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Bildquelle: JVE [CC BY-SA 0], via Wikimedia Commons (Bild bearbeitet)
Union stand so gut da, dass es mir fast schon Angst machte. Prompt verloren wir das in den Dezember gelegte Rückrunden-Auftaktspiel bei den Schachtern mit 0:3. Hatte unser lieber Trainer Urs zu sehr unsere Historie studiert? Hatte er obendrein die in den letzten Jahren gewachsene Sympathie zwischen den beiden Fanlagern berücksichtigt und seinen Jungs den in diesem Zusammenhang oft zitierten „Aufbau Ost“ befohlen?
Am 31. Januar 2019 siegten wir im Stadion an der Alten Försterei mit 2:0 gegen Köln. Derart souverän, dass es mir schon fast wieder Angst bereitete. Prompt verloren wir auswärts gegen St. Pauli denkbar knapp, unglücklich und obendrein durch ein Gegentor in akuter Abpfiff-Nähe! Der anschließende 2:0 Heimsieg gegen die unbequemen Sandhäuser ließ uns nur kurz jubeln. Wenige Stunden nach dem Spiel wurde der Unioner Karl vor einer Kaufhalle in Prenzlauer Berg ermordet. Trauer und Wut ließen viele von uns erstarrt innehalten.
Einer der ersten, der diese Starre überwand, ist Roland Krispin. Der wohnt wie ich in Prenzlauer Berg und schreibt noch am Abend im Netz: „Unioner – lasst uns morgen um 17:00 Uhr Blumen am Tatort niederlegen! Schulter an Schulter für Karl. Ich werde da sein ...“ Sein spontaner Aufruf zum Gedenken im kleinen Kreis mutiert vom Schneeball zur Lawine. Stunden später sieht sich Roland gezwungen, das Ganze offiziell bei der Polizei anzumelden. Die Frist dazu ist längst abgelaufen, der Tatort aus besitzrechtlichen Gründen gesperrte Zone – Na und?
Mit Hunderten Unionern stehe ich in der Kälte um das stetig wachsende Meer aus Blumen, Kerzen, Fahnen. Wir sind nicht allein. Zwischen allem Rot-Weiß weht u.a. eine Blau-Weiße Fahne, in Gedenken an Karls Tod von Christian Herthaner Anders gestiftet. An der Spendenaktion für die Familie des Ermordeten beteiligen sich Fans aller Farben, maßgeblich „Der Borusse“ und „Der Herthaner“. Unser Verein sagt alle geplanten Festivitäten ab und sucht den Kontakt zu Karls Angehörigen.
Mich selbst interessierte in den folgenden Wochen der Tabellenstand noch weniger als sonst. Drei Siege und ein Unentschieden gingen der obligatorischen Niederlage in Heidenheim voraus. Es folgte das desaströse 1:3 Alten Försterei gegen Baumis Paderborner. „Auswärtssieg!“, brüllte der Gästeblock. Mir fehlte die Kraft, ihnen sauer zu sein. Wär ich noch bei Stimme gewesen, hätte ich ein schlechtgelauntes „und sogar verdient“ zustande gebracht.
Damit schien mir der immer mal wieder frech hervorlugende Ligawechsel nach oben abgehakt. 3 weitere Unentschieden bestätigten meinen nahezu professionellen Pessimismus, und im folgenden Heimspiel stand der HSV auf der Gästeliste. Bei denen lief es im Moment noch schlechter als bei uns. Haushoher Favorit waren sie trotzdem, zumindest auf dem Papier.
Übervolle Hütte, lautstarker Gästeblock, knallharte Gegengesänge – und plötzlich loderte es wieder Eisern AdAF – auf den Rängen wie aufm Platz. Dort ackerte eine Union-Mannschaft, die sich wie schon gegen Köln keine Flocke Butter von der Stulle klauen ließ. 2:0 der Endstand: „War das schon Gold?“ „Natürlich nicht!“, schrie mir die folgende Auswärts-Niederlage entgegen. Aber längst nicht nur wir waren Spitzenklasse im Punkte-Liegenlassen.
Spätestens jetzt hatte das seit Wochen andauernde Schnecken-Wettrennen um die Aufstiegsplätze auch mich in seinen nervenaufreibenden Bann gezogen. Sein vorläufiges Finale im miesen Wetter zu Bochum: Fanmarsch unserer Auswärtsfahrer zum Stadion, mal wieder nahezu Heim-Atmosphäre auf den Rängen – und aufm Rasen 2 Tore Rückstand zur Pause. Alles gelaufen, wa? Denkste, kurz vor Schluss steht‘s 2:2, und noch 3 Minuten plus Nachspielzeit auf der Uhr!
Die ticken herunter, wie der Countdown eines Raketenstarts, der dann – wie gefühlt immer – doch nicht glückt. Unsere Spieler entkräftet und verzweifelt am Boden. Christian Arbeit hat sichtlich Mühe, sie „aus dem Rasen zu puhlen“, wie er sich heute erinnert. Tränen, unverhohlene Häme von Bochums Mannschaft und allen anderen neunmalklugen „Fußball-Experten“ – und ganze 4 Tage später Relegationsspiel in Prenzlauer Berg Süd gegen die dortige, eingangs zitierte 160,20 Millionen Marktwert-Truppe um Edel-Reservist „Super-Mario“. Ein klarer Fall von „Mission Unmöglich“ also …
… Aber nicht für unseren längst auch unionisch „glücklich verbandelten“ Super-Urs, seine Mannschaft und alle Eisernen Auswärtsfahrer in der für unsere Verhältnisse gewaltig großen Auto-Arena zu Stuttgart. Zweimal liegen wir hinten, zweimal schlägt das Eiserne Team zurück – und bereitet damit uns allen nach dem finalen Brüller 4 verdammt schlafarme Nächte.
Als ich mich am Nachmittag des 27. Mai 2019 auf den Weg gen Köpenick begebe, denke ich mit keiner Faser an meine Verzweiflung beim versuchten Online-Kartenkauf, an die meditativen Stunden des Anstehens am Ticket-Office, an all die irren Schlenker dieser Saison. Und ja, selbst ich bislang konsequenter Ligawechsel-nach-oben-Ignorant will jetzt nur noch eins!
Den Soundtrack zum Fieber zu Köpenick liefern mal wieder, gedichtet und angestimmt von der Waldseite, die Unioner auf den Rängen. Nach „So ‘ne Scheiße, wir steigen auf!“ von vor 2 Jahren schallt es nun – nach anfänglicher Textunsicherheit von uns auf Gegengerade und Kicherkurve – „… die Zeit ist nun gekommen, ihr werdet‘s alles sehn, der 1.FC Union wird nun endlich oben stehn!“ Ja verdammt, „die 1. Bundesliga ist für uns zum Greifen nah!“ – und dieses Mal griffen wir zu, zwei irre laute Stunden und danach etliche irre berauschte Tage lang …
Längst fiebere nun auch ich der kommenden, unserer aller ersten Erstliga-Saison „im Westen“ entgegen. Und was kommt jetzt? „Endlich“ mal wieder „mit aller Gewalt – Klassenerhalt“? Verwunderte Gesichter in München, Dortmund und Salzburg-Nord? In jedem Fall mindestens ein ganzes Jahr lang lautstarke Eiserne Gesänge in der obersten deutschen Spielklasse! Fieberhaftes Ringen um die letzten freien Plätze im Wohnzimmer! Tränen, Wut, Verzweiflung wie irrsinnige Freude, Flugbiere und …
Lasst uns, was da auch immer kommt, gemeinsam rocken, an guten wie besch… Spieltagen und den endlosen Stunden dazwischen! Helfen wir einander, dass möglichst viele von uns ins Stadion kommen! Achten wir aufeinander wie auf alle, die zu uns stoßen – und gedenken wir derer, die uns aus Block H des Eisernen Himmels das EISERN UNION zubrüllen. Und bleiben wir hier unten genau das, was uns ausmacht und uns dahin brachte, wo wir heute stehen. Bis gleich im Stadion also, EISERN heißt dit!
Wer: Christopher Busse (35)
Wann:16.11.2024