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Bildquelle: Simon Hofmann [CC BY-SA 4.0], via Wikimedia Commons (Bild bearbeitet)
Zweiter Tag des heruntergefahrenen Kulturlebens, und am Abend Fernseh-Fußball mit Union. Wie schön ist es, dass ich einen Freund mit Fernseher samt Fußball-Abo habe, der seine Tür für mich öffnet! Auf dem Tisch Knabbereien, Gürkchen, Ananas-Schinken-Spieße, kleene Salamis, zwei Sorten Bier, kalt oder nicht so kalt – das herrlichste Partygedeck! Das alles mitten in einer Stadt ohne Kneipen und dem bundesweit geltenden Gebot zur Unterlassung von Unterhaltung – ein paar Quadratmeter fast-heile Welt.
Schon zeigt der Fernseher die hallende Turnhalle zu Sinsheim. Eine nette Stadionanlage haben sie dort, ihr Klang erinnert mich an die Fahnenappelle meiner Schulzeit. Etwa zweieinhalb Minuten nach Anpfiff bin ich meinem Alltag entronnen, befinde ich mich mitten im für mich nervenaufreibenden Union-Modus. Vier Minuten und zwanzig Sekunden nach des Schiris spieleröffnendem Pfiff Riesenchance für unsere Mannschaft. Schneller Angriff, Ball durchgesteckt – leider kriegt ihn unser Stürmer nicht.
Dann aber die blau gewandete SAP-Truppe! Über zwei Minuten lang setzt sie sich in unserer Hälfte fest, für meine Begriffe viel zu dicht vor unserem Tor. Jetzt auch noch ein Freistoß. Luthe hat ihn, wirft schnell ab – und schon sind Ball und zwei Unioner über rechts weit in des Gegners Hälfte. Kruse passt auf Awoniyi – schade, der Ball zieht am langen Eck vorbei. Haben wir hier letzte Saison echt 0:4 verloren?
Kaum habe ich diesen Gedanken zu Ende gedacht, sind die Blauen nach Fehlpass eines Unioners frei vor unserem Tor. Wow, der eben noch fälschlich passende rettet auf der Linie, der zweite Ball geht vorbei. Kurz darauf schon wieder Scheibenschießen vor unserem Tor – der gute Pfosten lässt den Ball am leeren Tor vorbei ins Aus rollen. Oh, war außerdem Abseits. Das Gesicht meines Gastgebers verrät, dass er das Ganze nicht als supergeschickte Abseitsfalle sieht.
Gerade einmal 6:4 Torschüsse sollen das in dieser ersten Halbzeit gewesen sein? In meiner Erinnerung sind gefühlte es 50:60. Beide Torhüter bekommen Gelegenheiten, sich auszuzeichnen. Alles in allem habe selbst ich Vollzeit-Pessimist nicht das Gefühl, dass hier eine „kleine“ gegen eine „große“ Mannschaft spielt. In jedem Fall bekam unser wertvollster Unioner Wolfgang „Potti“ Matthies dereinst mehr vor den Latz geknallt, oder? Womit ich nichts gegen Andreas Luthe sagen will, sondern vielmehr unserer Offensive Beifall zolle.
Halbzeitpause, Zeit für ein neues Kaltgetränk. Würde ich rauchen, ginge ich jetzt auf den Balkon. Wie schön, dass ich mich einfach in die Polster sinken lassen kann. Der von mir so sehr erhoffte Punktgewinn scheint mir weit weniger unwahrscheinlich als in den letzten 53,8 Jahren vor jenen 47 Minuten dieses Spiels. Will uns Fußballgott in dieser elenden Zeit ein wenig aufmuntern? In jedem Fall fühlt es sich angenehm an, jetzt an keine gehässig geführte Facebook-Diskussion zu denken, sondern einfach nur an Union.
Weiter geht’s, und schon wieder Union am Ball vor des Gegners Tor. Gleich zweimal, einmal mit einem Fast-Eigentor eines Blauen. Gente über links, schade. Aber schon wieder sind wir durch, frei vorm Tor – bevor Griesbeck schießen kann, geht er nach einem Schubser zu Boden. „Elfmeter jetzt aber, Elfmeter!“, flötet in meinem Kopf eine Loriot-Figur – und Tatsache, der Schiri zeigt auf den Punkt. Dass er den „rüden“ Übeltäter mit glatt Rot duschen schickt, nehmen wir so hin. Haben es oft genug andersrum erlebt.
Wer schießt – natürlich Kruse. „Max, du hast das Schieben raus!“, frohlocke ich, nachdem unsere Nummer 10 den Torwart in die falsche Ecke schickte und arschcool ins richtige Eck einnetzt. Unser gemeinsamer Aufschrei zeigt eindeutig Massenparty-Charakter! Kruse schießt auch unsere Ecken – erst jetzt fällt mir so richtig auf, dass unser Käpten heute ja gar nicht dabei ist. Gute Besserung, lieber Trimbo – und noch ein Kompliment an unsere Mannschaft!
Deren Spiel scheint mir, Stand jetzt, noch weniger ausrechenbar als in der letzten Saison. Als wolle mich Fußballgott am Abheben hindern – nun wieder Hoffenheim. Zu zehnt bedrängen sie unser Tor – bis dessen Maschen in der 80. tatsächlich so elend tanzen. Haben wir wieder mal drum gebettelt? Reicht es eben doch (noch) nicht für ein ganzes Spiel? Aber nicht doch, Union spielt, kombiniert – und kämpft unverdrossen, dagegen ist selbst mein Pessimismus machtlos.
Mein Gastgeber steht kurz davor, mir für selbigen den gelben Karton zu zeigen – hat der ein Glück, dass er im Stadion in einem anderen Sektor wohnt als ich. Aber schon haben wir gänzlich andere „Sorgen“: Kruse passt auf unseren finnischen Brecher. Der ist seit ein paar Minuten auf dem Platz, als er, derart bedient, dem wackeren gegnerischen Torhüter unser erneutes Führungstor aufzwingt. Wieder unser Schrei aus tiefster Kehle, statt des Gegners Torhymne aus dem Fernsehgerät. Unplugged ist allemal besser, gerade heute!
Und jetzt glaube selbst ich nicht mehr daran, dass sich unsere Mannschaft das Ding noch aus der Hand beziehungsweise vom Fuß nehmen lässt. Und Joel Pohjanpalo ist noch nicht satt. Ballgewinn im Mittelfeld, Pass in die Spitze – und schon zieht er ab. Leider eine Fast-Kopie des Sinsheimer Innenpfostens aus Hälfte 1. Aber schließlich kommt es doch noch ganz dicke für des großen Sohnes SAP-Truppe.
Warum nicht auch mal wieder ein langer Ball nach vorn, wo zwei Unioner darauf warten, ihn in die Maschen zu befördern. Max schiebt ihn lässig seinem noch besser postierten Mitspieler Cedric Teuchert zu – 3:1, auswärts, in der Sinsheimer Turnhalle! Der Schlusspfiff besiegelt das Ende meines Kurzurlaubs – nach letzter Umarmung ab nach Hause, das morgendliche Weckerklingeln mahnt. Durch eine nahezu ausgestorbene Stadt schwebe ich nach Hause. Eisern Union, ich freue mich aufs Stadion!
Wer: Christopher Busse (35)
Wann:16.11.2024