, dass meine Haut deutlich dünner ist als normal. Ich merke, wie ich jedes „Wir liegen mal wieder zurück!“ schlechter ertrage als sonst. Vielleicht ja auch, weil es so lange Zeit lediglich meiner Eigenart eines Profi-Pessimisten geschuldet war, denn der Realität aufm Platz.

Noch weniger ertrage ich derartige „Experten“-Meinungen, wir seien seit Jahren zu überheblich und bekämen nun endlich verpasst, was wir längst verdient hätten. Auch, dass unsere Neueinkäufe allesamt schlecht seien, zu sehr nach teuren Promis geguckt, statt auf Klasse, Urs erreiche die Mannschaft nicht mehr und ähnliches ertrage ich nur schwer. Wäre es an letzterem, hätte Urs längst seine Koffer gepackt. Ich denke an die möglichen Zweifel hinter den Stirnen unserer Spieler, weil es wieder und wieder nicht klappte, die sprichwörtliche Kacke partout nicht vom Schuh will.

Per Kopf ins falsche Netz

„Kein Netz“, diesmal seit 7 Minuten, hoffentlich ist bei unseren Jungs nicht der Strom weg. Ich denke an unsere Zugfahrt im Sommer rauf nach Meckpomm im knüppeldickevollen Waggon: Ich fand Platz auf der Treppe, und irgendwann sagte der kleine Junge neben mir: „Ich bin auch Unioner!“, mir dabei stolz das Logo auf seinem Shirt präsentierend. Natürlich quatschten wir sofort los über unsere gemeinsame Liebe, und meine ersten Worte an ihn lauteten: „Das war jetzt alles ganz toll, die letzten Jahre, aber es kommt auch mal wieder anders. Dann sind wir als Unioner gefragt!“

Nun, es kommt gerade anders, mächtig anders sogar. Da, fast ein Tor für uns, wobei es ohnehin abseits gewesen wäre – hört das verdammt nochmal nie auf? Wir führen nach Ecken mit 2:1, doch das Ding will offenbar auch heute nicht so einfach rein ins gegnerische Tor. Wo ist das Phrasenschwein?! Nach der nächsten Netzpause lese ich Torsten Eisenbeisers „Sch…!“-Wort im Mittellinien-Chat. Freistoß Werder, und dann war es ausgerechnet Robin, der das Ding per Kopf – garantiert unhaltbar – in unser Tor lenkte.

Alles kommt zusammen

Nun kommen die Bremer erst recht, wie verdammt unbarmherzig kann Fußballgott eigentlich noch sein!? Mit dem Rückstand geht es in die Pause, der Himmel kleidet sich passend in grau. Weiter geht’s, Attacke! Der Ticker vermeldet diese und jene Chance für uns, bevor es knüppeldicke kommt. Erst noch ein Freistoß für uns, dann Gelb für Gosens. Laidouni für Aaronson, der heute ganz gut gewirbelt haben soll, dann hoffe ich, meinen Augen nicht trauen zu dürfen: Glatt Rot für Rani Khedira, offene Sohle …

 

 

Ich brauche ein paar Augenblicke, um zu begreifen: Ja, es geht noch durchaus bekloppter und fieser als vorhin. Ich will das alles nicht mehr, aber ein Zurück gibt’s nun mal nicht. Urs bringt Král für Haberer, wohl aus taktischen Gründen. Nein, in dieser Saison kommt wohl tatsächlich alles an Pech und Schwefel zusammen, was uns Fußballgott die letzten Jahre vorenthielt: Verletzungen, nun schon die dritte Rote, wo sonst die wichtigsten Spieler nahezu durchspielten und ihre Zweikämpfe so gewannen, dass es weitgehend ohne Verwarnungen ablief.

Die 10 und ein weiterer Verletzter

Der Himmel gleicht nassem Beton, als ich vom 2:0 der Bremer lese. Urs wechselt dreifach, bringt einen komplett neuen Sturm. Die Männerstimme hinter mir im Waggon bringt mich allein durch ihren Klang in Wut. Dazu noch die nasal redende Frau zur Linken … ich sollte jetzt nicht nach außen kommunizieren. Zu tief sitzt der Stachel, ich will einfach nur raus aus diesem Film. Unsere versuchen noch was, doch die Anzahl der Tore auf beiden Seiten bleibt unverändert. Laïdouni holt sich in Nachspielminute 7 noch seine Gelbe, Abpfiff.

Diese Niederlage tut mir so weh wie lange keine mehr. Ein paar „lustige“ Herthaner werden wenige Stunden nach ihrem Sieg über den SC Paderborn in Liga 2 die Zahl 10 feiern, wohl eine Erinnerung an letzte Saison, als sich andere bemüßigt fühlten, sie zu verspotten. Unter all diesen Spielen, die wir verloren, gab es nur wenige klare Niederlagen, doch immer haute halt irgendwas Entscheidendes nicht hin. Dass sich gestern in Bremen auch noch Videoanalyst Adrian Wittmann verletzte, bringt den Jauche-Eimer zum Überlaufen. Gute Besserung, Adrian!

Lähmendes Kopfkino?

Der Mann mir gegenüber in der Bahn gibt mit Steppis Weisheit: „Lebbe geht weiter“ mit auf den Weg, dazu seine Überzeugung: „Am Ende wird es drei Mannschaften geben, bei denen es noch weniger hinhaut.“ Nun jedenfalls haben wir ihn endgültig wieder, den uns auch vor gar nicht so langer Zeit vertrauten und von Urs bereits weit vor dem ersten unserer mittlerweile 145 Bundesliga-Spiele als Klassenziel aufgerufenen Abstiegskampf.

Auch heute war der Fußballgott auf einem anderen Sportplatz unterwegs“, schreibt mir Marcel auf seinem Rückweg aus Bremen. „Wenn bereits die ersten Schiri-Entscheidungen nicht zu unseren Gunsten ausfallen, man die ersten Ballverluste verzeichnet, die ersten Laufduelle verliert, dann läuft das Kopfkino zwischen den Ohren der Spieler bereits im Alarmmodus“, spinnt der aktive Spieler und Trainer den Faden weiter: „Dann ist alles, was man tut, noch mehr im Fokus und die notwendige Leichtigkeit für ein erfolgreiches Spiel zu weit weg, um auch gegen taumelnde Werderaner zählbares mitzunehmen.“

Eisern heißt dit!

Für ihn ist diese unsere zehnte Niederlage am Stück eine (weitere) gegen uns selbst, aber am Ende sieht auch Marcel einen Lichtblick: „Jede Serie hat irgendwann ein Ende und somit wird auch Union mit eisernem Willen, denn den braucht es jetzt mehr denn je, wieder punkten.“ Er wünscht sich genau wie ich und mindestens etliche andere von uns, dass wir dies mit einem Trainerteam um Urs Fischer tun werden. „Er würde notfalls bis zum Weltuntergang spielen, wenn es noch die Chance für einen Punkt gibt“, sagte mal jemand über Urs als Spieler.

Die mitgereisten Unioner jedenfalls verabschiedeten sich würdig von unserer Mannschaft, die für mich auch heute keineswegs wie ein Absteiger spielte, sondern so, wie von Marcel oben beschrieben. Diesen Knoten zum Platzen zu bringen, braucht es uns alle – und für mich eben auch den jetzt bestehenden Stab um unsere Mannschaft. Freund Christoph fand bereits wenige Stunden nach Abpfiff seinen Humor wieder: „Befreiungsschlag im Abstiegskampf: Union bessert Tordifferenz gegenüber Darmstadt und Köln gehörig auf!“


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